Im Grunde unterscheidet sich das Gebet für unsere Verstorbenen kaum vom Gebet für die Lebenden. Wer einen Menschen wirklich liebt, wird dafür beten, dass dieser sein Glück bei Gott findet – ob das nun in dieser oder in der jenseitigen Welt ist. Beten können wir also auch für unsere Verstorbenen. Und auch dieses Gebet ist, wie jedes Gebet, keine Magie, sondern ein Werben. – Aber, so könnte man fragen, müssen wir denn noch für unsere Verstorbenen um eine Bejahung Gottes werben? Ist mit dem Tod nicht schon längst alles klar?
Kleiner Exkurs: Das Leben nach dem Tod
Nun, um diese Frage zu beantworten, brauchen wir ein kleinen Exkurs in die sogenannte «Eschatologie», die Lehre von den «Letzten Dingen». Als Ergebnis eines solchen Blicks in den Glauben der katholischen Kirche können wir festhalten, dass die unsterbliche Seele eines Menschen nach der Trennung vom Leib (das nennen wir «Tod») in drei grundsätzlichen Zuständen gedacht werden kann. Für zwei dieser Zustände bedarf es keines Gebetes mehr: Wer nach dem Tod mit seiner Seele in einem «himmlischen Zustand» ist, braucht kein Gebet der noch Lebenden mehr (aber er wird sich dennoch darüber freuen!). Und wer seine Seele in die endgültige Ablehnung Gottes geführt hat, den erreicht kein Gebet mehr. Wer so verschlossen ist, dass selbst Gott ihn nicht mehr berühren kann, ist sicherlich auch den menschlichen Gebeten entzogen.
Die unser Gebet brauchen
Aber es gibt da noch den mittleren Weg: Der Mensch, der zwar sicher erlöst ist (und das auch weiß), aber sich noch nicht ganz von allen weltlichen Bindungen, von allen Zweifeln und von aller Schuld hat lösen können. Dieser Mensch braucht noch Zeit, und in dieser Zeit können wir, die wir noch auf Erden sind, sehr wohl mit unseren Gebeten helfen: Jedes Gebet ist letztlich Liebe, gelebte Beziehung und Hingabe – und das ist genau das, was den Seelen im «Zwischenzustand» fehlt. Sie sind noch nicht bereit zur wahren Liebe, zur ganz freien Beziehung und gelösten Hingabe. Da würde es uns auf Erden auch schon helfen, wenn wir an betenden Menschen sehen, wie schön das ist, was ich noch nicht ganz zulassen kann. So glaube ich fest, dass Gott es diese Seelen sehen lässt, dass wir für sie beten. Weil es ihnen hilft.
Früher nannte man dieses «Gebet für die armen Seelen». Eigentlich keine schlechte Bezeichnung: Wir können mit unserem Gebet die «armen Seelen» reicher machen, ihnen Sicherheit verleihen und ihnen unsere Liebe zeigen. Natürlich wird ein solches Gebet diese Menschen nur erreichen, wenn Gott es will. Das Gebet für die Verstorbenen ist also wiederum keine Magie oder ein seelenloser Zauber, sondern eine Bitte an Gott, unsere Liebe denen zukommen zu lassen, die davon im Jenseits nicht genug haben. Es gibt natürlich keinen Grund, warum Gott diese Bitte abschlagen sollte – im Gegenteil, Gott und die Kirche laden uns dazu ein, für unsere Verstorbenen zu beten (siehe 2 Makkabäer 12,40-45).
Das bittende Gebet für die Verstorbenen ist also in dreifacher Hinsicht beschränkt: Es ist immer nur fürbittendes Gebet, das nur über Gott ankommen kann. Und es ist nicht nötig bei denen, die bereits ganz offen sind für Gott – und vergeblich bei denen, die sich Gott für immer verschlossen haben.
Aber das Gebet für die Verstorbenen ist auch für die Beter heilsam, denn es mildert die Ohnmacht – die größten seelischen Not eines Menschen in der Trauer. Wer einen geliebten Menschen verliert, ist erstens nicht wirklich von ihm getrennt: Er kann noch beten, helfen, heilen und lieben. Und er ist nicht zur Untätigkeit verdammt: Er wird noch gebraucht! Von Gott und vom Verstorbenen!
Das ist vielleicht der größte Trost, den wir einem trauernden Menschen geben können. Oder genauer: Den Gott einem trauernden Menschen schenkt.
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