In den vielen Familien stehen nicht alle Familienmitglieder gleichermaßen im Rampenlicht, einige sind eher zurückhaltend und andere ziehen alle Blicke auf sich. Einer echten Familie macht das nichts aus: Jeder weiß, wie wichtig auch die kleinen und unscheinbaren Kinder sind, wie wichtig der Opa ist, der nur selten ein Wort spricht oder wie wohltuend der schweigsame Onkel ist.
Auch in der göttlichen Familie der Dreifaltigkeit gibt es ein solches wenig beachtetes Mitglied: Den Heiligen Geist. Jeder redet von Gott dem Vater, von Seinem Sohn Jesus Christus wird in jedem Gottesdienst ein Teil seiner Geschichte erzählt – nur der Heilige Geist bleibt oft genug unerwähnt.
Er wird meistens nur im Zusammenhang erwähnt: Wenn wir das Kreuzzeichen machen und uns an die Dreifaltigkeit erinnern, darf er nicht fehlen – warum, weiß keiner so genau, wahrscheinlich nur der Vollständigkeit wegen.
Auch das ureigenste Fest des Heiligen Geistes – das Pfingstfest – wird zwar gerne und ausgiebig gefeiert (meist in Form von Ausflügen und Grillpartys), obwohl kaum einer weiß, WAS wir da feiern (geschweige denn WEN) – vermutlich den Frühling, meinen einige unbeteiligte, glaubensfreie Christen.
Eine letzte „Bastion“ gibt es noch: Die Firmung. Dort soll es den Heiligen Geist noch geben. Und im Rahmen einer solchen Firmvorbereitung ist die folgende Katechese entstanden. Aber genauso wie das Sakrament der Firmung nicht nur eine vorübergehende Episode im Leben des Heranwachsenden sein soll, hat auch die Frage nach dem Heiligen Geist eine Bedeutung über die Firmvorbereitung hinaus.

Was ist das: Geist?

Es ist etwas Eigentümliches mit dem Menschen: Er findet sich nicht einfach ab mit dem, was ist und geschieht. Es gehört zum Wesen das Menschen, nach GUT und BÖSE zu fragen – und das nicht etwa nur aufgrund seiner Erziehung und seiner Kultur – sondern weil er so ist, wie er ist.

Zwei Hunde gehen eine Straße entlang – der eine Hund hat einen riesigen, gut riechenden Knochen im Maul und der andere schaut sehnsüchtig auf diesen Leckerbissen. Und weil der zweite Hund so fasziniert ist von der positiven Aussicht, achtet er nicht auf den Verkehr und wird von einem Lastwagen erfasst und überfahren.
Was macht der erste Hund? Lässt er seinen Knochen fallen und denkt sich „O Gott! Wie konnte das nur passieren? Und das alles nur wegen eines Knochens?“ – Nein. Der erste Hund wird vielleicht vom Lärm der quietschenden Reifen etwas erschreckt ein wenig traben und dann in aller Ruhe seinen Knochen genießen. Reue? Schlechtes Gewissen? Trauer? Das gibt es nur in Tierfilmen.
Eine Mutter dagegen wird wohl kaum zu ihrem Mann sagen: „Liebling, heute Mittag darfst Du gerne zwei Portionen essen – unser Sohn ist heute morgen überfahren worden, da habe ich noch etwas übrig.“ – Vermutlich wird sie gar nicht mehr ans Essen denken – ganz im Gegensatz zu dem oben genannten Hund.
Der Unterschied zwischen dem Hund und der menschlichen Mutter ist nicht, dass der Hund gefühllos ist – Gefühle hat er auch. Aber er ist nicht in der Lage, sich von seinen Gefühlen zu distanzieren, sie zu bejahen oder zurückzustellen. Wenn er Hunger hat, dann ist der Knochen eben wichtig – und das Leben anderer Hunde spielt keine Rolle.

Der Mensch kann das, was er tut, bewerten, einordnen und hinterfragen. Die Mutter kann eben ihr Hungergefühl zurückstellen, weil sie weiß, dass das Leben ihres Kindes mehr wert ist als eine Mahlzeit. Der Mensch kann sogar – wenn auch nicht in allen Fällen – Gefühle kontrollieren, bewusst verdrängen oder auch erzeugen. Er steht eben seiner eigenen Wirklichkeit gegenüber – er ist ihr nicht ausgeliefert.
Das ist keine Kulturerscheinung, wie zum Beispiel Peter Singer meint. Wir können einen Hund oder ein Pferd niemals dazu erziehen, frei sich selbst gegenüber zu stehen. Dem Menschen ist diese Fähigkeit allerdings angeboren.

Nehmen wir einmal Tarzan. Sein richtiger Name ist übrigens Greystoke, aber das weiß kaum einer – und auch Tarzan selber nicht. Als Säugling verschlägt es ihn in den Urwald und er wird von einer fürsorglichen Affenfamilie groß gezogen. Nehmen wir einmal an, sein Affenbruder heißt „Cheetah“.
Der jugendlich Tarzan und sein Affenbruder Cheetah sitzen nun gemütlich auf einem Baum und beobachten aus sicherer Entfernung, wie ein Tiger eine Antilope schlägt und zu seiner Mahlzeit macht. Der Tiger fragt nicht, ob das, was er da tut, gut ist. Auch die Antilope fragt nicht danach – ebenso wenig Cheetah. Tarzan allerdings, obwohl er die gleiche Erziehung wie sein Bruder Cheetah genossen hat, wird sich fragen, ob das, was der Tiger da tut, gut oder böse ist. Er kann aus seiner Haut heraus und sich in die Lage des Tigers versetzen – ebenso in die Lage der Antilope. Nicht etwa deswegen, weil er so erzogen worden ist, sondern allein deshalb, weil er ein Mensch ist und kein Tier. Mit anderen Worten: Weil er geistbegabt ist.

Der Geist des Menschen ist die Fähigkeit, sich zu verhalten. Die Erziehung eines Menschen ist eben keine Dressur. Der Mensch kann den Werten, die ihm zum Beispiel durch die Eltern vermittelt werden, zustimmen oder sie ablehnen. Er kann „Ja“ sagen, oder auch „Nein“. Gerade das ist nicht möglich, wenn der Mensch nicht „Geist“ hätte, der ihn von der Materie unterscheidet.
Deshalb kann die Geistbegabung des Menschen auch keine genetische Eigenschaft sein – damit wäre sie ja wieder nur eine materielle Voraussetzung. Geistbegabung ist dagegen immateriell – seelisch. Der Mensch hat eine Seele, die geistig ist.

Ein Computer (mag er auch noch so schnell und komplex sein) bleibt Materie. Ich habe noch nie gehört, dass ein Computer ins Gefängnis gekommen ist oder auch nur zu einem Bußgeld verurteilt wurde (von Sozialstunden ganz zu schweigen) – denn ein Computer kann nicht böse sein. Das gleiche gilt auch für Waffen oder Sprengstoff: Verhaftet wird immer nur der terroristische Besitzer, der Böses damit vorhat – der Sprengstoff selber wird nicht angeklagt.
Aus dem einfachen Grund, weil weder der Revolver, noch die Bombe oder das Unfallauto geistbegabt sind. Wer aber keinen Geist hat, kann auch nichts anderes tun, als ihm die Naturgesetzlichkeiten vorgeben.
Ein Mensch kann aber auch anders – und gerade das macht seine Geistigkeit aus.

Mit anderen Worten: Geist ist die Fähigkeit, zuzustimmen oder abzulehnen. Etwas romantischer ausgedrückt: Weil der Mensch Geist hat, kann er lieben oder hassen – anerkennen oder leugnen.

Gott ist Geist

Damit ist dem Menschen eine göttliche Gabe gegeben: In der Tradition der Kirche wird gerade in dieser Fähigkeit die Gottähnlichkeit gesehen, von der schon in der Schöpfungsgeschichte die Rede ist.
Wenn der Mensch in seiner Fähigkeit, sich positiv und negativ zu verhalten, gottähnlich ist – dann ist Gott natürlich auch geistig. Er ist derjenige, der absolut frei ist, „Ja“ oder „Nein“ zu sagen. Während der Mensch in seiner Freiheit Gott nur ähnlich ist (denn seine Freiheit wird durch zahlreiche Einschränkungen beeinträchtigt), ist Gott die Freiheit in Person – eben purer Geist.
Die Gottes-kritische Frage, ob es Gott denn überhaupt gibt, wenn man ihn nicht sehen kann, ist natürlich Unsinn: Sehen kann man eben nur die Materie (und noch nicht einmal alle materiellen Dinge, wie z.B. Magnetismus oder Elektronen), der Geist ist logischerweise nicht sichtbar. Aus Sicht eines Menschen, der seine eigene Geistigkeit leugnet und nur das Materielle für real hält, ist diese Frage zwar brennend. Die Antwort ist dagegen ganz einfach: Wer sich selbst als geistiges Wesen erkennt, seine eigene Geistigkeit akzeptiert – beantwortet damit auch die Frage nach Gott.

Der Heilige Geist: Göttliche Homöopathie

Homöopathie heißt: Gleiches wird durch Gleiches behandelt. Ob das mit der Homöopathie im medizinischen Sinne funktioniert, weiß ich nicht. Aber der Grundsatz ist korrekt: Körperliche Leiden können mit einer körperlichen Behandlung kuriert werden – seelische Leiden durch seelische Zuwendung. Man kann zwar auch körperlich z.B. an Einsamkeit leiden, es bleibt aber ein Leiden mit einer seelischen Ursache. Heilen kann man Einsamkeit, Trauer oder Schuldgefühle nicht durch Medikamente, sondern nur durch andere Seelen, die sich dem Kranken zuwenden. Homöopathie eben.
Dieser wichtige, „homöopathische“ Grundsatz allein ist schon ein Hinweis auf die Existenz der Seele: Viele Jahrzehnte lang wurden alle Leiden mit Medikamenten, Elektroschocks und Operationen behandelt – aus dem einfachen Irrglauben heraus, der Mensch sei mit seinem Leib identisch. Wenn es keine Seele gibt, kann ein Leiden auch nur körperlich sein.
Inzwischen ist man weiter: In sogenannten psycho-somatischen Kliniken gibt es sowohl den medizinischen, als auch den seelischen Aspekt. Viele seelische Krankheiten lassen sich einfach dadurch heilen, dass es die Zuwendung einer anderen Seele gibt – homöopathisch eben.
Einsamkeit wird am besten durch menschliche Nähe geheilt; Trauer durch Trost, der von Zuneigung getragen wird; Liebeskummer durch Bestätigung, dass man immer noch liebenswert ist; Zweifel durch Anerkennung; Langeweile durch geistige Anregung – und so weiter.
Wie kann aber ein seelisches Leiden geheilt werden, dass darin besteht, die Seele zu leugnen?
Dazu muss man schon Gott sein. Gottseidank gibt es Gott – und der Heilige Geist ist sozusagen seine medizinische Abteilung. Der Geist ist derjenige, der uns heilt; während in uns alles „Nein“ sagt, bejaht er uns; er versucht alles – von Wärmetherapie bis hin zur Infusion – um unsere Geistigkeit wiederzubeleben; unser „Nein-Sagen“, Leugnen und Hassen in „Ja-Sagen“, Anerkennen und Lieben zu wandeln.
Nicht umsonst heißt der Heilige Geist: „Heiliger Geist“ – er ist der Heiler schlechthin. Der göttliche Homöopath.

Der dreifaltige Gott

Gott ist in seinem ganzen Wesen Geist, Gottvater ist genauso Geist wie der Sohn und der, den wir den „Heiligen Geist“ nennen. Denn alle drei sind absolut frei, absolut gut und absolut liebend.
Aber die drei sind dennoch von einander verschieden; vor allem ihre Beziehung zu uns Menschen ist dreifach verschieden: Der Vater ist derjenige, der uns als seine Kinder annehmen möchte – nicht nur als Geschöpfe, die er mag, sondern als Kinder, die seinem Sohn gleichgestellt sind; er lädt uns ein, Teil der Dreifaltigkeit zu werden.
Der Sohn ist derjenige, der sich an unserer Stelle den Folgen der Sünde gestellt hat und seine Göttlichkeit mit unserem Menschsein verbunden hat. Er hat den Weg zum Vater geebnet und bietet uns seinen Leib an, damit wir mit Ihm Teil der Dreifaltigkeit werden können.
Der Geist ist nun derjenige, der uns überhaupt erst in die Lage versetzt, dieses Angebot anzunehmen – „Ja“ zur Erlösung zu sagen. Er ist der „Maulwurf“ in unserem Herzen, er ist die Arznei, die uns frei macht. Er ist der Beistand, der das werden lässt, was Gottvater uns anbietet und Gottsohn an unserer Stelle lebt: Teil der Dreifaltigkeit zu werden.
Das klingt vielleicht sehr poetisch und vergeistigt, mag sein. Aber es gibt innerste Geheimnisse in einer (menschlichen und göttlichen) Liebesbeziehung, die man nur erzählen kann, wenn man den Mut zur Poesie hat.

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