Es ist immer noch schick, als Katholik etwas ziemlich Unkatholisches zu behaupten und sich damit als Freigeist zu beweisen. Denn: »Die katholische Kirche ist wie eine Sekte: Sie verlangt von allen Mitgliedern absoluten Gehorsam.« Wer also sein eigenständiges Denken beweisen will, macht sich am Besten von der kirchlichen Autorität frei!
Dass die katholische Kirche blinden Gehorsam verlange – oder auch nur einfachen Gehorsam, aber das eben unbedingt und unter Androhung von Strafe – ist zwar offensichtlich falsch, sie wird aber selbst von gestandenen Katholiken immer wieder erhoben.
Das hat folgenden Vorteil: Das eigene Abweichen von der katholischen Lehre kann dann als mutiger Akt verstanden werden. Als Katholik etwas ganz und gar Unkatholisches zu behaupten, würde normalerweise als inkonsequent wahrgenommen, es sei denn, man inszeniert sich selbst als »Held der Befreiung und Emanzipation«, als jemand, der dem übermächtigen Regime entronnen ist und nun alles das sagt, was er zuvor nicht durfte. Dabei dürfte allen Beteiligten klar sein, dass es heutzutage keine echte »Gefahr durch die Glaubensüberwachungsbehörden« gibt.
Gestützt wird die Mär vom unmündigen Katholiken mit Verweisen auf einzelne Ereignisse der Kirchengeschichte; von der Verfolgung von Glaubens-Abweichlern durch die Inquisition, verschiedenen Ketzer-Prozessen bis zur Absetzung von Professoren (z.B. von Uta Ranke-Heinemann, Eugen Drewermann oder Hans Küng) oder dem »Maulkorb« für Theologen (wie z.B. Leonardo Boff) oder Priester.
Ja, es gibt noch eine paar Gehorsamsverpflichtung in der Kirche: Zum Beispiel die der Lehrenden. Wer im Namen der katholischen Kirche lehrt und dabei den Auftrag hat, die katholische Lehre zu vermitteln, darf sich darüber aber nicht wundern: Denn der Gehorsam liegt nicht im Verhätlnis von Professor und Kirche – sondern im Verhältnis vom Fachmann zu seinem Fachgebiet. Die Aufsicht über die Lehrenden im Religionsunterricht und Theologiestudium ist also weniger eine Gehorsamsverpflichtung, als viel mehr eine Qualitätskontrolle.
Darüberhinaus gibt es den Gehorsam, den die Priester dem Bischof gegenüber versprechen (wobei viele Bischöfe vor allem in Deutschland diesen Gehorsam nur noch einfordern, wenn es um die Stellenbestzung geht – und kaum noch, wenn es um die Vermittlung von Glaubensüberzeugungen geht) und den Gehorsam der Ordensleute. Gerade in den Orden ist der Gehorsam wirklich real – aber weniger eine allgemeinen Kirche gegenüber als vielmehr der konkreten Person, die den Orden leitet.
Vom kirchlichen Gehorsam ist ganz klar der Glaubensgehorsam zu unterscheiden, der nicht der Kirche, sondern Gott geschuldet ist. Der Glaubensgehorsam ist aber weniger Gehorsam, sondern eher Realismus der göttlichen Wirklichkeit gegenüber, bzw. der Offenbarung.
Damit beschäftigt sich ausführlich ein anderer Artikel auf dieser Seite – oder eine längere Katechese beid er Karl-Leisner-Jugend.
Der Kirchliche Gehorsam
Gehorsam ist nicht immer eine fremdbestimmte Zwangsverpflichtung; es gibt auch die freie Anerkennung einer Autorität nach reiflicher Prüfung. — Wir unterstellen in der heutigen Gesellschaft leicht, dass jeder Gehorsam eine von außen auferlegte Einschränkung des eigenen Willens und der Persönlichkeit sei. Allerdings gibt es heute sehr viel mehr (falsche oder zumindest unhinterfragte) Autoritäten, denen Massen von Menschen blind folgen; vermutlich mehr als in den meisten anderen Epochen.
Manchmal stellt sich der von außen auferlegte Gehorsam dann bei realistischer Betrachtung als selbstgewählt heraus – gerade in der heutigen Zeit muss keiner mehr katholisch sein, sondern kann, wenn auch in katholischen Gegenden nicht seinen Eintritt in die Kirche, so doch immer seinen Austritt frei bestimmen.
Die aktuellen Fälle von Maßregelungen in der Kirche ergeben sich aus der Inkonsequenz der Haltung: So wollten die o.g. Professoren und Theologen im Namen der Kirche lehren, und verbreiten gleichzeitig der Überzeugung der Kirche entgegengesetzte Lehren. Der geforderte Gehorsam entpuppt sich bei näherem Hinsehen eigentlich als Aufforderung zur Konsequenz, entweder die Lehre der Kirche zu vertreten oder dieses Amt zu quittieren.
Bischof Dyba hat es einmal so formuliert: Ein Fußballspieler, der ständig nur aufs eigene Tor schießt, darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann ausgewechselt wird und nicht mehr spielen darf. Das ist keine Frage des Gehorsams, sondern der Einsicht: Ich bin kein Lehrer der Kirche, wenn ich nicht ihre Lehre vertrete.
Das Wesen der Kirche erfordert Eigenverantwortlichkeit und Vertrauen
Ja: Eigenverantwortlichkeit, Freiheit und Vertrauen ist für die Hierarchie der Kirche konstitutiv. — Die aufs Ganze gesehen seltenen Fälle von Aufforderungen an katholische Lehrer (ob Bischöfe, Professoren oder Amtsträger), sich an die Lehre zu halten, täuschen darüber hinweg, dass die Hierarchie der Kirche im Vergleich mit allen anderen hierarchischen Ordnungen von Firmen, Institutionen, Parteien oder Vereinen kaum auf Disziplin und Gehorsam baut.
Gegen hartnäckige Gerüchte, der Papst habe dank seiner Unfehlbarkeit nahezu unbegrenzte Macht, spricht ein einfacher Blick auf die Struktur der Kirche: Diese zeichnet sich nämlich durch eine äußerst flache Hierarchie aus – und damit durch eine systembedingte Freiheit und Selbstverantwortlichkeit der unteren Ebenen. Einen global player wie die katholische Kirche mit nur drei Hierarchie-Ebenen – das erfordert eine hohe Eigenständigkeit aller drei Ebenen. Nicht nur die Bischöfe und Pfarrer, sondern auch die Gläubigen können von einer Hierarchie, in der jeweils ein Leiter für mehr als 1000 Untergebenen zuständig ist, keine detaillierten Anweisungen erwarten. Tatsächlich setzen sowohl der Papst den Bischöfen, die Bischöfe den Pfarrern als auch die Pfarrer ihren Gemeindemitgliedern nur sehr wenig Grenzen (Ausnahmen bestätigen diese Regel!). Die Grenzen, die noch gesetzt werden, sind dann allerdings in den Augen der Oberen wesentlich und notwendig, während in den anderen Fragen die Freiheit der Empfänger nicht nur systembedingt, sondern theologisch wesensnotwendig ist.
Der Papst nimmt weder den Eltern die Entscheidung über die richtige Erziehung ab, noch könnte er die Theologie durch Beschluss dazu bringen, etwas Falsches als richtig zu erkennen. Und ich als Pfarrer muss auch erkennen, dass ich den Mitgliedern meiner Pfarrei zwar Mut machen kann, ihren Glauben auch in der Alltagswelt zu bezeugen — aber wie und ob das geschieht, liegt nicht in meiner Verantwortung und auch nicht in meiner Macht. Im Gegenteil: Die Aufgabe der Hierarchie ist es, Freiheit zu ermöglichen und Vertrauen zu schützen – gerade auch durch Durchsetzung von Disziplin. Ein schlechter Lehrer, der bei den Kindern keine Autorität und keine Durchsetzungskraft hat, verhindert nicht nur einen erfolgreichen Unterricht, er nimmt den Kindern durch seine Unfähigkeit sogar die Freiheit, die Unterrichtsstunde eigenverantwortlich zu gestalten, weil das Machtvakuum des Lehrers durch den Gruppendruck ersetzt wird.
So ist die Autorität der Eltern, des Pfarrers, des Bischofs und des Papstes immer eine Verwirklichung von Hierarchie, die Freiheit garantieren soll. Dabei ist jeder auf jeden angewiesen – und alle auf das Wirken des Geistes.
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