Die Frage, ob die Existenz Gottes bewiesen werden kann, hat die Philosophie und Theologie schon seit Jahrhunderten beschäftigt. Im alltäglichen Leben – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche – hat diese Frage allerdings bis vor gut hundert Jahren keine große Bedeutung gehabt: Es war eine allgemein verbreitete Selbstverständlichkeit, dass Gott existiert.

Dieser Konsens hat sich in der Neuzeit, vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten, aufgelöst. Inzwischen gilt eher die gegenteilige Auffassung als gesellschaftlicher Konsens – zumindest in der modernen, westlichen Welt: Ob es einen Gott gibt, sei demnach keine Frage des gesicherten Wissens – sondern eher eine Glaubensfrage, so eine Art persönliche Vermutung oder private Lebensphilosophie.

Man ist heute der Auffassung, dass allein die Naturwissenschaften wirklich sichere Erkenntnisse hervorbringen – nur dort gibt es handfeste Beweise. Was die Theologen und Philosophen so erzählen, kann man höchstens glauben; bewiesen werden kann davon nichts.

Okay – ein Theologe (aber auch ein Naturwissenschaftler) muss angesichts einer solchen Behauptung immer tief Luft holen; denn derjenige, der so etwas behauptet, hat offensichtlich keine Ahnung, wovon er spricht.

Was ist ein Beweis?

Im Grunde hat jeder Wissenschaft, die einen eigene Methodik hat, auch eine eigene Definition von dem, was sie als »bewiesen« gelten lassen will. Grob gesprochen gibt es vielleicht drei Haupt-Arten von Beweisen: Den mathematischen oder logischen Beweis; den naturwissenschaftlichen oder physikalischen Beweis (von «Physis – die Natur»); und den historischen oder juristischen Beweis – so will ich sie hier einmal nennen. Der historische Beweis betrifft einmalige Ereignisse (und fragt nach, ob sie wirklich passiert sind); der physikalische Beweis fußt auf empirische Daten (und forscht nach allgemeinen Regeln, die grundsätzlich wiederholbare Ergebnisse liefern); der mathematische Beweis schließlich ist rein geistiger Natur und kommt ohne jeden Bezug zur Realität aus.

Im allgemeinen erwarten wir von einem »echten« Beweis, dass nach dessen Darlegung Widersprüche verstummen und meine Gesprächspartner ihre gegenteilige Position aufgeben und mir zustimmen – die Sache ist eben geklärt, da ich ja einen Beweis aufgeführt habe. Wir nennen einen solchen Beweis »zwingend«: Keiner, der die Schlüssigkeit des Beweise anerkannt hat, kann dann das Bewiesene noch anzweifeln; der Beweis ist somit zwingend für den Verstand.

Der mathematische Beweis

Ein solchen zwingenden Beweis gibt es nur in der Mathematik. Dort ist die Sprache, in der diskutiert wird, hoch formalisiert; ein mathematischer Beweis, der in aller Welt veröffentlicht wird, wird auch überall verstanden. Wenn festgestellt wird, dass ein neuer Beweis fehlerfrei ist, dann gibt es dahinter kein Zurück mehr: Nun gehört das neue Wissen zum mathematischen Bestand, ein Widerspruch ist nur noch möglich, wenn auf versteckte Fehler in der Beweisführung Bezug genommen wird.

Die im Alltag häufig anzutreffende Reaktion auf einen Gedankengang («Was interessiert mich dein Beweis? Ich bleibe dennoch bei meiner Meinung!») ist in der Mathematik nicht zulässig; ein Mathematiker, der anerkannte Beweise ignoriert, wird nicht mehr ernst genommen.

Ein solcher Beweis wäre natürlich als Gottesbeweis ideal. Keiner würde mehr an der Existenz Gottes zweifeln; die Frage wäre nur noch, ob ich ihn mag oder nicht.

Aber die Mathematik hat drei Eigenschaften, die es schwierig machen, einen solchen Beweis in die reale Welt zu übertragen (und wir wollen Gott ja als real-existierend beweisen):

  1. Die Mathematik ist keineswegs bis in ihre Grundlagen beweisbar; sie baut auf Grundannahmen auf – in der Mathematik sind es genau fünf: Die sogenannten 5 Axiome der Mathematik.
    Natürlich können die Grundannahmen hinterfragt oder kritisiert werden; aber wer das tut, ist kein Mathematiker, sondern ein Philosoph. Innerhalb der Mathematik werden die Grundannahmen nicht angezweifelt und auch nicht beweisen; es liegt im Wesen einer Annahme, dass sie nicht wiederum hergeleitet wird.
    In der Philosophie und Theologie herrscht allerdings die Freiheit, alles zu hinterfragen und nichts als einfach gegeben anzunehmen. Bestimmte Schulen der Philosophie gehen zwar von gemeinsamen Grundgedanken aus, aber in anderen philosophischen Richtungen werden genau diese wiederum abgelehnt.
  2. Außerdem ist die Sprache der Philosophen nicht so eindeutig und formalisiert wie die mathematische Symbolsprache. Jeder Philosoph muss also zunächst Begriffe definieren (wie ich ja auch gerade tue), und da liegen sie sich schon oft in den Haaren… tja.
  3. Aber noch eine dritte Eigenschaft hat die Mathematik, die eine Übertragung der zwingenden Beweiskraft auf die reale Welt verhindert – eine Eigenschaft, die uns vermutlich überhaupt nicht aufgefallen ist: Die Mathematik beschreibt nicht die Wirklichkeit. Sie entwickelt nach streng logischen und formalen Regeln aus den Grundannahmen eine in sich stehende Wissenschaft – eine Geisteswissenschaft in reinster Form. Die Mathematik ist gültig, unabhängig davon, ob sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt oder nicht.

Die Mathematik ist eine Geisteswissenschaft in reinster Form. Die Mathematik ist gültig, unabhängig davon, ob sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt oder nicht.

In dem Augenblick, in dem wir die uneingeschränkt gültigen Aussagen der Mathematik auf die reale Welt anwenden, verliert die Mathematik ihre Allgemeingültigkeit: Denn als angewandte Mathematik unterliegt sie jetzt der menschlichen Wahrnehmung, die behauptet, die Mathematik würde die Realität beschreiben.

Ob eine mathematische Formel korrekt hergeleitet ist, lässt sich eindeutig klären. Ob diese Formel aber geeignet ist, zum Beispiel das Wachstum von Coli-Bakterien in der Petri-Schale zu beschreiben, ist nicht selbst mathematisch beweisbar. Denn Coli-Bakterien kommen weder in der Mathematik vor, noch haben sie im wirklichen Leben eine einprogrammierte mathematische Formel. Was noch so sicher bewiesene mathematische Formeln tatsächlich beschreiben, entscheidet nicht die Mathematik, sondern der Naturwissenschaftler.
Schauen wir uns also die Wirksamkeit von Beweisen in der realen Welt (der «Physis») an – den physikalischen Beweisen.

Der physikalische Beweis

Der naturwissenschaftliche Beweis ist tatsächlich weniger zwingend, als im Allgemeinen angenommen. Zwar hört oder liest man immer wieder das Argument: «Das ist naturwissenschaftlich bewiesen!» – verbunden mit der Erwartung, dass damit jede Diskussion beendet ist. Aber das ist ein Irrglaube: Noch nicht einmal die Daten, die erhoben werden, sind immer eindeutig und allgemein akzeptiert. Noch weniger sind die Vermutungen, diese Daten rechtfertigen eine bestimmte Theorie, anerkannt – im Gegenteil. Selbst ziemlich sicher belegte Theorien setzen sich oft erst in den Naturwissenschaften durch, wenn die Vertreter der alten Schule aussterben. Schauen wir uns einen solchen naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess einmal schematisch an:

  1. Schritt: Die Daten
    In der Naturwissenschaft gilt es zunächst, Daten zu sammeln. Diese Daten sind bereits eine erste Fehlerquelle, denn sie können nur durch Beobachtungen, Messen, Experimente oder gar Forschungsreisen gewonnen werden. Die Mathematik kann bereits erhobene Daten miteinander verbinden – aber sie ist nicht in der Lage, empirische Daten vorherzusagen:

Zum Beispiel muss die Lichtgeschwindigkeit nicht endlich sein, doch in unserer Welt, die sich von all den vorstellbaren anderen mathematisch möglichen Welten unterscheidet, ist sie es. Auch den Wert der Gravitationskonstante muss man messen – weil er eine reale Größe ist. Die Zahl Pi dagegen ist eine mathematische Größe und kann sicher berechnet werden. – Die Grundlagen der Naturwissenschaften, die Daten, lassen sich nur empirisch gewinnen, indem man sich die Welt ansieht und herauszufinden versucht, wie sie beschaffen ist.

Es gilt bei der Beobachtung, mögliche Ungenauigkeiten, Täuschungen oder Fehlmessungen zu vermeiden und oder gar ganz auszuschließen, so dass die Daten unter exakt beschriebenen Umständen jederzeit und jederort identisch erhoben werden können.

  1. Schritt: Die Hypothesen verbinden Daten
    Danach beginnt der theoretische Teil der Forschung: Die Daten werden durch Überlegungen miteinander in Beziehung gesetzt. Es wird nach allgemeinen, möglichst einfachen Erklärungen gesucht, warum die Daten genauso beschaffen sind und welche Mechanismen im Hintergrund wirksam sind. Dabei kann sich nur eine Hypothese etablieren, die mit möglichst wenigen Zusatzannahmen auskommt, möglichst viele Daten erklärt (alle Daten zu erklären wäre ein bisschen viel verlangt) und komplizierte Sachverhalte auf einfachere zurückführen kann.
    Ein wichtiges Kriterium für die Akzeptanz einer Hypothese ist ihre Schlichtheit, Einfachheit oder – wie David Lindley es ausdrückt – ihre Schönheit. Das mag verwundern; aber nach Lindley war vor allem Einstein der Überzeugung, dass «wissenschaftliche Theorien elegant sein sollten, sie mögen auch komplex und schwer zu ergründen sein, dürfen aber nicht erzwungen wirken; sie sollten eine gewisse innere Schönheit besitzen, die ihre Eignung zeigt, die Natur zu beschreiben.»

Noch heute liegen nur wenige direkte experimentelle Beweise für die Allgemeine Relativität vor; aber noch immer werden Physikstudenten von dieser Theorie und der ihnen innewohnenden Anziehungskraft fasziniert, dem Gefühl, etwas mathematisch so tief Befriedigendes müsse notwendigerweise eine tiefe Wahrheit enthalten.

Eine Hypothese, die diesen Anforderungen entspricht, wird nun verallgemeinert: Einmal angenommen, diese Hypothese wäre korrekt – welche Vorhersagen für bisher noch nicht erhobene Daten können gemacht werden? Was folgt daraus für weitere Versuche, Experimente oder Beobachtungen?

  1. Schritt: Experimente bestätigen Hypothesen
    Diese Vorhersagen werden nun gezielt überprüft; neue Experimente werden ausgedacht oder Forschungsreisen (in den Urwald oder zum Mars) werden gestartet, um nun unter den von der Hypothese bestimmten Voraussetzungen nach Daten zu suchen, die den Vorhersagen entsprechen. Erst, wenn die Theorie durch die neuen Experimente bestätigt werden, kann man von einer wissenschaftlichen Anerkennung sprechen.

Das setzt allerdings voraus, dass man Thesen auch wirklich testen kann. Da aber Experimente z.B. im Bereich der physikalischen Grundlagenforschung im Lauf des letzten Jahrhunderts immer schwieriger, kostspieliger, zeit- und arbeitsaufwändiger geworden sind, ist diese Möglichkeit, Hypothesen zu überprüfen, immer seltener geworden. Heutzutage werden ästhetische Urteile («die Schönheit der Hypothesen», s.o.) immer gewichtiger – und zwar nicht infolge irgendeiner bewussten Umgewichtung in der wissenschaftlichen Methode – sondern schlicht in Ermangelung experimenteller Daten.

…und wo ist da jetzt der Beweis?

Der landläufigen Meinung, die Naturwissenschaft liefere in unserer Welt die einzigen wirklich gesicherten Erkenntnisse, widerspricht diese nähere Betrachtung natürlich. Das mag große Enttäuschung für die Gläubigen der Naturwissenschaften sein: Naturwissenschaftliche Beweise sind immer nur Theorien – zudem manchmal experimentell wenig gesichert, immer jedoch auf Widerruf. Bei vielen Erkenntnissen ist sich die Wissenschaft zwar ziemlich sicher, dass ein solcher Widerruf nicht geschehen wird – aber ein echter Beweis, dass die Daten nur so und nicht anders erklärt werden können, ist nicht möglich.

Was landauf, landab als Beweis angesehen wird, ist nichts anderes als eine erneute Gewinnung von Daten, die eine bestimmte Theorie erhärten. Aber das schließt niemals aus, dass die vorhandenen und neugewonnenen Daten nicht auch durch eine andere Theorie erklärt werden können – oder das Daten gefunden werden, die die bisher anerkannte Theorie hinfällig werden lassen.

Echte Naturwissenschaftler stört das nicht. Überzogene Erwartungen an die Naturwissenschaften hat nur derjenige, der ihren wahren Charakter nicht kennt. Für wirkliche Physiker ist das Hypothetische ihre Arbeit eine Selbstverständlichkeit: Max Planck, der Begründer der Quantentheorie, sagte einmal: «Über den Toren des Tempels der Wissenschaft stehen die Worte geschrieben: Du musst glauben.»

Der historische Beweis

Das eigentlich Problem in der Diskussion um die Beweisbarkeit von geistigen Dingen ist einmal die Überschätzung des physikalischen – aber auch die Unterschätzung des historischen (oder juristischen) Beweises. Dinge, die nur einmal passierten und nicht in einem Experiment nachgewiesen werden können, für die wir also nur Zeugen und „Zeugnisse“ (in schriftlicher oder archäologischer Form), bezeichnen wir schnell als „unbewiesen“ oder „unbeweisbar“.

Dabei ist auch die historische Wissenschaft – oder das Gerichtswesen – ein nach exakten Regeln arbeitendes System. Der Hinweis auf viele historische Irrtümer (und Fehlurteile in der Rechtssprechung) ändert daran genauso wenig wie der Vorwurf, die Physik sei kein exaktes System, weil dort ständig viele falsche Theorien aufgestellt wurden.

Bei der historischen und juristischen Wahrheitsfindung geht es im Grunde darum, nach der Glaubwürdigkeit eines Ereignisses und dessen Bezeugung zu fragen. Ist der geschilderte Sachverhalt wahrscheinlich, in sich schlüssig und hatte er Auswirkungen? Sind die Auswirkungen sichtbar, prüfbar und unverfälscht? Gibt es Zeugen für das Ereignis? Gibt es Gründe, die dafür sprechen, dass die Zeugen die Unwahrheit sagen?

Zum Beispiel wird ein junger Mann vor Gericht beschuldigt, zu einer bestimmten Zeit ein Verbrechen begangen zu haben. Er kann ein Alibi vorweisen: Er war zu fraglichen Zeit an einem anderen Ort. Nun, das ist eine Behauptung. Wie will er das beweisen? – Zum Beispiel durch Zeugen, durch Videoaufnahmen oder durch Fotos. Aber auch mit einem Video und einem Zeugen fragt sich der Richter: Woher weiß ich, dass der Zeuge nicht lügt und das Video echt ist? Letztlich können sämtliche Beweise arrangiert, die Zeugen bestochen und Indizien gefälscht sein. Wir kennen das aus guten Kriminal- oder Agentenfilmen oder Romanen.

Hat auch Brutus seinen Ziehvater Julius Caesar erstochen? – Auch hier gibt es keine Möglichkeit der experimentellen Überprüfung; die Geschichte ist einmalig und wiederholt sich nicht im Labor. Es bleibt also nur, nach schriftlichen Zeugnissen zu fragen (Augenzeugen sind in diesem Fall nicht zu erwarten) und – falls Zweifel aufkommen – nach Gründen für eine eventuelles Falschzeugnis (warum sollten Zeitzeugen Brutus in die Liste der Mörder aufnehmen, wenn er nicht dazu gehörte?)

Worum es letztlich geht, ist die Einschätzung eines Zusammenhanges (einer Theorie wie in den Naturwissenschaften) als plausibel; die Einschätzung eines Zeugen als «glaubwürdig» und eines Gegenstandes als «echt». Aber alles das sind Eigenschaften, die wir den Dingen zuerkennen – nichts, was wir experimentell feststellen können. Selbst, wenn wir naturwissenschaftliche Methoden hinzunehmen (wie z.B. DNA-Text, Infrarot-Aufnahmen vom Tatort oder Microfaseruntersuchungen) müssen die Erkenntnisse immer noch interpretiert werden; sie sind nur „Indizien“, keine Beweise. Ein Beweis z.B. für das Alibi ist immer so aussagekräftig, wie wir glauben.

Das gilt zum Beispiel auch innerhalb einer Beziehung: Ob mich mein Partner wirklich liebt, mich betrügt oder hintergeht, ist nicht beweisbar. Es bleibt – trotz aller Bemühungen z.B. einer Privatdetektei – immer eine Frage meines Vertrauens zu dieser Person und meines Glaubens an ihn.

Dabei ist wichtig: Alle Zeugen genießen grundsätzlich einen Vertrauensvorschuss: Ein Zeuge muss seine Glaubwürdigkeit nicht beweisen. Im Gegenteil: Jemand, der seine Aussage anzweifelt, hat die Beweislast.

Und dennoch sprechen die Historiker von „gesicherten Erkenntnissen“ und die Richter „von der erwiesenen Unschuld“. Auch wenn sich diese Beweise auf einer anderen Ebene abspielen als die physikalischen oder mathematischen, so ist der Beweiskraft deswegen nicht geringer – nur die Methoden sind andere.

Die Gottesbeweise

Der mathematische Gottesbeweis

Nun, die Übertragung des bisher Erkannten auf die Theologie ist schnell getan: Einen Gottesbeweis, zwingend wie in der Mathematik, gibt es in der realen Welt nicht.

Einen Entwurf eines mathematischen (zwingenden) Gottesbeweises hat Anselm von Canterbury mit seinem ontologischen Gottesbeweis versucht. Darin geht Anselm von den Begriffen und deren Implikationen aus – und nicht von Beobachtungen oder Wahrnehmungen.
Dieser Beweis ist in der Philosophie und Theologie bis heute viel diskutiert – wie versprochen, will ich hier nicht näher darauf eingehen. Nur soviel: Vermutlich krankt dieser Beweis an der gleichen Beschränkung, die auch der Mathematik zu eigen ist: Es gelingt nicht, die Brücke in die Wirklichkeit zu schlagen, ohne die Allgemeingültigkeit des Beweises zu verlieren.

Das ist nicht weiter schlimm, da es grundsätzlich keinen mathematischen Beweis in der realen Welt gibt – auch nicht in den Naturwissenschaften. Und da Gott als etwas Reales erwiesen werden soll, können wir nicht mehr erwarten.

Der physikalische Gottesbeweis

Ein Gottesbeweis im Range eines physikalischen Beweises ist allerdings ohne Probleme möglich. Wenn ich mir bestimmte Daten am einfachsten erklären kann, indem ich die Existenz eines Gottes annehme, so bin ich allemal auf dem Erkenntnisniveau der Naturwissenschaften. Kann ich sogar bestimmte Daten ausschließlich durch eine bestimmte Annahme (z.B. eines Schöpfers) erklären, habe ich einen echten physikalischen Beweis.

Von den klassischen Gottesbeweisen gehören die «Fünf Wege der Gotteserkenntnis» des Thomas von Aquin in diesen Bereich. Ausgehend von realen Beobachtungen (Bewegung, Zielgerichtetheit, Ursache-Wirkung…) bietet er eine Erklärung an. Zunächst nur eine Hypothese, aber Thomas ist sich ziemlich sicher, das es keine andere mögliche Erklärung gibt. Damit hätte er also einen echten physikalischen Beweis erbracht.

Die Begrenztheit der physikalischen Gottesbeweise war natürlich auch den klassischen Theologen bewusst. Die versuchten auch nicht, mit ihren «Beweisen» jemanden zum Glauben zu zwingen.
Es ging ihnen lediglich darum, zu zeigen, dass der Glaube an Gott kein blinder Entschluss ist (wie z.B. der Glaube an UFOs oder an kleine, fliegende Fettmöpse), sondern vernünftig ist. Nicht die Überzeugung der Atheisten, sondern die Rechtfertigung, dass der Glaube an Gott vor dem Verstand verantwortbar ist, ist Ziel der «Beweise».

Ein Beweis, der einen Menschen, der eine Theorie nicht akzeptieren will, dazu zwingt, seine Position aufzugeben, gibt es weder in der Theologie noch in der Physik oder anderen Naturwissenschaften. (Auch Einstein hat sich zeit seines Lebens gegen die Quantentheorie gesträubt, obwohl die Beweislast erdrückend war – er wollte nicht glauben, deshalb tat er es auch nicht.)

Verabschieden wir uns also grundsätzlich von dieser unrealistischen Vorstellung. Wer behauptet: «Ich glaube erst, wenn Du es mir beweisen hast…» erwartet, von einem Beweis in die Knie gezwungen zu werden; aber da kann er lange warten.

Auf der Ebene der Naturerkenntnis ist eine Erkenntnis, dass es so etwas wie ein geistiges Prinzip geben muss (das wir Christen dann Gott nennen), durchaus möglich. Wir sprechen deshalb von einer natürlichen Erkennbarkeit Gottes (oder, korrekter, von der natürlichen Offenbarung).

Der historische Gottesbeweis

Mögen die mathematischen und physikalischen Gottesbeweise noch so einleuchtend sein: Sie bleiben uns oft innerlich sehr fern.

Ich kenne keinen Mathematiker, der aufgrund einer mathematischen Entdeckung sein Leben sinnlos erachtet hat (außer Kurt Gödel – aber das nur für eine kurze Phase). Mathematik – das spürt schon jeder Schüler – hat mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben (wie Freundschaft, Liebe, Sinn und Glück) nicht viel zu tun.

Ähnliches gilt auch für die Naturwissenschaften: Selbst der beste Chemiker kann keinen Stoff erzeugen, der klug und weise macht; kein Biologe kann die Liebe berechnen und kein Physiker messen, wie weh es tut, einen Menschen zu verlieren. Was wirklich von Bedeutung in unserem Leben ist, fußt fast ausschließlich auf der Ebene der historischen und juristischen Beweise: Nämlich das, was andere Menschen tun, denken und fühlen. Alles, was einmalig ist.

Eine viel größere Bedeutung auch für unseren Glauben spielen die einmaligen, nicht wiederholbaren und nicht experimentell überprüfbaren Ereignisse, Beweisstücke oder Zeugenaussagen, die für mich die Existenz eines Gottes plausibel machen – oder einfach nur glaubhaft erscheinen lassen. Dabei müssen wir uns an die Regeln halten: Die Zeugenaussagen müssen ihre Glaubwürdigkeit nicht beweisen – das geht gar nicht. Kritiker sollten – wie auch vor Gericht – von einem Grundvertrauen in Zeugenaussagen ausgehen und erst aus gutem Grund Fälschungen und Falschaussagen nachzuweisen versuchen.
Von all den genannten Gedankengängen ist – logisch gesehen – der historische Gottes-Beweis der «schwächste»; er lässt sich selten verallgemeinern, ist leicht zu kritisieren und ergibt fast nie einen zwingenden Schluss. Aber dennoch ist er für mich realer:

Mal angenommen, ich bin verliebt. Leider habe ich aber noch kein sicheres Zeichen von meiner Auserwählten, dass sie mich ebenfalls liebt. Vielleicht versucht mein bester Freund, ein scharfer Denker, mir ihre Liebe zu beweisen, indem er ihre Worte und Gesten exakt analysiert und daraus den Schluss zieht, sie müsse in mich verliebt sein.
Allerdings verblasst ein solcher noch so plausibler Gedankengang gegenüber der realen Erfahrung: Wirklich sicher bin ich erst, wenn sie mir tief in meine Augen schaut und ich die entscheidenden Worte aus ihren eigenen Mund höre.
Dabei hat so ein gehauchtes Liebesgeständnis objektiv gesehen den geringsten Wert: In meine Augen zu sehen und «ich liebe Dich» zu sagen, ist nun wirklich ein schwacher Beweis; das kann schließlich jede schauspielerisch begabte Frau. Aber für mich (und ebenso für jede andere verliebte Person) sind die kleinen Zeichen der Aufmerksamkeit (z.B. ein verlegenes Lächeln – Rosen als Geschenk – Gedichte – Warten im Regen) von größerer Aussagekraft als jede Argumentation.

Und deshalb hat Gott diesen Weg gewählt, um sich selbst zu offenbaren: Nicht in der Mathematik und nicht in der Physik, sondern in der Geschichte. In Menschen, die mit ihm einmalige Erfahrungen gemacht haben. Die übernatürliche Offenbarung ist historisch – nicht naturwissenschaftlich und nicht logisch. Denn Gott will von Bedeutung sein für unser Leben – und kein Spezialgebiet der Akademiker.

Fazit

Die mathematischen Beweise sind zwingend – haben aber keinen Aussagewert über die Realität.

Die naturwissenschaftlichen Beweise sind schon nicht mehr wirklich zwingend, dafür aber verallgemeinerbar. Dadurch können sie aber nicht das fassen, was für uns Menschen von entscheidender Bedeutung ist: Alles, was einmalig passiert und – und vor allem das, was freiwillig geschieht.

Der scheinbar schwächste Beweis ist der, der nur durch Zeugen und Indizien erhärtet wird; denn einmalige Ereignisse folgen keinen Naturgesetzen und sind nicht experimentell wiederholbar. Zeugen und Indizien setzen aber Vertrauen (also Glauben) voraus.
Deshalb darf man aber dennoch von einem echten Beweis sprechen – wie es die Juristen und Historiker ja auch tun. Ein sauberer historischer Beweis ist nicht weniger stichhaltig – nur seine Methoden sind andere.

Gott hat für seine Offenbarung vor allem den historischen Beweis gewählt: Denn er ist kein logisches Prinzip und auch keine naturgesetzliche Kraft – er ist ein geistiges, liebendes Wesen. Alles andere als eine historische Offenbarung wäre Gott unangemessen.

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