In einigen Artikeln dieser Seite haben wir uns mit manchmal fehlgeleitete Deutung von Gleichnissen beschäftigt. Allerdings müssen wir zugeben, dass die Deutung von Gleichnissen nicht immer einfach ist – dazu gehört gelegentlich Spezialwissen aus der Zeit Jesu über Bräuche und Kultur. So auch beim Gleichnis von den Zehn Jungfrauen, von denen fünf klug und fünf töricht waren. Führt bei Gott etwa mangelnde Klugheit zum Ausschluss aus dem Himmel?
Gleichnisse deuten ist nicht einfach
Bereits die Jünger zur Zeit Jesu fanden es schon schwierig, eine Gleichnisrede als solche zu erkennen (»Warum begreift ihr denn nicht, dass ich nicht von Brot gesprochen habe, als ich zu euch sagte: Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer? Da verstanden sie, dass er nicht gemeint hatte, sie sollten sich vor dem Sauerteig hüten, mit dem man Brot backt, sondern vor der Lehre der Pharisäer und Sadduzäer.« [Mt 16,11]).
Darüber hinaus ist es für uns moderne Menschen noch einmal zusätzlich schwierig, ein Gleichnis korrekt zu deuten, dass sich auf für uns unbekannte Bräuche oder landwirtschaftliche Techniken bezieht.
Das gilt zum Beispiel für die Eigenschaft von Pflanzen: Wer weiß denn schon, wie winzig das Samenkorn des Senfstrauches wirklich ist und wie ein ausgewachsener Senfbaum (bzw. -strauch) aussieht? (Mk 4,30-32) – Kennen wir die Pflanze, die mit »Unkraut« gemeint ist und die sich in ihrem frühen Stadium nicht von Weizen unterscheidet? (Mt 13,24-40)
Vor allem macht sich unser Unwissen negativ bemerkbar, wenn es sich um soziale oder kulturelle Bräuche – wie z.B. die Hochzeitsbräuche – der damaligen Zeit handelt. Sowohl für die korrekte Deutung des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13) [als auch für das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (Mt 22,1-14)] wird deutlich, wie sehr wir dieses Wissen benötigen:
Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen: Matthäus 25,1-13
Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. – Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
Ein leicht überzogene Reaktion, oder?
Ähnlich wie im Gleichnis vom fehlenden Hochzeitsgewand überrascht auch hier die völlig übertriebene Reaktion des Bräutigams – und die Aussageabsicht, die man daraus schließen könnte: Legt Vorräte an, seid wirtschaftlich vernünftig! Selbst, wenn wir das Öl als Vorrat an guten Werken oder Glauben deuten, wird die Aussage nicht wirklich besser – ist denn der Glaube nicht ein Geschenk?
Erst die Kenntnis der jüdischen Hochzeitsbräuche, die ich von Klaus Berger übernommen habe, lässt das Geschehen in einem ganz anderen Licht erscheinen:
Der Wert des Bräutigams
Es war damals üblich, dass der Bräutigam die Braut in ihrem Elternhaus abholte und vom Brautvater freikaufte. Erst nach Abschluss der Verhandlungen zog der Bräutigam mit seiner Braut in feierlichem Zug zum Hochzeitssaal, in dem er von den Jungfrauen erwartet wurde. – Nun war es eine Tradition, dass der Brautvater mit dem Bräutigam ausführlich verhandelte und von seinen Wohltaten erzählte, die er seinen Töchtern angedeihen ließ, damit sie so liebenswert wurden, wie sie der Bräutigam nun vorfindet.
Je ärmer ein Bräutigam nun war, umso schneller waren die Verhandlungen abgeschlossen: Wo nichts zu holen ist, braucht man auch nicht feilschen. Ein sehr vermögender Bräutigam, der zudem eine sehr liebreizende Braut heimführen wollte, konnte allerdings schon einmal die halbe Nacht durch die Verhandlungen mit dem Brautvater aufgehalten werden.
Der Fehler der törichten Jungfrauen war also nicht die mangelnde Vorratshaltung ihres Lampenöls – sondern die Geringschätzung von Braut und Bräutigam. Zu wenig Öl mitzunehmen (oder zuwenig Öl zu sammeln oder zu reservieren) hieß davon auszugehen, dass bei Brautleuten von geringem Wert auch keine längere Verhandlung erfolgt.
Es geht in diesem Gleichnis also nicht um die mentale Klugheit oder Dummheit der Jungfrauen, auch nicht – im bereits übertragenen Sinn – um die Bevorratung mit guten Werken. Es geht schlicht um die Frage, die Christus schon seinen Jüngern gestellt hat: «Für wen haltet Ihr mich?»
Welchen Wert messen wir unserer Beziehung zu Jesus bei? Glauben wir, dass es wichtiger ist, ein guter Mensch zu sein? Keine Minuspunkte zu sammeln? Eine Anzahl von religiösen Bonuspunkte einzustecken? Oder steht der Bräutigam im Mittelpunkt, weil er es wert ist? Sind wir Freunde, ja: Verehrer des Herrn? Wer auf die Größe und den Wert des Bräutigams setzt, auch wenn er diesem Anspruch nicht (immer) gerecht wird, handelt wahrhaft klug.
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