Nicht nur Kritiker jeder Religion, sondern inzwischen auch viele Christen sind davon überzeugt: »Jeder Gaube, der von seiner eigenen Wahrheit überzeugt ist, führt zur Intoleranz, Mission und schließlich zur Gewalt.« — Nicht nur Richard Dawkins fordert, dass religiösen Menschen die Kinder entzogen werden, damit sie zu freien Menschen erzogen werden könnten: Es scheint eine ausgemachte Sache, dass Religion aus friedliebenden Menschen intolerante, zum Terror neigende Gewalttäter macht. Das mag der momentanen Nachrichtenlage geschuldet sein, derzufolge die Krisenherde und Kriege weltweit zumeist einen religiösen Hintergrund haben.
Vielleicht ist auch die frühere Behauptung, alle Religionen würden doch den gleichen Gott verehren, Grund für diese Ansicht: Wenn alle Religionen im Grunde gleich sind, sich aber ein nicht geringer Teil der Religionen (zumindest in den Nachrichtensendungen) als gewalttätig präsentiert, dann sollten aus Sicherheitsgründen auch alle Religionen abgeschafft werden.
Denkfehler (1)
Keinen religiösen Glauben zu haben, ist auch eine Weltanschauung mit Wahrheitsanspruch. — Es ist ein klassischer Logikfehler: Wer behauptet, es gebe keine Wahrheit, beansprucht zumindest für diese Aussage eine letztgültige Wahrheit. Wer alle Religionen abschaffen oder zumindest relativieren will, wähnt sich ebenfalls im Besitz einer absoluten Wahrheit: Dass es keinen Gott gibt oder dass er zumindest nicht erkannt werden kann. Letztlich krankt dieser Logikfehler an der Selbstbezüglichkeit einer Aussage, die etwas über die Relativität aller Aussagen behauptet; genauso wie der selbstbezügliche Bewohner von Kreta, der behauptet, dass alle Kreter lügen. Lügt er nun auch – oder nicht?
Denkfehler (2)
Die Verwechslung von Korrelation und Kausalität. — Es ist zwar Tatsache, dass statistisch gesehen die Anzahl der Haare auf dem Kopf eines Mannes in einem direkten, umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seinem Vermögen steht. Dennoch kann das Vermögen nicht durch einen Gang zum Friseur vermehrt werden. Ebenso wäre es falsch, von der religiösen Färbung eines gewalttätigen Konfliktes darauf zu schließen, dass sich die Konflikte nennenswert verringern, wenn es keine Religion mehr gäbe.
Ohne Wahrheitsanspruch keine Diskussion
Nicht der Wahrheitsanspruch ist das Ende einer Diskussion, sondern die Leugnung jeder Wahrheit. Nicht die Mission führt zur Gewalt, sondern das Verbot jeder Mission. — Zunächst gilt, dass der überwiegende Anteil der Weltbevölkerung friedliebend ist und sich redlich bemüht, Konflikte, Gewalt und Kriege zu verhindern. Ob das auch eine Frucht der Religion ist, mag strittig sein; zumindest gibt es weder eine signifikante Häufung von Gewalt in den besonders religiös geprägten Regionen, noch eine deutliche Abnahme von Gewalt und Verbrechen in den a-religiösen Gegenden.
Zudem sind die meisten Konflikte dieser Welt politisch und wirtschaftlich motiviert, Religion selbst oft nur ein Vorwand (so gehört der überwiegende Teil der Opfer von IS und al Kaida der eigenen Religion — dem Islam — an). In anderen Regionen der Welt, in denen es keine gesellschaftlichen Verwerfungen gibt, leben die unterschiedlichen Religionen friedlich nebeneinander.
Alle glauben doch an den gleichen Gott
Allerdings ist die Behauptung, alle Religionen verehrten letztlich den gleichen Gott, irreführend. Natürlich gibt nur einen Gott (so der Glaube von Christen, Juden und Muslimen), der auf verschiedene Weise angebetet und verherrlicht wird; aber das jeweilige Gottesbild unterscheidet sich doch so sehr, dass keineswegs von einem »gemeinsamen Gott« die Rede sein kann. Von diesem Gottesbild hängt auch ab, ob sich die Religion für kriegerische Zwecke instrumentalisieren lässt; offensichtlich sind einige Religionen dafür anfälliger als andere. Zur Zeit sind weltweit von allen Menschen, die aus religiösen Gründen verfolgt, diskriminiert, gefoltert oder getötet werden, 80 % Christen.
Ebensowenig sind atheistische oder humanistische Organisationen Garanten für mehr Toleranz oder Gewaltfreiheit. Das belegen sowohl die beiden großen atheistischen Regime des letzten Jahrhunderts (der Nationalsozialismus und der Kommunismus), das gilt zur Zeit für den letzten atheistischen Staat (Nordkorea), das spielt sich aber vor unseren Augen auch in der rechten (Neonazis) und linken (Antifa) Radikalistenszene ab.
Nicht zuletzt zeigt die Erfahrung, dass Menschen, die eine klare Überzeugung haben und diese gut vertreten können (ob nun mit religiösem, politischem oder humanistischem Inhalt), diese auch tatsächlich friedlich vertreten. Ihre Mission ist nicht gewalttätig; Gewalt kommt nicht durch einen wie auch immer gearteten Absolutheitsanspruch ins Spiel. Erst, wenn aus mangelnder Gelegenheit zur Diskussion und zum Disput oder durch Verordnung einer »Wahrheit« durch staatliche Gewalt Argumente unterdrückt werden, entstehen Gewaltszenarien. Ein freies Spiel der religiösen und säkularen Kräfte, die jeweils von der Richtigkeit ihrer Sache überzeugt sind und fähig, diese zu begründen, ist die beste Voraussetzung für den Frieden zwischen verschiedenen Überzeugungen.
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