Das Dogma der «Unbefleckten Empfängnis Mariens» von 1854
Das Dogma, das immer wieder missverstanden wird: Mit «der unbefleckten Empfängnis» ist nicht der Augenblick beschrieben, in dem Maria vom Heiligen Geist Jesus Christus empfing. Selbst theologisch Gebildete verwechseln das oft und setzen die Jungfräulichkeit Mariens mit der Unbefleckten Empfängnis gleich. Fatal! Denn das klingt ja so, als wäre die Tatsache, dass erst durch den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau ein Kind entsteht, eine «Befleckung»! Wer so etwas behauptet, ist ganz sicher nicht katholisch. (Leider wird genau dieser Irrtum als Glaube der Kirche dargestellt, um sie anschließend als leibfeindlich zu bezeichnen …)
Vor einiger Zeit ist diese Verwechslung sogar auf einem großen Kinoplakat verewigt worden – beim Kinostart von »Star Wars – Episode I«. Anakin Skywalker wurde von seiner Mutter geboren, ohne dass diese mit einem Mann geschlafen hatte. Auf dem Kinoplakat hieß es damals: »Anakin Skywalker – Geboren durch unbefleckte Empfängnis«.
So leibfeindlich hätte ich die Werbestrategen gar nicht eingeschätzt. Gehen wir einmal davon aus, dass an diesem Film keine Theologen mitgewirkt haben.
Selbstverständlich »befleckt« der Geschlechtsverkehr nicht die Mutter (und auch nicht den Vater). Als 1854 das Dogma der »Immaculata Conceptio« verkündet wurde, war damit also nicht die Jungfrauengeburt Jesu gemeint, sondern der Zeitpunkt, als die Eltern Mariens (Joachim und Anna) ihre Tochter zeugten.
Bei der Zeugung Marias handelt sich umgekehrt NICHT um eine Jungfrauengeburt (auch dieser Gedanke spukt in manchen Köpfen herum – offensichtlich sitzt der Gedanke, dass Jungfrauen irgendwie weniger befleckt sind, so tief in den Köpfen der Menschen, dass die katholische Kirche wie gegen Windmühlen kämpft). Aber der Volkstradition nach ist die Empfängnis Mariens zumindest wunderbar: Angeblich haben Joachim und Anna Maria erst in hohem Alter empfangen, nachdem sie lange Jahre kinderlos waren. Aber diese Legende ist nirgendwo in der Bibel belegt; sie darf zwar gerne geglaubt werden, aber sollte nicht mit den biblischen Aussagen vermischt werden.
Beim Dogma der unbefleckten Empfängnis handelt es sich um die Glaubensüberzeugung, dass Maria vom allersten Zeitpunkt ihres Daseins an vor jeder Sünde – ja, sogar vor der Erbsünde selbst – bewahrt geblieben ist.
Die Geschichte des Dogmas
Das zweite große Mariendogma hat eine ganz besondere Geschichte, in der sich auch etwas Grundsätzliches über die Entstehung von Dogmen erkennen lässt. Dass heute viele Kritiker der »Unbefleckten Empfängnis« (vor allem aus den protestantischen Kirchen) behaupten, Maria käme damit zuviel Ehre zu, wurde tatsächlich in weiten Teilen der katholischen Theologie genauso gesehen.
Das Problem war, dass es auf der einen Seite in vielen Bereichen der Kirche (schon ab dem 4. Jahrhundert nachweisbar) eine feste Überzeugung gab, dass Maria im größtmöglichsten Sinne »heilig« ist. »Panhagia« – die Ganz-Heilige – nannte man sie in der Ostkirche. Maria, so waren sich die Beter, Bischöfe und Theologen einig, ist die größte unter allen Menschen in der Ordnung Gottes.
Die größtmögliche Heiligkeit – das maximal Denkbare für ein Geschöpf – ist die persönliche Freiheit von Sünden. Aber gerade das wurde -auf der anderen Seite- theologische häufig in Frage gestellt. Denn: »Wäre Maria ohne Erbsünde empfangen – oder zumindest ohne persönliche Sünden geblieben -, so hätte sie die Erlösung Jesu nicht nötig gehabt«. Damit war klar: Die Obergrenze der Heiligkeit Mariens war mit der Freiheit von der Erbsünde überschritten. Maria ist auch erlöst!
Um Maria nicht aus der Schar der Erlösten herauszunehmen, nahmen viel Theologen lediglich eine Sündenfreiheit Mariens an, die zudem erst mit der Empfängnis Jesu einsetzte. Maria, so glaubte man, wurde erst durch die Menschwerdung Jesu in ihrem Schoße geheiligt.
Somit wäre Maria nicht vor der Erbsünde bewahrt geblieben (das hielt man für unmöglich), sondern als sündiger Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt geheiligt.
Ähnliches glaubte man auch von Johannes dem Täufer (der im Mutterleib der Elisabeth geheiligt wurde, als Maria bei ihr zu Besuch war).
Somit war das Fest der Empfängnis Mariens, das schon seit dem 6. Jahrhundert im Osten gefeiert wurde (seit dem 7. Jahrhundert auch in Rom), kein Fest der Unbefleckten Empfängnis. Vielmehr wurde die wunderbare Empfängnis gefeiert, also das Wunder, dass Anna noch im hohen Alter schwanger wurde.
Maria, die Voll-Erlöste
Der Auffassung, dass Maria zwar das Höchstmaß der Heiligkeit zukommt, die unbefleckte Empfängnis aber Maria aus der Schar der Erlösten herauslösen wurde, blieb die katholische Kirche – nachweislich durchgehend – bis zum Auftreten eines der größten Theologen der katholischen Kirche treu: Johannes Duns Scotus (den leider kaum einer kennt).
Was Duns Scotus damit zu tun hat
Sein großes Verdienst war nicht, einen neuen Glaubenssatz zu erfinden, sondern die Vereinbarkeit von Unbefleckter Empfängnis und Erlösung Marias aufzuzeigen. Um den nicht ganz einfachen Gedankengang des klugen Duns Scotus knapp wiederzugeben: »Maria hätte unter der Erbsünde gestanden, wenn sie nicht davor aufgrund des Todes Christi bewahrt worden wäre.« Damit war die Allgemeinheit der Erlösungstat Christi mit der Erbsündenfreiheit versöhnt.
Damit wurde keine neue Glaubenswahrheit eingeführt. Man blieb dabei, Maria die größtmögliche Heiligkeit zuzusprechen. Nur war das, was man für denkbar hielt, nun mehr als noch vor Duns Scotus: Die Obergrenze wurde nach oben verschoben. Die Grundaussage blieb jedoch die gleiche: Gott hat der Mutter Jesu die größte Gnade zukommen lassen, die denkbar ist.
Der eigentliche Grund für dieses Dogma ist weder rein biblisch noch spekulativ-theologisch, sondern eine durchgehende Überzeugung der gesamten Kirche, dass Maria die Voll-Erlöste, die Ganz-Heilige, die Ganz-Gehorsame war. Deshalb ist die Erklärung des Johannes Duns Scotus keine Begründung für dieses Dogma, sondern nur eine Ausräumung von Hindernissen.
Das gleich gilt für Eadmer, der einen anderen Gedankengang zur »Begründung der Unbefleckten Empfängnis« anführte: Decuit, potuit, voluit, ergo fecit. Mit anderen (deutschen) Worten: Weil es der Heiligkeit Mariens angemessen (decuit) ist, weil Gott sie bewahren konnte (potuit) – und auch wollte (voluit), deshalb hat er es auch getan (fecit). In manchen kritisch-evangelikalen Schriften wird das als die eigentliche Begründung des Dogmas lächerlich gemacht. In Wirklichkeit versuchte Eadmer auf gleiche Weise wie Scotus eine nachträgliche Begründung für das, was die Kirche bereits glaubte. Allerdings stellte er sich dabei nicht ganz so intelligent an wie Scotus.
Diese Begründung (decuit, potuit, voluit – ergo fecit) gehört nicht zu den offiziellen kirchlichen Herleitungen einer Glaubenswahrheit.
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