In der immer wieder diskutieren Frage nach der Möglichkeit, eine Ehe zu scheiden und danach eine weitere Ehe einzugehen, wird selten der biblische Befund ins Spiel gebracht. Was nicht sonderlich überrascht: Die Aussagen Jesu dazu sind eindeutig. Da wäre die Diskussion schnell zu Ende. – Oder sie würde sich ab da nur noch um die Deutung der Bibelstelle und deren Kontext drehen. «Ich bin sicher, dass Jesus das heute nicht mehr so sagen würde. Vielleicht ist die Ablehnung der Ehescheidung durch Jesus zeitbedingt? Vielleicht meinte Jesus etwas anderes – zum Beispiel die Selbstbestimmung der Frau?»

Keine Sorge – diese (manchmal doch sehr abwegige) Textumdeutung ist in diesem kurzen Artikel ebensowenig zu erwarten wie das einfache Wiederholen der Aussage Jesu. Denn zwischen den Zeilen gibt es dann noch etwas, das wir von Jesus lernen können.

Der Textbefund

Die Aussagen Jesu zur Ehescheidung finden sich fast wortgleich sowohl bei Matthäus, Lukas als auch bei Markus. Im Markus-Evangelium folgt unmittelbar darauf die Erzählung der Segnung der Kinder:

Markus, Kapitel 10: Da kamen Pharisäer zu ihm und fragten: Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau aus der Ehe zu entlassen? Damit wollten sie ihn versuchen. Er antwortete ihnen: Was hat euch Mose vorgeschrieben? Sie sagten: Mose hat gestattet, eine Scheidungsurkunde auszustellen und die Frau aus der Ehe zu entlassen. Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie männlich und weiblich erschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. Zu Hause befragten ihn die Jünger noch einmal darüber. Er antwortete ihnen: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Und wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.
Da brachte man Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Die Jünger aber wiesen die Leute zurecht. Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn solchen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie. (Mk 10, 2-16)

Es fällt vielleicht nicht auf den ersten Blick auf, aber Jesus wiederholt nicht etwa das Gebot zur Ehescheidung («Und deshalb sage ich Euch: Du darfst weder die Ehe brechen noch eine bestehende Ehe auflösen!»). Vielmehr beschreibt er nur, was das Ausstellen einer Scheidungsurkunde bedeutet.

Paradoxe Wünsche

Vor einiger Zeit berichtete mir ein Vater, dass sein Sohn beschlossen hätte, schwimmen zu lernen, – aber unter einer Bedingung: «Ich gehe erst ins Wasser, wenn ich schwimmen kann!» – Und ein anderer Vater berichtete von den Plänen seines Sohnes: «Wenn ich groß bin, dann gründe ich eine Band. Aber nur mit mir alleine!»

«Wenn ich groß bin, dann gründe ich eine Band. Aber nur mit mir alleine!»

Paradoxe Wünsche nennt man das. Denn beide Teile des Wunsches schließen einander aus. So berechtigt, wie die Bestandteile jeweils für sich sind (eine Band gründen zu wollen, ist ein genauso legitimer Wunsch wie der Beginn einer Solo-Karriere), lassen sie sich nicht gleichzeitig verwirklichen.

So ist auch der Wunsch, nach einer gescheiterten Ehe eine zweite Beziehung zu ermöglichen, nicht an sich schlecht. Aber er bedeutet gleichzeitig das Ende der Ehe, die Juden und Christen vor Augen haben: Nämlich das unbedingte Versprechen auf Lebenszeit. Wer daran festhalten will, kann keine Zweit-Ehe wünschen; wer eine Zweit-Ehe wünscht, kann nicht an dem Wesen der Ehe festhalten.

Jesus erneuert also nicht ein Gebot, sondern deckt die Paradoxität (also die Widersprüchlichkeit bzw. Unvereinbarkeit) der Pharisäer auf. «Versteht doch: Wer aus der Ehe entlassen wird und eine neue Ehe eingeht, begeht Ehebruch!» Das ist mehr eine Feststellung als eine Ermahnung.

Als Fazit könnte Jesus nun ziehen: «Ihr müsst Euch entscheiden, was Ihr wollt. Eine unauflösliche Ehe mit einem unbedingten Versprechen – oder eine Ehe, die zwar auf Dauer angelegt ist, aber immer unter dem Vorbehalt steht, dass sie einer anderen Verbindung weichen muss, wenn die nötigen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.»

Aber die Freiheit, das Wesen der Ehe entweder in die eine oder andere Richtung zu bestimmen, wird von Jesus nicht erwähnt.

Die Natur der Ehe

Jesus bezieht sich in der Frage, ob er lieber eine klassische (aber unauflösliche) Ehe bevorzugt oder eine liberale (und auflösbare) Ehe propagiert, nicht auf den göttlichen Willen oder ein Gebot.

Ich meine, er hätte durchaus das Format eines Gesetzgebers gehabt: «Ihr habt gehört, dass Gott zu den Alten gesprochen hat und ihnen das Gebot … gegeben hat. Ich aber sage Euch: …!» So hat Jesus schon bei Matthäus mehrfach gesprochen.

Jesus erlässt kein neues Gebot – und er wiederholt auch kein altes. Er beschreibt lediglich, wie der Mensch erschaffen wurde: Als zweigeschlechtlich («als männlich und weiblich»), aufeinander hingeordnet («darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen»), um in der ehelichen Beziehung Glück zu finden («und sie werden ein Fleisch»).

Jesus schließt diese Beschreibung der Natur des Menschen, indem er irdischen Autoritäten schlicht die Möglichkeit abspricht, die Ehe anders zu regeln («was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.») Die Ehe ergibt sich also aus der Natur des Menschen und lässt sich (entgegen der damaligen und heutigen Ansicht) durch religiöse Autoritäten nicht einfach abändern. Die religiösen Eheschließungsformen und -rituale sind eine Frage des Glaubens. Aber der paradoxe Wunsch, eine unauflösliche Ehe durch eine Zweit-Ehe abzulösen, fällt nicht in die Kompetenz einer religiösen Institution.

Kindliches Vertrauen

Manchmal erscheint die Abfolge, die ein Evangelist für die einzelnen Reden und Geschichten über Jesus festlegt, eher zufällig. Dabei ist sie das selten; und auch in diesem Fall ist es von großer Bedeutung, dass nach der Rede über die Ehe die Erzählung von der Segnung der Kinder folgt.

«Pass auf dich auf!» ist nur eine andere Formulierung von «Ich liebe dich!»

Es macht einen großen Unterschied, ob ich in Gott, Jesus oder der Kirche einen kalten Gesetzgeber sehe. Dann werde ich alle Gebote und Regeln als Bevormundung und Schikane empfinden, ganz gleich, wie gut sie begründet sind. Erkenne ich aber in Gott den, der mich liebt und es bedingungslos gut mit mir meint, dann haben die Gebote eine andere Bedeutung.

Wir kennen das aus der Erziehung unserer Kinder. Wenn wir diesen auf dem Weg nach draußen zurufen: «Zieh dir was Warmes an!», dann wird das von unseren lieben Kindern zwar als lästig empfunden. Aber eigentlich steckt hinter dieser Aufforderung die Sorge um die Kinder. Weil sie uns wichtig sind.
Wenn wir unsere Kinder nicht lieben würden, dann wäre es uns auch egal, ob sie gut für sich sorgen. Im Grund ist also jedes «Pass auf dich auf!» nur eine andere Formulierung von «Ich liebe dich!»

Wenn wir – so wie die Kinder in der Segnung durch Umarmung und Handauflegung – Jesus als liebende Person erfahren, werden wir seine Gebote auch anders aufnehmen. Dann sind sie keine unnötige Gängelei, sondern Ausdruck seiner Liebe. Wer auch in der Kirche eine liebende Mutter erkennen kann, wird einen veränderten Zugang zur kirchlichen Ehemoral entdecken (die sie sich ja nicht selbst gegeben hat, sondern vom liebenden Vater empfangen hat). In der Sorge der Kirche mütterliche Liebe zu sehen, mag zwar in der heutigen Zeit etwas ungewöhnlich sein, dürfte aber zumindest voll im Trend der Aufwertung des Weiblichen liegen.

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