Diese Frage mag auch einen gestandenen Katholiken überraschen: «Ja, wer behauptet denn so etwas?! Maria – ein Jungfräulichkeitsgelübde? Als Kind?» Davon steht nichts in der Bibel.
Aber im Jakobus-Evangelium (ein apokryphes, das heißt nicht anerkanntes Evangelium) wird ein solches Gelübde erwähnt. Und von da aus fand dieser Gedanke eingang in den christlichen Volksglauben. Vor einiger Zeit gab es sogar noch einen kirchlichen Festtag, der an dieses Gelübde Mariens erinnerte.
Was ist also davon zu halten?
Die Frage, ob Maria schon als Kind – oder als Jugendliches – die Absicht gehabt hat, für ihr ganzes Leben Jungfrau zu bleiben, erscheint zunächst abwegig. Wollte nicht jede Frau zur Zeit Jesu Mutter des Erlösers werden? Galt nicht Ehe- und Kinderlosigkeit als eine Schande? War Maria nicht kurz davor, Josef zu heiraten?
Ein solches Gelübde wird schon im Jakobus-Evangelium erwähnt – allerdings legt hier nicht Maria selbst dieses Gelübde ab, sondern die Mutter Marias. Mutter Anna gelobt, ihr Kind Gott zu weihen und bringt Maria als Dreijährige in den Tempel. Als Zwölfjährige wird sie dann dem Witwer Josef anvertraut. (Soweit das Jakobus-Evangelium und die sich daran anschließende früh-christliche Tradition).
Bedenken wir allerdings, dass das Jakobus-Evangelium niemals anerkannt wurde, so überrascht es nicht, dass dieser Bericht kaum einen Einfluss auf die Theologie ausgeübt hat – allerdings sehr wohl auf die Kritiker der Kirche und selbsternannten Entdecker von Verschwörungstheorien.
Der Ursprung dieser Idee, Maria hätte von sich aus gar keine Kinder haben wollen, liegt nicht im Jakobus-Evangelium, sondern bei Lukas (Lk 1,34): »Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?« (Mit »erkennen« ist im Hebräischen »lieben« im umfassenden Sinne gemeint – also auch den Geschlechtsverkehr einschließend.)
Marias Frage hätte demnach keinen Sinn, wenn sie mit Josef Kinder haben wollte (Maria hätte dann allenfalls geantwortet: »Wie? Jetzt schon?«). Augustinus meint dazu: »Das würde Maria auf alle Fälle nicht sagen, wenn sie sich nicht vorher schon mit Gott verlobt hätte«. Augustinus erklärt die Frage damit, dass Maria eine Mutterschaft, die den Beischlaf mit einem Mann voraussetzt, mit ihrem Gelübde nicht vereinbaren konnte. Auch M. Dibelius schreibt: »Eine Braut kann so nicht sprechen, kann zumindest nicht darüber erstaunt sein, dass ihr vom Engel ein Sohn verheißen wird.«
Für die ganze Zeit, auch über die Reformation hinweg, war das Jungfräulichkeitsgelübde Marias eine anerkannte und geglaubte Sache. Auch Thomas von Aquin, der maßgeblichste Theologe der katholischen Kirche, bejaht das Gelübde. Erst im 20. Jahrhundert schwindet der Glaube daran.
Wir wollen hier nicht diskutieren, ob es für die Annahme eines solchen Gelübdes Beweise gibt. Im Grunde mag jeder selbst die Belege prüfen und zu einem eigenen Urteil kommen – das Lehramt der Kirche schweigt hierzu.
Der Gedanke liegt deshalb nahe, dass Maria nicht nur deshalb Jungfrau blieb, weil der Engel dem Vollzug der Ehe mit Josef zuvorkommt. Denn das bedeutet, dass Maria vom Engel zu etwas bewogen worden ist, das sie vorher nicht gewollt hat; das nicht in ihrem Wesen lag und was sie nicht mit ihrer ganzen Person von Anfang an bejahte. So etwas tut Gott nicht.
Der Gedanke an ein Jungfräulichkeitsgelübde ist somit schön und angemessen: Maria war von Anfang an die Braut des Heiligen Geistes, verliebt und geweiht ihrem Gott. Diese innere Ausrichtung auf den Allerhöchsten hat der Engel Gottes aufgegriffen – um somit Marias innersten Wunsch zu erfüllen.
Die abschließende Antwort Mariens an den Engel: »Mir geschehe, wie Du gesagt« ist im Deutschen nicht leicht zu übersetzen. Denn im Griechischen steht hier der Optativ – eine Form, die es im Deutschen nicht gibt. Am nächsten kommen wir dem Sinn der Antwort, wenn wir übersetzen: »Ach, wenn an mir doch Dein Wille geschehen würde!« – Der Engel hat Maria tiefstes Sehnen erfüllt – und nicht etwa ihre Pläne durchkreuzt.
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