Gerade vor zwei Tagen schrieb mir eine Grundschullehrerin – die zufälligerweise auch noch eine entfernte Cousine von mir ist – von der Frage eines Schülers, warum Jesus beim Gang nach Emmaus den beiden Jüngern nicht schon direkt am Anfang gesagt hat: «Hallo, ich bin’s Jesus! Ich bin auferstanden!» Warum geht er erst – vermutlich Stunden – mit ihnen, ohne sich zu erkennen zu geben? – Natürlich sind auf solche Fragen mehrere Antworten möglich.
Aber eine sehr naheliegende Antwort gibt uns die Fortsetzung der Emmaus-Erzählung, in der Jesus unmittelbar nach der Rückkehr der Emmausjünger den Aposteln erscheint. Denn genauso wie bei der Begegnung auf den Weg nach Emmaus heißt es dort, dass Jesus ihnen «den Sinn der Schrift» erschloss. «Musste das nicht alles geschehen, was Ihr in den letzten Tagen gehört habt?»
Das ist das zentrale Thema. Im Youcat-Glaubenskurs heißt das, «die innere Logik des Christentums» erkennen. Obwohl ich lieber vom «inneren Wesen Gottes» sprechen würde, denn Logik klingt doch sehr nach etwas, dass der Verstand produziert. In Wirklichkeit geht es aber darum, zu verstehen, wie alles im Innersten zusammenhängt. Vor allem mit mir.
Wir haben einen oft sehr fragmentarischen Glauben. In den Gottesdiensten hört man mal da eine Predigt, liest dort einen Artikel, findet im Gespräch noch zusätzlich eine Antwort – und fühlt sich irgendwann umgeben von einer Wolke von Glaubenswahrheiten, die manchmal frustriert die Frage erzeugt: «Was muss ich eigentlich noch alles glauben? – Und was hat, bitteschön, dieses heiße Eisen mit der Botschaft Jesu zu tun?» – Das ist so ähnlich wie jemand, der fragt, was Liebe eigentlich ist. Wenn ich ihm erzähle, was Liebende so alles tun, empfinden, glauben und hoffen, kann man schon mal die Antwort hören: «Dann will ich mich nicht verlieben. Wer soll das alles schaffen? – Und was hat, bitteschön, das Ausräumen der Spülmaschine und das Leeren des Mülleimers mit Liebe zu tun?»
Das kann geschehen, wenn wir eine fragmentarische Liebe haben – oder einen fragmentarischen Glauben. Deshalb ist Jesus nicht zu den Emmaus-Jüngern oder den Aposteln im heutigen Evangelium gekommen und hat ihrem Glauben noch die Auferstehung hinzugefügt. Sondern er erschloss ihnen den inneren Sinn von allem. Das innere Wesen unseres Glaubens. Die innere Logik (wenn man das Wort verwenden will) unseres Tuns. Wer sich dem nähert – und sich davon ergreifen lässt – der stöhnt nicht: «Muss ich das auch noch glauben?!», sondern würde wahrscheinlich eher ausrufen: «Ach, das hatte ich mir schon fast gedacht! Jo, das passt genau zu dem, was ich immer schon zutiefst gespürt habe!»
Das «Wesen des Christentums» zu erkennen ist dabei kein Vorrecht von Theologen, Studierten oder Intellektuellen. Ganz im Gegenteil: Genauso, wie jemand, der über die Liebe philosophieren will, am besten auf die «einfachhin Liebenden» schaut und von ihnen lernt, sind diejenigen unter uns, die einfach glauben und sich von dem innersten Gottes ergreifen lassen, allen Theologen voraus. Um Längen.
Von dem, was Jesus seinen Aposteln in den vierzig Tagen nach seiner Auferstehung bis zu seiner Himmelfahrt erzählt hat, steht fast nichts in den Evangelien. Vermutlich waren es keine neuen Gleichnisse, Gebote oder Mahnreden – sondern ein Nahebringen wie auf dem Gang nach Emmaus. Im Grunde geht es im ganzen Christsein, Menschsein und Geliebtsein um nichts anderes: Als das innere Wesen der Liebe zu verstehen, zu begreifen, zu erspüren. Oder noch besser; Sich davon ergreifen zu lassen.
(Noch als kleine Ergänzung, sozusagen als Anmkerung des Webmasters: Und genau das ist mein Bemühen in allen Katechesen, Predigten und Vorträgen: Nicht einfach nur Fragen beantworten. Sondern das innere Verstehen ermöglichen. Wer sich diesem Verstehen öffnet – das ich nicht erzeugen kann, sondern nur vorbereiten – wird mir anschließend zum Lehrer.)
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