Während Jesus hier auf Erden lebte – und unmittelbar nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt – fragten sich die Menschen schon, wer denn dieser Jesus sei. Ein Prophet? Ein Mensch? Ein Gott? – Die Antwort, die Jesus selbst gegeben hat, war zwar klar: «Ich und der Vater sind eins!» Und doch für die damaligen Menschen unverständlich. Was soll das bedeuten? War Jesus Jahwe? War Jesus vielleicht nur ein Mensch, der von Jahwe zu Gott gemacht wurde – oder durch Adoption zu Gottes Sohn wurde? Oder …?

Die Hellenisierung des Glaubens

Diese Fragen stellten sich natürlich den Christen von Anfang an; sie wurden heiß diskutiert und immer wieder mit den Aussagen in den Evangelien verglichen. Denn bei diesen Fragen ging es nicht nur darum, die Behauptung, Jesus sei Gott gewesen, vor den Kritikern zu rechtfertigen. Viel mehr und viel drängender ging es darum, den Gedanken eines menschgewordenen Gottes vor der Vernunft zu rechtfertigen. »Gott wird Mensch – ist das nicht ein Widerspruch in sich und deshalb ein Ding der Unmöglichkeit?«

Es dauerte seine Zeit, bis sich die Kirche – über lange und zum Teil auch sehr heftige Auseinandersetzungen hinweg – zu einer Reihe von Sätzen bekannte, die ein einheitliches Verständnis der »Christologie« (so die zur Wissenschaft gewordene Frage nach dem Gott Jesus) für die ganze Christenheit ermöglichten. Grundlage der so genannten »christologischen Konzilien« war dabei nicht nur die Heilige Schrift – sondern auch die gelebte Spiritualität der Kirche.

Heidnische Fragestellung – Christliche Antworten?

Es kommt im Alltag immer wieder vor, dass ich jemandem begegne, von dem ich einen klaren und eindeutigen Eindruck habe; ich weiß (oder glaube zu wissen), wer diese Person ist, inwieweit ich ihr trauen kann; oder ich habe den vagen Eindruck, dass irgendetwas Unbestimmtes in dieser Person verborgen ist. Einen solchen Eindruck von jemandem zu gewinnen, gehört zu unseren intuitiven Fähigkeiten. Diesen Eindruck aber jemandem zu vermitteln, der diese Person nicht kennt, ist die Aufgabe der Sprache – und die ist uns nicht angeboren. Wer nach Worten ringt, um angemessene Ausdrücke für einen eigentlich klaren Eindruck zu finden, steht vor der Aufgabe, Intuition in Begriffe zu kleiden. Oder, etwas poetischer ausgedrückt: Das Herz gibt dem Verstand vor, was dieser in Begriffe zu kleiden versucht.

Nachdem Jesus in seiner Person und mit seinen Handlungen (darunter auch die Wunder), Predigten und am Ende durch seine Auferstehung und Himmelfahrt den Aposteln und Evangelisten klar und verständlich ins Herz gegeben hatte, wer er denn nun ist, brauchte die frühe Kirche (selbst mit dem Beistand des Heiligen Geistes) mehr als 700 Jahrhunderte, um dies auch abschließend so zu formulieren, dass Missverständnisse weitestgehend ausgeschlossen wurden. Manche Theologen meinen, dass eine solche Formulierung nur notwendig geworden ist, weil eine Verkündigung Jesu sich auch den Fragen der heidnischen (d. h. zunächst der römischen und griechischen) Zuhörer stellen musste; wäre der christliche Glaube im ursprünglichen jüdischen Kontext geblieben, so wäre der Kirche 700 Jahre theologischer Streit erspart geblieben.

Wie Jesus von sich als Gott sprechen konnte – und dennoch zum Vater im Himmel – das war auch den Juden ein Rätsel, das sie noch lösen mussten.

Dahinter steckt manchmal eine Abneigung gegenüber den griechischen und philosophischen Gedanken – auf jeden Fall aber eine Unkenntnis des jüdischen Denkens. Denn die Fragestellung, wie Jesus denn von sich als Gott sprechen konnte – und dennoch zum Vater im Himmel – und wie es dann trotzdem nur einen Gott geben solle – das war auch den Juden ein Rätsel, das sie noch lösen mussten. Es waren also nicht erst die (griechischen) Heiden, die »unangemessene« philosophische Fragen nach dem »Wesen« und dem »Sein« Jesu stellten. Der »christologische Streit« war keine Reduktion des Christusereignisses auf philosophische Spitzfindigkeiten, sondern war von Anfang an – schon bei den Aposteln und Pharisäern, die Jesus zuhörten – vorhanden.

Dieses Einmalige und vollkommen Neue an Christus als Einheit von Gott und Mensch und Gott als Vater-Sohn-Geist-Einheit wurde von den ersten Christen in der direkten Nachfolge der Apostel schon eindeutig bekannt – wenn auch nicht begrifflich geklärt. Vielleicht haben sich die, die Jesus noch leibhaftig erlebt haben, die Frage »Wie kann das sein?« nicht gestellt. Als es aber an die Verkündigung ging, tauchten die Probleme auf. Nicht, weil die Heiden (allen voran die Griechen) so dämlich fragten (wie manche Romantiker und Anti-Hellenisten heute meinen), sondern weil den Aposteln und den Evangelisten die Worte fehlten, das auszudrücken, was ihnen offenbart wurde.

Vermutlich war für die Kinder der ersten Christen das Strahlen in den Augen der Eltern ausreichend, wenn sie von ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen sprachen. Die Begeisterung und Ehrfurcht, die sicherlich in den Erzählungen mitschwang, verlangte zunächst noch nicht nach einer Erklärung.
So wird auch bei der Erzählung des Vaters, wie er die Mutter kennen und lieben gelernt hat (»How I met your mother«), keines der eigenen Kind fragen, ob diese erste Liebe der Eltern nicht nur die Auswirkung von Hormonen gewesen sei. Das wäre eine alberne Reduktion – klar! Wenn aber ein verliebter Mensch von einem kritischen Materialist immer wieder darauf hingewiesen wird, er sei gar nicht verliebt, sondern hätte nur zuviel Schokolade gegessen, dann muss er sich zweifelsohne Gedanken machen, wie seine Verliebtheit und sein Hormonspiegel zusammenhängen.
Nicht die Liebe drängt zur Begriffsklärung – sondern die Not, es denen zu erklären, die keinen Begriff von Liebe haben.

Die Not, das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem in Jesus zu erklären, war eine Not, die sich aus der Verkündigung ergab. Natürlich sind diese Klärungen angesichts des großen Geheimnisses der Menschwerdung Gottes von geringer Strahlkraft als eine Begegnung mit dem Auferstandenen. Aber dennoch wahr, notwendig und hilfreich.

Nochmal: Hellenisierung = Verfremdung = Verfälschung?

Manche romantisch veranlagten Menschen glauben, dass in der alten Zeit, in der man Dinge unreflektiert einfach erspürt hat und noch nicht darüber nachdenken musste, die Welt noch besser gewesen sei. Das »Geheimnisvolle Zwielicht beim Morgengrauen« ist ein Idealbild der Romantik, dorthin wieder zurückzukehren und zugleich jedes aufgeklärte Denken abzulegen. Und so gibt es auch Theologen, die der Meinung sind, nur das jüdische Denken sei dem Geheimnis Christi angemessen und die griechische Philosophie habe den christlichen Glauben zunächst verfremdet und dann schließlich verfälscht. (Das bezeichnen diese Theologen als »Hellenisierung«).

Diese Auffassung geht davon aus, dass entweder eine bestimmte Kultur und Sprache (die »jüdische Denk- und Sprechweise«) besser sei als alle anderen – oder dass es noch besser sei, überhaupt nicht zu reden und zu denken, sondern nur zu fühlen, zu erspüren und bunte Bilder zu malen.

Im Klartext: Wer so argumentiert, unterstellt den Juden bzw. den orientalischen Menschen der damaligen Zeit, sie wären nicht wirklich in der Lage gewesen, logisch zu denken.

Diese Kritik an der griechischen Denkweise, oder auch an jeder rationalen Herangehensweise, übersieht, dass wir Menschen immer denkende Wesen sind und uns schon aus eigenem Antrieb nicht mit »Spüren und Fühlen« zufrieden geben – vor allem dann, wenn wir logische Widersprüche hinnehmen sollen. Wir wollen uns selbst versichern, was wir denn da erlebt haben (das haben auch schon die Juden getan, nicht erst die Griechen); nicht um das Großartige, was wir erlebt haben, auf Begriffe zu reduzieren und in kleine Schubladen zu verstauen – sondern um die Größe dessen, was wir intuitiv erfasst haben, zu bewahren und vor Reduktionen zu schützen.

Nicht-theologische Schwärmer glauben, das Ereignis (der menschlichen Liebe oder der Menschwerdung Jesu) zu schützen, indem sie nicht darüber philosophieren, sondern nur in Bildern reden – und sich dann auch noch weigern zu erklären, was sie mit ihren Bildern denn aussagen möchten. Aber gerade dadurch verlieren sie das, was sie bewahren möchten.

Nichts gegen die blumige und bildverliebte Schwärmerei: Ich finde das Bewahren einer poetischen und bildhaften Sprache wichtig; ich habe meine frühen Liebesbriefe auch noch aufbewahrt und bin stolz darauf. Aber das entbindet mich nicht von der (vielleicht lästigen) Aufgabe, zu fragen, ob das denn wirklich Liebe war, was damals geschah.

Die »Hellenisierung« des christlichen Glaubens bedeutet also nicht eine Verfremdung oder Verfälschung. Die mit Hilfe der griechischen Philosophie gewonnenen Antworten auf die Fragen nach Christus dienen vielmehr der Bewahrung des größten Ereignisses der Geschichte: der Menschwerdung Gottes.

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Schlagwörter: , Last modified: 22. Mai 2020