Es gibt manchmal unendliche Diskussionen, die an kein Ende kommen und sich scheinbar im Kreise drehen. Die Frage, wie sicher ein Wissen ist, das wir «lediglich» aus der Religion haben, gehört zum Beispiel dazu. Vor allem kranken solche Diskussion an unklaren Begriffen. Was meinen wir denn, wenn wir «Glauben» sagen? Eine Vermtung? Und was bitte schön soll das «Wissen» sein? Absolut sichere Erkenntnis?

Eine in meiner Erfahrung und zahlreichen Diskussionen sehr hilfreiche Unterscheidung hat der berühmte Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant eingeführt. Auch, wenn Kant so (wie viele Philosophen) nicht immer ganz leicht verständlich ist: Zu diesem Thema hat er etwas geschrieben, was relativ einfach, klar und vor allem hilfreich ist. Kant unterschied nicht nur Glauben und Wissen – sondern fügte noch ein Drittes hinzu: das Meinen.

Meinen – Glauben – Wissen

Kant schreibt:
»Das Fürwahrhalten, oder die objektive Gültigkeit des Urteils, in Beziehung auf die Überzeugung (welche zugleich objektiv gilt), hat folgende Stufen: Meinen, Glauben und Wissen. Meinen ist ein mit Bewusstsein sowohl subjektiv als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten. Ist das letztere nur subjektiv zureichend und wird zugleich für objektiv unzureichend gehalten, so heißt es Glauben. Endlich heißt das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Fürwahrhalten das Wissen. Die subjektive Zulänglichkeit heißt Überzeugung (für mich selbst), die objektive Gewissheit (für jedermann).« (KrV B 850)

Mit anderen Worten:
Meinen (im Sinne von »Vermuten«) ist nach Kant ein Fürwahrhalten, das sowohl subjektiv als auch objektiv unsicher ist. Wir sind genauso bereit, unsere Meinung aufzugeben, wenn uns jemand dazu Anlass gibt, als auch unsere Meinung in ein Glauben oder Wissen zu überführen (indem wir z. B. triftige Gründe für unsere Meinung entdecken, die uns zuvor unbekannt waren).

Ein Meinung ist zum Beispiel »Bayern wird Deutscher Meister« – das mag zwar der Wunsch einiger (aus meiner Sicht seltsamer) Zeitgenossen sein, aber es ist eine unsichere Prognose – jedes Jahr wieder, zumindest am Anfang der Saison.

Glauben ist nach Kant etwas, dass man zwar subjektiv sicher festhält, aber das ich nicht objektiv als solches erweisen kann. Während ich zum Beispiel ganz sicher weiß, was ich letzte Nacht geträumt habe, ist es mir definitiv unmöglich, darüber einen Beweis anzutreten – und somit ist jedes persönliche Ereignis, das nur im Verborgenen meines Subjektes geschieht, ein Gegenstand des Glaubens – nicht des Wissens.

Beispiel: Ich weiß persönlich (subjektiv) sehr wohl, was mir meine beste Freundin unter dem Siegel der Verschwiegenheit ins Ohr geflüstert hat. Da ich aber die einzige Person bin, die das Geflüsterte verstehen konnte, kann ich es niemanden aufweisen oder beweisen. Ich glaube meiner eigenen Erfahrung – kann aber keinen Anspruch auf Wissen erheben.


Wissen dagegen ist etwas, dass sowohl subjektiv sicher – als auch objektiv gesichert ist. Das ist – so gibt sogar Kant selbst zu – allerdings in ständigem Wandel, denn was als objektiv gesichert gilt, hängt von der Gesellschaft und der vorherrschenden Philosophie genauso ab wie von meinem eigenen Standpunkt in Politik, Religion und Welt.

Beispiel: Heutzutage gilt die Existenz des Elektrons als eine gesicherte (und somit objektive) Erkenntnis. Wenn ich auch persönlich von der Existenz dieses negativ geladenen Elementarteilchens überzeugt bin, dann verdient diese persönliche Überzeugung das Etikett Wissen. Noch vor 150 Jahren wäre die Überzeugung, es gäbe ein Elektron, lediglich als Glaube bezeichnet worden.

Will man Kants Definition von Meinen, Glauben und Wissen grafisch veranschaulichen, hilft vielleicht die folgende Tabelle:

Kant’s Begriffsklärung von Glauben – Wissen – und Meinen

Glauben heißt nicht – wissen …?

Bisher war die entscheidende Frage, inwiefern sich »Glauben« von »Wissen« unterscheidet. Nun – der Übergang von Glauben und Wissen liegt nach Kant im objektiven – also nicht im persönlichen, subjektiven und von Vorlieben geprägten – Bereich.

Aber das macht die praktische Unterscheidung, was denn nun konkret lediglich Glauben und was bereits Wissen ist, nicht einfacher. Und das wusste auch schon Kant: Nach Kant können wir lediglich das logisch-mathematische als Gewissheit bezeichnen (und, so fügt der kluge Kopf hinzu, ebenfalls das Sittengesetz. Aber das ist hier nicht unser Thema). Mit anderen Worten:

Was als »objektiv« gesichert gilt, ist letztlich eine Frage der Konvention. Früher war für eine Gesellschaft das Wissen sehr viel weit gefasster: Die Überzeugung z. B., dass es einen Gott gibt, war selbstverständlicher Bestandteil der meisten Gesellschaften. Heute gilt oft nur noch das naturwissenschaftliche Überprüfbare als objektiv gesichert.

Aber selbst wenn für jeden einzelnen Menschen die Konvention der Gesellschaft ein gewichtiger Grund sein mag, sich selbst einer Sache sicher zu sein – es wird dennoch im Leben eines jeden Menschen immer eine subjektive Sicherheit über Dinge geben, die sich objektiv nicht beweisen lassen.

Ob Tante Gisela die Socken, die sie mir geschenkt hat, wirklich selber gestrickt hat, wird sich nicht objektiv beweisen lassen (vor allem, wenn Tante Gisela – Gott hab sie selig – schon von uns gegangen sein sollte). Das wird aber an meiner subjektiven Gewissheit nichts ändern.

Ob ich also im Kant’schen Sinne etwas weiß oder nur glaube, spielt für meine Überzeugung eine untergeordnete Rolle. Wenn wir Kants Definition zugrunde legen, unterscheidet sich für jeden Menschen persönlich vor allem das Meinen vom Glauben/Wissen. Denn der entscheidende Schritt wird vom unsicheren Fürwahrhalten (Meinen) zum sicheren Fürwahrhalten (Glauben bzw. Wissen) vollzogen. Ob ich das, was ich persönlich sicher weiß, auch noch für andere beweisen kann, dürfte für die eigene Überzeugung gar keine so große Rolle mehr spielen.

Tatsächlich können Überzeugungen, die subjektiv sicher sind, unter Umständen niemals bewiesen werden (wie z. B. meine Träume, Gefühle oder persönlichen Erfahrungen); andere subjektiv gewusste Überzeugungen kann ich vielleicht nur deshalb nicht beweisen, weil mir die Bildung, die sprachlichen Voraussetzungen oder einfach nur die Gelegenheit fehlt.
Wenn aber die Rechtfertigung meiner Überzeugung nur von Zufälligkeiten abhängt, spielen diese Umstände für meinen Überzeugungssicherheit keine entscheidende Rolle.

Daher ist es sehr viel angemessener, den Glauben nicht als »Nicht-Wissen«, sondern viel zutreffender als »Nicht-mehr-nur-Meinen« zu bezeichnen.


Glauben heißt »nicht nur Meinen« – Die Wette

Ob ich allerdings etwas nur vermute (»meine«) – oder ob ich überzeugt bin (»glaube«), ist ein himmelweiter Unterschied. Aber dieser Unterschied ist fließender, als es zunächst scheint. Wann habe ich eine feste Überzeugung – und wann nur eine vorübergehende, im Grunde beliebige?

Kant hat sich auch darüber wieder Gedanken gemacht – und wieder ziemlich praktische Konsequenzen gezogen. Demnach ist der Prüfstein zwischen Meinen und Glauben die Wette. Jemand, der etwas nur meint, wird mit Sicherheit nichts oder nur Unbedeutendes auf seine Meinung wetten – im Gegensatz zu jemanden, der glaubt.

In dieser Hinsicht gibt es innerhalb des Glaubens selbst graduelle, fließende Unterschiede. Je nachdem, wieviel ich bereit bin auf meine Überzeugung zu wetten, kann man vom stärkeren oder schwächeren Glauben sprechen.

Dabei muss es nicht unbedingt die klassische Wette mit Wetteinsatz sein. Denn wirkliche Überzeugungen führen zu Entscheidungen und zu daraus folgenden Handlungen. Wenn ich bereit bin, schwerwiegende Entscheidungen und Handlungen mit größerer Tragweite auf meiner Überzeugung zu gründen, so kann sicherlich nicht mehr nur noch von Meinen, sondern muss auf jeden Fall von Glauben oder sogar festem Glauben gesprochen werden.
So kann es passieren, dass ich von einer Sache nicht so ganz fest überzeugt bin – sie aber von der Gesellschaft, in der ich leben, als gesichert angesehen wird – und man deshalb von Wissen sprechen sollte. Eine andere Überzeugung, die mir subjektiv sehr viel gewisser ist, mag aber von der Gesellschaft nicht unwidersprochen übernommen werden – und verdient daher nur die Bezeichnung Glaube.

In besonderen Fällen kann der Glaube sogar subjektiv verlässlicher sein
als das Wissen.

Kants Fazit

Fassen wir Kant zusammen: Glauben und Wissen unterscheiden sich nicht durch die persönliche Stärke der Überzeugung, sondern darin, ob die Überzeugung auch objektiv erwiesen werden kann oder als gesichert gilt. Demnach kann in besonderen Fällen der Glaube sogar subjektiv verlässlicher sein als das Wissen.
Auch wenn Glauben und Wissen in diesem Sinne unterschieden wird, ist eine eindeutige Zuordnung von Inhalten nicht möglich: Dazu ändern sich die Gewissheiten von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Epoche zu Epoche, ja, sogar von Verein und Partei und Religion so stark, dass eine logisch einwandfreie Klärung nicht möglich ist.
Wesentlicher und klarer ist allerdings die Unterscheidung zwischen Meinen und Glauben. Während eine Person nicht bereit ist, auf seine Meinung zu wetten und darauf keine Entscheidungen zu gründen, ist der Glaube von Überzeugung gekennzeichnet – und kann Teile meines Lebens, ja, sogar mein ganzes Leben prägen – auch, wenn diese Überzeugung keine objektive Gewissheit erlangen kann.

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