Berechtigte Bedenken in Bezug auf »Fiducia supplicans«
Die Erklärung »Fiducia supplicans« des Vatikanischen Dikasteriums für die Glaubenslehre hat sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen – von begeisterter Zustimmung bis hin zu schwer enttäuschten Ablehnung. Manche Kritiker sprachen gar von einer babylonischen Verwirrung, die Kardinal Fernandez da angerichtet hat. Denn bislang ist der Segen von Menschen in ihrer Beziehung so verstanden worden, dass damit ein «Gutheißen» der Beziehung durch Gott verbunden ist. Das geht natürlich nicht für irreguläre Beziehungen, zu denen die Kirche auch die sexuelle Beziehung zwischen Homosexuellen zählt.
Eine bislang wenig bekannte Unterscheidung
Neu ist nicht etwa, dass dieser Segen ausgeweitet wird – zum Beispiel aus pastoralen Gründen -, sondern dass uns eine Unterscheidung in Erinnerung gerufen wird. Kardinal Fernandez unterscheidet nämlich zwischen zwei verschiedenen Segensarten. Im Dokument des Vatikans werden sie «aufsteigender» und «absteigender» Segen genannt. Wichtig ist, dass die zwei Arten des Segens nicht etwa erfunden oder neu eingeführt werden, um zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen (nämlich einer liberaleren Sexualmoral und Pastoral); der Vorsitzender des Glaubensdikasteriums stellt vielmehr fest, dass es diese beiden Formen des Segens immer schon gegeben hat.
«Absteigend» ist ein Segen, der von Gott herabkommt und etwas Irdisches heiligt – zum Beispiel in der Eheschließung. Wenn es nur diese Form des Segens gebe, wäre es nicht möglich ein Paar in einer sündigen Beziehung zu segnen, dann wäre es aber auch nicht möglich, sündige Personen zu segnen. Aber gerade das ist doch der Normalfall: Wir sind alle Sünder. Wenn die Zulassungsbedingungen zu einem «absteigenden Segen» auch für alle anderen Segensformen gelten würde, könnte wir niemanden mehr segnen!
Nun gibt es also – gottseidank – auch die «aufsteigende» Form des Segens. Jemand, der auf den Anruf Gottes (auf seinen Segen) antwortet, indem er sich auf Gott zubewegt, ihm Lob, Dank und Gebete widmet, wird durch einen persönlichen Segen dabei unterstützt. Diese Form des Segens ist geradezu gemacht für uns sündige Menschen, die sich noch auf dem Weg befinden.
Für beide Segensformen werden im vatikanischen Dokument zahlreiche Beispiele aus dem Alten und Neuen Testament genannt.
Diese beiden, aufeinander bezogenen Segensabsichten sind nicht immer ganz klar zu trennen – so spricht auch «fiducia supplicans» davon, dass jeder Segen auch ab- und aufsteigende Elemente zugeich enthält. Aber das ist bei allen «komplementären» Wirklichkeiten so. «Gnade und Werke», «Schrift und Tradition». «Absicht und Tat» sind ebenso komplementär und damit ihre Anteile nie ganz zu unterscheiden, wie auch «gratia sufficiens und gratia efficax». Gerade diese letzte Unterscheidung (die «zuvorkommende Gnade» (gratia sufficiens) und die hervorbringende, heilgmachende Gnade» (gratia efficax)) sind vielleicht sogar passendere Begriffe für die beiden Segensformen als «auf- und absteigend». Die erste Gnade wird nämlich auch dem größten Sünder zuteil, damit er sich Gott zuwendet – und er mit der zweiten Gnade dann gute Werke hervorbringt. Auch die Eucharistiefeier ist «Quelle und Höhepunkt» zugleich, das heißt, sie stärkt die Sünder zur Heiligkeit – und ist Ergebnis und Lohn für die Bewegung zu Gott.
Die Erweiterung der Segenspastoral
Der neue Schritt, der durch die vatikanische Erklärung der Pastoral empfohlen wird, ist nun, dass der aufsteigende Segen, der einem sündigen Menschen auf seinem Weg aus der Sünde hin zu Gott begleiten und stärken soll, unter ganz bestimmten Auflagen auch zwei Menschen zugleich gespendet werden kann, auch wenn ihre Beziehung «sündig» bzw. irregulär ist. Denn auch sowohl Menschen als auch Beziehungen können sich entwickeln, sündhafte Anteile haben und zunehmend heiliger und erfüllter werden.
Wenn also zwei Menschen in deren Beziehung gesegnet werden, muss das nicht unbedingt der «absteigende Segen» sein, sondern kann auch der begleitende, heiligende und stärkende «aufsteigende Segen» sein.
Das ist – da haben die Kritiker recht – leicht zu verwechseln, zumal bislang der aufsteigende Segen nur einzelnen Personen galt. Immer, wenn eine Beziehung gesegnet wurde, verstand man das als «absteigenden Segen». Bei dem Hinweis, jede Verwechslung solle vermieden werden, geht es also nicht nur darum die Verwechslung von Segen und Sakrament zu vermeiden, sondern auch die Verwechslung eines Segens, der zur Heiligkeit begleiten soll (der aufsteigende Segen) mit einem Segen, der das Vorhandene gutheißt (absteigender Segen).
Verwechslungsgefahr
Diese Verwechslung ist real und kann geschehen – ja, sie geschieht sogar schon in der Reaktion all derjenigen, die die Erklärung des Vatikans entweder als Verrat an der Lehre der Kirche ablehnen, als auch bei denen, die es als erster Schritt zu einer neuen Sexualmoral und Pastoral feiern. Es wäre aber kaum pastoral zu rechtfertigen, eine gute Sache nur deshalb zu verbieten, weil sie mit einer schlechten Sache verwechselt werden kann. Vielmehr ist es nun die Aufgabe aller Seelsorger, Theologen, Bischöfe und auch aller Getauften und Gefirmten, in allen Situationen diesen Unterschied zu benennen bzw. in Erinnerung zu halten.
Aus diesem Grund soll der begleitende, aufsteigende Segen auch nicht in einer Liturgie und einem Gottesdienst gespendet werden; es soll dafür kein eigener Segensritus entwickelt werden (so wie es ja auch keinen Segen für reuige Unfallverursacher oder geständige Steuerhinterzieher gibt) und auch sonst jeder Gefahr einer Verwechslung mit einem «gutheißenden Segen» begegnet werden.
Verwirrung mit Wissen begegnen
Wer den Segen aus der Entfernung sieht – einmal bei einem Ehepaar, einmal bei einem «irregulärem Paar» – wird verwirrt sein. Aber solche Verwirrung gibt es doch immer wieder, wenn das Glaubenswissen fehlt. So halten Evangelikale unsere katholische Verehrung eines Heiligenbildes für gotteslästerliche Anbetung – sollen wir deshalb mit der Heiligenverehrung aufhören? Die Segnung einer Mutter, die eine Geburt überstanden hat, wurde als «Aussegnung» im Sinne einer Reinigung und Neuzulassung missverstanden. Sollen wir deshalb Mütter nicht mehr segnen dürfen?
Die Klugheit des Papstes
Wie gesagt, ich verstehe die Bedenken. Man hätte auch anders entscheiden können. Aber ich finde das Vorgehen des Papstes eigentlich ganz klug: Er empfiehlt das, was möglich ist, und erinnert an das, was verboten ist. So fördert er das Verstehen dessen, worum es eigentlich geht. So hatte Johannes Paul II. auch zuerst die Zulassung von Mädchen zum Ministrantendienst erlaubt – um dann anschließend Begrenzung der Zulassung zum Weihesakrament nur für Männer zu bekräftigen. Alle diejenigen, die meinen, das wäre ein regelrechtes links-rechts-Chaos, sind damals wie heute aufgefordert, nicht in diesen Schubladen zu denken oder zu fragen, welches Signal an wen gesendet wird, sondern das Eigentliche hinter den Streitfragen zu begreifen.
Die Sexualmoral
- Aufsteigender und absteigender Segen:
Den Kern der neuen Regelung verstehen - Jesus und die Ehescheidung – Zwischen den Zeilen lesen
- Klarstellung
zur Erklärung »Fiducia supplicans« - Segnung von homosexuellen Beziehungen? – Ein Plädoyer für mehr Verständnis
- Sexualmoral – Was soll das?
- Warum ist die Kirche gegen künstliche Empfängnisverhütung?
- Wieso ist künstliche Verhütung unerlaubt, natürliche Familienplanung aber nicht?
Die Moral
- Aufsteigender und absteigender Segen:
Den Kern der neuen Regelung verstehen - Das 3. Gebot: Ahme Gott nach – und lass ihn mal machen
- Das Naturrecht: Moral ohne Religion
- Gebote – Eine Frage des Vertrauens
- Gebote – Sinn und Verselbständigung
- Jesus und die Ehescheidung – Zwischen den Zeilen lesen
- Klarstellung
zur Erklärung »Fiducia supplicans« - Moral braucht keine Religion – aber sie ist hilfreich
- Objektiv Gutes – oder nur kulturelle Konvention?
- Segnung von homosexuellen Beziehungen? – Ein Plädoyer für mehr Verständnis
- Sexualmoral – Was soll das?
- Sind Corona-Impfstoffe ethisch bedenklich? Sie enthalten doch Embryonen-Zellen, oder?
- Verdrehte Auslegung: «Der barmherzige Samariter» – Lk 10,25-37
- Warum ist die Kirche gegen künstliche Empfängnisverhütung?
- Wieso ist künstliche Verhütung unerlaubt, natürliche Familienplanung aber nicht?
Erklärungen zum Glauben
- «Die katholische Kirche ist stinkreich.» – Stimmt doch, oder?
- «Es gibt soviele Priester, die verkümmern. Das muss aufhören!» – Zölibat und Priesteramt
- «Ist die Fähigkeit, Priester zu werden, von den Y-Chromosomen abhängig?»
- «Ist die Idealisierung des Priesteramtes nicht eine Überforderung für alle Priester?»
- Auferstehung oder Auferweckung?
- Aufsteigender und absteigender Segen:
Den Kern der neuen Regelung verstehen - Bibelstellen richtig verstehen:
Die Rückkehr der unreinen Geister (Mt 12,43-45) - Darf man im Gebet mit Gott handeln? – Vom Gelöbnis.
- Darf man Maria anbeten? Die Katholiken tun das!
- Das 3. Gebot: Ahme Gott nach – und lass ihn mal machen
- Das christliche Menschenbild – Was ist das?
- Das Leben nach dem Tod
- Das Naturrecht: Moral ohne Religion
- Das Unsichtbare gibt es in echt!
- Das verkehrte Pfingsten – oder: Wohin der Heilige Geist wirklich führt
- Der Glaube an Engel – Pro und Contra
- Der Heilige Geist – Gott als «undercover agent»
- Der Leib im katholischen Menschenbild
- Der Mensch ist ein Schatz! – Das Gleichnis vom «Schatz im Acker und der Perle» ist kein moralischer Aufruf, sondern großartiger Zuspruch – Mt 13,44-46
- Der Rosenkranz – Eine göttliche Fantasiereise
- Die Bitte um das tägliche Brot im Vaterunser – eine Fehlübersetzung?
- Die Erzählung vom Abreißen der Ähren (Mt 12,1-8) richtig verstehen
- Die Evolution des Lebendigen – Ein persönlicher Lösungsvorschlag
- Die Evolution meines Glaubens
- Die Himmelfahrt Mariens – Das Dogma der Leibverliebtheit
- Die menschliche Leib-Seele-Einheit: Wer kommt denn auf sowas?!
- Die Realität des Unsichtbaren verändert alles
- Die Rolle der Frau Sperlich in der katholischen Kirche heute
- Die Schutzengel
- Die Seele des Menschen – eine Denknotwendigkeit
- Drei ganz verschiedene Weisen, etwas zu glauben
- Dreifaltigkeit – Das Beste am christlichen Gott
- Dreifaltigkeit? – Gott ist Familie!
- Ein dreifaltiger Gott – ist das nicht unbiblisch?
- Ein dreifaltiger Gott – ist das nicht unvernünftig?
- Erlöste Erinnerung – Ein Element der Nahtoderfahrung christlich gedeutet
- Fides quae und fides qua – zwei ganz verschiedene Begriffe von Glauben
- Frage beim Synodalen Weg: Brauchen wir überhaupt noch Priester?
- Führt Gott in Versuchung? – Die schwierigste Bitte im Vaterunser
- Füreinander Opfer bringen – ist das nicht unchristlich?
- Gebote – Eine Frage des Vertrauens
- Gebote – Sinn und Verselbständigung
- Gibt es Beweise für die Existenz Jesu?
- Glauben – Wissen – Meinen: Eine hilfreiche Unterscheidung
- Glauben heißt eine Beziehung haben
- Gleichnisse deuten: Das fehlende Hochzeitsgewand – Mt 22,1-14
- Gleichnisse deuten: Die klugen und törichten Jungfrauen – Mt 25,1-13
- Haben Tiere eine Seele?
- Hat Maria als Mädchen ein Jungfräulichkeitsgelübde abgelegt?
- Heißt «Glauben» soviel wie «Nicht-Wissen»?
- Heureka, die Lösung: Die Versöhnung von Religion und Wissenschaft – durch eine neue Physik
- Hindert die Hierarchie die Gemeinden, von der «versorgten» zur «sorgenden» Kirche zu gelangen?
- Ist «Corona» ein Zeichen Gottes?
- Ist «das Blut Christi trinken» nicht ein Widerspruch zum Blutverbot der Juden?
- Ist das ein Zeichen? – Die Unterscheidung der Geister
- Jesus – ein Gott der griechischen Philosophie?
- Jesus und die Ehescheidung – Zwischen den Zeilen lesen
- Jesus war Gott! – Gibt es dafür Belege?
- Kann man für andere beten?
- Kann man Gott beweisen?
- Kirche 2.0 – Das Problem der Kirche heute (2/2)
- Klarstellung
zur Erklärung »Fiducia supplicans« - Können wir für Verstorbene beten? – Heilsame Verbindungen
- Maria – die Prophetin für unsere Zeit
- Maria – Miterlöserin?
- Maria – Mutter und «Jungfrau»?!
- Maria im Leben der Kirche: ihre Feste und Gebete
- Maria in der Bibel: Was wir über die Mutter Jesu wissen
- Maria, die unbefleckt Empfangene – Das große Missverständnis
- Mission führt zur Gewalt – Atheismus zur Toleranz – ?
- Moral braucht keine Religion – aber sie ist hilfreich
- Muss die «Priesterliche Lebensform» sowohl in Bezug auf Männer als auch auf Frauen gedacht werden?
- Objektiv Gutes – oder nur kulturelle Konvention?
- Schöpfung – Evolution – oder Urknall? – Wie Gott die Welt erschuf (1/3)
- Schöpfung – Evolution – oder Urknall? – Wie Gott die Welt erschuf (2/3)
- Schöpfung – Evolution – oder Urknall? – Wie Gott die Welt erschuf (3/3)
- Segnung von homosexuellen Beziehungen? – Ein Plädoyer für mehr Verständnis
- Sexualmoral – Was soll das?
- Sind Corona-Impfstoffe ethisch bedenklich? Sie enthalten doch Embryonen-Zellen, oder?
- Verdrehte Auslegung: «Der barmherzige Samariter» – Lk 10,25-37
- Vergib uns unsere Schuld: Die fünfte Vaterunser-Bitte
- Verlangt die Kirche blinden Gehorsam?
- Versuche, Glaube und Naturwissenschaft zu versöhnen…
- Wann wurde Jesus geboren?
- Warum an Gott glauben? – Wunder, Fügungen und Gebetserhörungen
- Warum beten wir zum Vater? – (Und was hat der Heilige Geist damit zu tun?)
- Warum erscheint Maria?
- Warum gibt sich Jesus auf dem Weg nach Emmaus nicht zu erkennen?
- Warum ich absolut sicher und fest glaube
- Warum ich mich nicht „konservativ“ nenne
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