Ein biografische Katechese
von Peter van Briel – mit freundlicher Genehmigung
In letzter Zeit bin ich häufiger nicht nach einer prinzipiellen Vereinbarkeit von Glauben und Naturwissenschaften gefragt worden, sondern nach meinem ganz persönlichen Glauben angesichts der modernen Naturwissenschaften. Mittlerweile hat sich daraus ein eigener Vortrag entwickelt – eine biografische Katechese, die meine persönliche Glaubensgeschichte mit den grundsätzlichen Problemen angesichts der modernen Welt verknüpft.
Es macht einen großen Unterschied, ob ich „garantiert-katholische Aussagen“ über Glauben und Zweifel formuliere – oder von persönlichen Erfahrungen spreche, die dann allerdings kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben.
Das biogenetische Grundgesetz – in der Theologie
…oder auch «Rekapitulationstheorie» genannt: Ernst Häckel behauptet mit dieser längst widerlegten These, dass sich in der Entwicklung eines Individuums die gesamte Entwicklungsgeschichte des Lebens widerspiegelt. Nun, das mag in der Biologie nicht mehr gelten, aber in der Geistesgeschichte kann das manchmal stimmen. Ich vermute, in meiner Geistesgeschichte ist es nicht ganz von der Hand zu weisen, dass ich als Kind, Jugendlicher, Student und junger Priester eine ähnliche Entwicklung durchgemacht habe, wie Teile der Philosophie in Auseinandersetzung mit den neuen Naturwissenschaften. Diese Bemerkung möge man mir nicht als Arroganz auslegen: Ich halte mich keineswegs für ein geistesgeschichtliches Wunderkind. Vielmehr ist es mir wichtig aufzuzeigen, dass die Fragen der Philosophiegeschichte fast immer auch Fragen sind, die sich nacheinander auch im Leben eines einzelnen Menschen stellen. Im Gespräch zwischen diesen verschiedenen Phasen einer Glaubens- und Lebensgeschichte geht es weniger um Recht haben und Recht bekommen (und noch weniger um einen Wettbewerb von Redegewandtheit und Schlagfertigkeit, Intelligenz und Klugheit), sondern um die Frage: Wieviel Welterkenntnis habe ich inzwischen wahrgenommen?
Mein Glaube…
…ergibt sich nicht aus einer Lückenhaftigkeit der Welterklärung.
Das ist ein ganz, ganz wichtiger Satz. Denn wenn wir im Gespräch zwischen Glaubenden und atheistischen Vertretern der Naturwissenschaft auf die Möglichkeit von Seele, Gott, Gebet, Geist und Wundern zu sprechen kommen, verweist der an Gott Glaubende sicherlich auch auf die Lücken in den Naturwissenschaften. Und das zu Recht! Denn die gibt es! Aber: Diese Lückenhaftigkeit der Welt (auf die ich ganz am Schluss in einem anderen Sinn wieder zurückkomme) ist definitiv nicht der Grund, weshalb ich an Gott glaube.
Diese Missverständnis kommt schnell und immer wieder auf. Nicht nur in Diskussionen mit mir, der ich auch eine naturwissenschaftliche Ader habe und gerne auf diesem Gebiet mitrede. Aber es ist ein Unterschied, ob ich die Existenz eines Gottes für naheliegend und plausibel halte und deshalb eine Möglichkeit für ein Wirken in der Welt suche – oder ob ich aus einer vielleicht nur vorübergehenden Lückenhaftigkeit der Naturwissenschaften schließe, dass ein Gott als Lückenbüßer herhalten muss.
Mein Glaube ist vielmehr eine «synthetische» Erkenntnis
Kurze Worterklärung: Synthetisch ist hier das Gegenteil von analytisch. Eine analytische Erkenntnis gewinne ich, indem ich verschiedene Dinge gegeneinander halte, seziere, vergleiche, unterscheide und dann aus der Unterschiedlichkeit klare Begriffe gewinne.
Synthetische Erkenntnis dagegen gewinne ich durch spontane Einsicht, durch ganzheitliches Erkennen. Was ich damit meine, mach ich gerne deutlich:
Soweit ich mich erinnere, war meine Mutter für mich eine klare, liebevolle und einzigartige Person. Diese Erkenntnis habe ich nicht durch ein Vergleichen mit anderen Personen gewonnen, sondern sozusagen «mit der Muttermilch» aufgesogen. Ich hatte vielleicht noch keinen Begriff von «Mama» und «Liebe», aber selbstverständlich habe ich meine Mutter erfahren – und Liebe gespürt.
Manche Menschen meinen, man müsse erst Hass verspürt oder erfahren haben, um zu begreifen, was Liebe sei. So rechtfertigen sie das Böse in der Welt: Ohne die Erfahrung des Bösen könne man ja nicht das Gute schätzen.
Ich halte das für erwiesenen Blödsinn und habe als Argument nichts anderes als mein eigenes Erleben: Ich muss nicht erst geschlagen worden sein, um zu spüren, dass ich von meiner Mutter geliebt werden. Ich kann es wahrscheinlich nicht in Begriffe packen. Aber ich weiß es.
So sicher, wie ich das Wesen meiner Mutter erfahren habe, so sicher bin ich mir seitdem, dass es Gott gibt. Meine Mutter war kein funktionierender Organismus mit wärmender und nährender Funktion. Meine Mutter war meine «Mama». Sie hat mich geliebt, ich habe ihre Seele gespürt und sie meine. Jeder, der ernsthaft behauptet, es gebe keine Seele, kein überzeitliche Individualität, sondern nur mehr oder weniger aufwändig konstruierte Lebewesen ohne jeden Geist, kann ich nur bedauern.
Denn diese Erkenntnis meiner frühesten Wahrnehmungen setzt sich ja in der Wahrnehmung eines jeden Gegenübers fort. Es ist für mich unverständlich, wie jemand ernsthaft behaupten kann, mein Gegenüber sei lediglich eine Ansammlung von Atomen und Molekülen. Wenn jemand dies wirklich aus voller Überzeugung so glaubt, gruselt es mich schon ein wenig vor ihm. Noch mehr aber tut er mir leid: Denn offensichtlich bezieht er diese Wirklichkeitsbeschreibung auch auf sich selbst und sieht in sich nicht mehr als ein sich selbst reproduzierendes, verpacktes Genom.
Aber neben einem leichtem Grusel und viel Bedauern glaube ich diesen Menschen eigentlich nicht: Die Erfahrung der eigenen geistigen und seelischen Wirklichkeit und die Erfahrung der faszinierenden geistigen und seelischen Schönheit so vieler andere Menschen kann nur jemand leugnen, der einen Großteil seiner Urteilsfähigkeit ignoriert. Ich bin davon überzeugt, dass alle klar denkenden Menschen im Grund Theisten sind.
Weiterlesen: Die Evolution meines Glaubens
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