Maria in den Dogmen der Kirche: Die Jungfrauengeburt
Klar: die Jungfräulichkeit Mariens wird bereits in den Evangelien angedeutet. Aber Andeutungen sind nunmal vage…
So verwundert es nicht, dass verschiedene Konfessionen und Sekten, die sich auf die gleichen biblischen Texte beziehen, zu unterschiedlichen theologischen Ansichten über Maria gelangen.
Aber gerade das ist nicht der Grund, weshalb bestimmte Aussagen über Maria zu Dogmen (d. h. zu endgültigen Lehraussagen der Kirche) erhoben wurden. Alle Dogmen wurden formuliert, um Christus zu verherrlichen – bzw. um die Lehre von der Göttlichkeit Jesu zu bewahren und zugleich an seiner wahren Menschennatur festzuhalten.
Das gilt für alle drei großen Mariendogmen, auch für das Dogma der Jungfrauengeburt.
Jungfrau und Mutter
Ein Beleg dafür, dass die Evangelien davon ausgehen, dass Maria als Jungfrau schwanger wurde, ist nicht schwer – sogar bei Markus und Paulus lassen sich deutliche Hinweise finden (s. o.). Vor allem aber bei Lukas heißt es, dass die Empfängnis ein Wunder sei, das nur für Gott möglich sei (Lk 1, 37).
Trotz scharfer Angriffe und spitzer Spötteleien heidnischer Schriftsteller hat die Kirche – bereits in den ersten Jahrzehnten nach Abfassung der Evangelien – immer an der Jungfrauengeburt festgehalten.
Im gnostischen Philippus-Evangelium (aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.) wird z. B. die Jungfrauengeburt zurückgewiesen – weil der Geist als weiblich verstanden wird: »Einige sagen, Maria habe aus dem Heiligen Geist empfangen. Sie täuschen sich. Sie wissen nicht, was sie sagen. Wann hat nämlich jemals eine Frau von einer Frau empfangen?« Das Philippus-Evangelium geht von der Vaterschaft des Josefs aus.
Dagegen hat Kelsos um 180 n Chr. in seiner Attacke gegen die Christen eine andere Variante ins Spiel gebracht: Demnach sei Jesus der Sohn eines Soldaten Panthera gewesen – und Josef habe Maria wegen Ehebruchs verstoßen. (Diese Variante wird heute noch regelmäßig aufgewärmt, so z. B. auch in »Das Leben des Brian«.) Kelsos hielt die Christen für ungebildete Leute und glaubte, sie würden ohne nachzudenken Ideen aus der griechischen Mythologie (in der des öfteren Götter aus dem Olymp herabsteigen und irdische Frauen schwängerten) für bare Münze nehmen.
Der Neuplatoniker Porphyrius (Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr.) sieht allerdings in der Menschwerdung eine schlimmere Verirrung als alles, was die Griechen gelehrt haben: »Ihre Erkenntnis (=die Erkenntnis der Griechen) war eine reinere, als sie der hat, der glaubt, das Göttliche sei in den Leib der Jungfrau gekommen, zum Embryo geworden, so geboren und in Windeln gewickelt worden, ganz beschmutzt …«
Dagegen kann sich der Jude Tryphon den christlichen Glauben von der Geburt Jesu von einer Jungfrau nur als Übernahme aus schändlicher Mythologie erklären: »Ihr solltet euch schämen, so etwas zu erzählen wie die Griechen. Besser wäre es, ihr würdet von diesem Jesus behaupten, dass er als Mensch von Menschen geboren wurde, und würdet, wenn ihr den Schriftbeweis für seine Messianität gebt, erklären, er sei wegen seines gesetzmäßigen und vollkommenen Lebens zum Christus berufen worden. Zu Wundergeschichten sollt ihr euch jedoch nicht versteigen, um nicht wie die Griechen der Torheit bezichtigt zu werden.«
Der Vorwurf, zur Zeit Jesu hätte man noch sehr naiv alles Wunderbare geglaubt – aber heute könne man die Schwangerschaft einer Jungfrau nicht mehr glauben – ist also absurd. Bereits bei Justin (dem Märtyrer, 2. Jahrhundert n. Chr.) finden sich auch alle modernen Einwände gegen die Jungfrauengeburt. Auch damals wusste man, dass zur Zeugung eines Kindes auch ein Vater notwendig war.
Zweifel an der Jungfrauengeburt
Seit Anbeginn der Kirche war die Jungfräulichkeit Mariens Bestandteil des Glaubens, sogar die Reformatoren haben daran festgehalten. Erst die moderne Leben-Jesu-Forschung, die alles aus der Bibel strich, was gegen den naturwissenschaftlichen Augenschein sprach, hat gegen 1830 (vor allem durch D. F. Strauß) die Jungfrauengeburt auch innerhalb der Kirche (zunächst in der evangelischen Kirche, ca. hundert Jahre später dann auch in der katholischen Kirche) zweifelhaft erscheinen lassen.
Das Problem der Kritiker dieser Glaubenswahrheit liegt darin, dass sie von der Unmöglichkeit einer geistgewirkten Empfängnis überzeugt sind – aber nicht erklären können, wie es denn zu einer solchen Glaubensüberzeugung kam. Obwohl verschiedenste Theorien aufgestellt wurden, konnten sich die Kritiker selbst nicht auf eine Herleitung einigen – vermutlich, weil es für alle Hypothesen keinen einzigen Beleg gibt.
Den Einwand mancher Christen, die Jungfräulichkeit Mariens sei nicht biblisch und erst später in den Glauben eingefügt worden, lässt sich leicht zurückweisen. Der Einwand mancher anderer Christen hingegen, es sei doch egal, was die Kirche oder die Evangelien berichten (»Für meinen Glauben spielt es eben keine Rolle, ob Maria Jungfrau oder Mutter einer ganzen Reihe von Kindern gewesen ist!«), stellt nun die Frage, warum die Kirche denn gerade an diesem Wunder so festgehalten hatte. Warum hält die Kirche dann daran fest, wenn die Jungfrauengeburt zu allen Zeiten der Kirchengeschichte ein Hindernis in der Verkündigung war – und heute ein Hindernis in der Ökumene?
V.A.P. / V.I.P. / V.P.P.
V.I.P.?!? – Diese Sammlung von Kürzeln führt uns nun in den Kern der Jungfräulichkeit Mariens. Es geht nämlich einmal darum, auf welchen Zeitraum sich die Jungfräulichkeit Mariens bezieht – aber vor allem darum, wie die Jungfräulichkeit zu verstehen ist:
War Maria nur bis zur Geburt ihres Sohnes Jungfrau? (virginitas ante partum – »Jungfrau bis zur Geburt« – v.a.p.)
Hatte Maria nach der Geburt ihres Erstgeborenen Jesus noch weitere Kinder – die in der Bibel erwähnten Brüder Jesu? Oder blieb Maria auch nach der Geburt Jesu Jungfrau? (virginitas post partum – »Jungfrau nach der Geburt« – v.p.p.)
Oder ist die Jungfräulichkeit sogar so biologisch zu sehen, dass selbst während der Geburt Maria ihre Jungfräulichkeit bewahrt hat? (virginitas in partu – »Jungfrau während der Geburt« – v.i.p.)
V.A.P. – Die Vaterlose Schwangerschaft
Wie bisher gezeigt, ist das Zeugnis der Bibel so zu verstehen, dass Maria vor der Geburt ihres Sohnes Jungfrau gewesen ist. Nicht Josef, nicht ein anderer, sondern Gott ist der Vater Jesu.
Das mag wirklich nach Mythologie, Märchen oder historischer Verklärung klingen; aber die Evangelisten sind in jeder anderen Hinsicht zu nüchtern und realitätsbezogen, dass uns als Christen keine andere Erklärungsmöglichkeit bleibt, als diese Aussage über Maria als historische Tatsachenaussage zu nehmen. So haben es zumindest die Christen aller Zeiten (bis zum 18. Jahrhundert) verstanden.
Allerdings müssen wir bedenken, dass es sich nicht einfach um eine wundergläubige-sensationslüsternde Randnotiz handelt (so ähnlich, wie andere an Ufos oder fliegende Schweine glauben – also einfach nur deshalb, weil es so »strange« oder »spuky« ist). Marias Jungfräulichkeit ist von Anfang an (schon bei Markus, s. o.) ein Garant für die Göttlichkeit Jesu – hat also einen inneren Sinn.
Wäre Jesus z. B. erst bei seiner Taufe zum Messias erwählt worden (wie manche Theologen behaupten), so wäre eine Jungfrauengeburt überflüssig und würde diese Erwählung nur verdunkeln. Wäre Jesus nur ein Prophet oder ein Lehrer der Weisheit und der Selbsterkenntnis, würde der Glaube an seine Vaterlosigkeit seine Akzeptanz bei seinen Hörern nur beeinträchtigen (so etwas nennt man heute »absatzschädigende Legenden«). Nein, es bleibt dabei: Wenn Jesus bereits von Ewigkeiten an der Sohn Gottes gewesen ist und aus der Herrlichkeit Gottes heraus Mensch geworden ist, dann ist die vaterlose Geburt durch eine Jungfrau das deutlichste und angemessenste Zeichen dafür.
V.P.P. – Das »Brüder-Jesu-Problem«
Nun glauben einige, mit der Geburt hätte Maria ihre Aufgabe erfüllt. Warum nicht noch mehr Kinder bekommen? Das ändert ja nichts mehr an der Zeichenhaftigkeit der Jungfrauengeburt. Jesus ist Gottes Sohn – egal, ob es nachher noch andere Kinder gegeben hat.
Nun – tatsächlich würde es unseren Glauben an Jesus Christus als Gottes Sohn nicht erschüttern, hätte Jesus noch jüngere Geschwister gehabt. Der Eifer, mit der manche Kritiker der Jungfrauengeburt auf die Existenz solcher Brüder Jesu beharren, verwundert deshalb.
Wenn die Kirche auch an der v.p.p., also an der Jungfräulichkeit Mariens auch nach der Geburt Jesu festhält, so vor allem deshalb, weil wir Katholiken in der Gottesmutterschaft keine Funktion, sondern eine Person sehen. »Der personale Charakter der Heilsgeschichte« nennt das die Theologie – und das aufzugeben wäre einfach unmenschlich.
Denn die Kirche glaubt nicht, dass Maria nur eine »Aufgabe« zu erfüllen hatte, die auch jeder anderen Person hätte zufallen können. Es war vielmehr Glaube der Kirche von Anfang an, dass Maria in ihrem Personenkern von der Gottesmutterschaft bestimmt und geprägt wurde.
Das heißt nichts anderes, als dass Maria nicht austauschbar ist, das Gott nicht Aufgabe verteilt wie zu Beginn einer Schicht in der Fabrik. Sondern dass Gott uns erschafft und so formt, dass wir in einer Aufgabe auch unsere tiefste personale Erfüllung finden.
Zur Diskussion steht mit der »Jungfräulichkeit auch nach der Geburt« (oder, in der Sprache der Jahrhunderte: Der immerwährenden Jungfräulichkeit) also nicht die Gottheit Christi, sondern die Achtung, die Gott uns als Personen entgegenbringt. Wir sind keine Marionetten, sondern Ebenbilder Gottes.
Das Brüder-Jesu-Problem
Allerdings steht der Glaube an die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens im Gegensatz zur Erwähnung der »Brüder und Schwestern Jesu« (z.B. in Mt 12,46; 13,55f; Mk 3,31M 6,3M Lk 8,19; Joh 2,12; 7,3.5; Apg 1,14; 1 Kor 9,5; Gal 1,19).
Dabei sollte berücksichtigt werden, dass das hebräische keinen Ausdruck für Vetter, Cousinen und dergleichen kennt. Unter »Brüder und Schwestern« sind deshalb (neben den leiblichen Geschwistern) auch Halbbrüder (Halbschwestern), Stiefbrüder (Stiefschwestern) und Cousins und Cousinen gemeint. Der Einwand, die Griechen hätten aber ein eigenes Wort für Vetter und deshalb müsste überall, wo die griechische Übersetzung beim Wort adelphos (Bruder) bleibt, dieses im leiblichen Sinne verstanden werden, ist leicht widerlegt: Im Griechischen wird auch dort eine Verwandtschaft mit dem Wort für »Bruder« bezeichnet, wo der Zusammenhang eindeutig nur Vetter (oder sogar auch Onkel oder Ähnliches) zulässt.
Beispiele: Abraham nennt Lot, den Sohn seines Bruders, »Bruder« (adelphos): Gen 13,8; 14,14.16; desweiteren werden Abraham und sein Neffe Betuel Brüder genannt: gen 24,15 und 24,47f. Außerdem: Gen 29, 12.15; 31.23; 31,32.37; Lev 10,4; Jos 17,4; 2 Kön 10,13; 1 Chr 23,2ff; Ri 9,3; 1 Sam 20,29 – und noch viele andere Stellen.
In der Bibel umfasst »Bruder« eine breitere Verwandtschaft. Noch entscheidender ist allerdings der Zusammenhang von Mk 6,3 (»Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?«) mit Mk 15,40 und 47 (»Auch einige Frauen sahen von weitem zu, darunter Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome« – »Maria aus Magdala aber und Maria, die Mutter des Joses, beobachteten, wohin der Leichnam gelegt wurde«). Demnach sind die zuerst genannten Brüder Jesu Söhne einer anderen Maria.
Über die Frage, ob Maria noch weitere Kinder gehabt habe (oder ob zum Beispiel Josef noch Kinder aus einer ersten Ehe mitgebracht hatte) ist ungewöhnlich viel geschrieben worden. Ein wenig überrascht das schon, wenn man bedenkt, dass es sich bei der v.p.p., der bleibenden Kinderlosigkeit Mariens ja eigentlich um ein alltägliches Phänomen handelt. (Keiner würde der Nachbarsfamilie, deren Sohn keine jüngeren Geschwister hat, ein wunderbares Geschehen unterstellen …!)
V.I.P. – Eine wunderbare Geburt?
Zuletzt sei noch ein Blick auf den Glauben an die Jungfräulichkeit Mariens auch während der Geburt geworfen.
Das apokryphe (d. h. abgelehnte) Jakobus-Evangelium geht dieser Frage auf eine ungewöhnlich drastische Weise nach und behauptet, dass Maria auch im streng körperlichen Sinne Jungfrau geblieben sei (wir sprechen von der »biologistischen« Deutung). Nun – das Jakobus-Evangelium gehört nicht zur Offenbarung und wurde von den frühen christlichen Gemeinden auch aus diesem Grunde abgelehnt.
Damit steht aber auch fest, dass eine streng-biologische Auslegung der Jungfrauenschaft nicht zu unserem Glauben gehört: Einer jungen Frau, der aus irgendeinem Grund das Hymen (das Jungfernhäutchen) reißt, verliert ja nicht ihre Jungfräulichkeit! So betont z. B. auch Origines, dass die Jungfräulichkeit einer Frau nicht durch die Geburt aufgehoben wird, sondern nur durch den Beischlaf.
Eine primitive Auslegung der Jungfräulichkeit in einem rein körperlichen, also biologistischen Sinne wurde von der Kirche immer abgelehnt. Ganz im Gegenteil: Um die wirkliche menschliche Natur Jesu zu sichern (gegen die Gnostiker, die in Jesus eine rein göttliche Lichtgestalt sahen), wurde immer wieder betont, dass auch Maria in vollem und umfassenden Sinne Mutter gewesen ist.
Dennoch blieb auch die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens über die Jahrhunderte weg (auch noch während der Reformation und danach!) allgemeine Glaubensbestandteil. Und das aus einem sehr biblischen und noblen Grund: Maria ist die neue Eva.
Während Eva nach biblischem Verständnis als Folge der Sünde »unter Schmerzen gebären« musste, wird diese Sündenfolge für die Geburt des Erlösers und dessen Mutter aufgehoben (Maria war ja ohne Sünde). Wie genau? Tja, da legt sich die Kirche nicht wirklich fest (was nicht bedeutet, dass sie ratlos ist – sondern vielmehr, dass sie auch mal etwas offen lassen kann!). Sie hält nur fest, dass die Geburt Jesu auf der einen Seite ein wunderbares Geschehen ist (wie auch schon die Empfängnis Jesu), aber gleichzeitig Maria im vollen Sinne die menschliche Mutter Jesu war – mit allem, was eine Mutterschaft mit sich bringt.
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