Es ist offensichtlich, dass der Mensch nicht nur als Seele, sondern auch leiblich existiert. Dabei sind die Leiberfahrungen der Menschen in den verschiedenen Epochen, Kulturen und Geisteshaltungen sehr unterschiedlich. Zwischen der Behauptung (beides sei im Grunde nur ein Prinzip) und der Erfahrung (Seele und Leib seien einander widerstreitende Elemente), positioniert sich die christliche Anthropologie als Mittelweg.
Monismus: Die Leib-Seele-Identität (nicht gut)
Klarstes Beispiel für einen heute gelebten Monismus sind die Zeugen Jehovas. Sie pflegen einen Leib-Seele-Monismus, den sie auf Aussagen der Bibel zurückführen; so verweigern die Zeugen Jehovas bekanntermaßen jede Blutübertragung, weil für sie das Blut mit der Seele des Menschen identisch ist – oder doch zumindest wesentlicher seelischer Bestandteil der Person.
Auch die Vertreter der Ganztod-Theorie (dazu mehr in der Katechese zu »Alternativen Jenseitsvorstellungen«, Heft Nr. 45) nehmen mit dem Tod des Leibes auch ein Aufhören der seelischen Existenz der Person an; inwieweit sich diese Haltungen überhaupt noch von der Leugnung der seelischen Existenz unterscheiden, ist bei den verschiedenen Gruppen und Personen, die diese Ansicht vertreten, mehr oder weniger unklar.
Im Wortsinn sind auch die Leugner einer Seele und Verfechter einer materialistischen Anthropologie Monisten, da sie nur ein einziges Prinzip als Bestandteil des Menschen anerkennen: die Materie. Allerdings wird diese Haltung in philosophischen Kreisen eher Naturalismus oder Materialismus genannt. Der Monismus führt die seelische und leibliche Existenz auf ein gemeinsames Prinzip zurück, während der Naturalismus die seelische Existenz schlicht leugnet.
Tatsächlich deuten im Alten Testament zahlreiche Aussagen auf eine monistische Leib-Seele-Einheit hin, die sich vor allem in den frühen Schichten der Bibel finden. Doch diese Auffassung wandelt sich im Laufe des Judentums; schon vor Jesus hat sich der Gedanke im jüdischen Glauben etabliert, dass der Mensch mit dem Tod des Leibes nicht aufhört zu existieren, sondern seine Seele den leiblichen Tod überdauert und weiterhin existiert. Gleichzeitig kommt bereits im Judentum die Hoffnung auf, dass es eine Wiedervereinigung von Leib und Seele geben wird: im Glauben an die Auferstehung.
Der Leib als Gefängnis der Seele – auch nicht gut
Die dem Monismus entgegengesetzte Ansicht vertrat zu der Zeit, als die jüngsten Schriften des Alten Testamentes entstanden, die griechische Philosophie. Nicht nur Sokrates und Platon waren der Ansicht, dass der Leib das Gefängnis der Seele sei, der Tod also eine Art Befreiungsschlag und letztlich der glücklichste Moment des irdischen Lebens.
Sokrates bat vor seiner Hinrichtung seinen Freund, an seiner Stelle einen Hahn zu opfern, wenn er gestorben sei. Die Opferung eines Hahnes war das übliche Dankopfer eines freigelassenen Sklaven. Sokrates verstand also den Tod als den Moment, in dem die durch den Leib versklavte Seele endlich frei wurde.
Diese Annahme der griechischen (besser: platonischen) Philosophie ist durchaus mit zahlreichen Erfahrungen verbunden; nicht selten sprechen Angehörige nach dem Tod eines langjährig kranken Menschen von einer »Erlösung«. Noch mehr gilt das natürlich, wenn Folter und Gewalt ins Spiel kommen. Aber die Folgerung, jeder Tod sei eine Erlösung, weil die Seele ohne Leib besser dran sei und so eine nie gekannte Freiheit gewinne: Das entspricht nicht mehr unserem Glauben. Der Tod ist und bleibt ein Übel und kein Gottesgeschenk. Mag auch manchmal das Lebensleid eines Menschen größer sein als das Todesleid und damit der Tod willkommen erscheinen: Das kleinere Übel wird angesichts eines größeren Übels nicht zu etwas Gutem.
Allerdings ist es einem Menschen erlaubt, den Tod freiwillig zu erleiden: Zum Beispiel im Martyrium. Den Tod zu erleiden ist ein geringeres Übel als seinen Glauben zu verraten, zu verleugnen oder gar zu verlieren.
Allerdings gilt unbedingt: Das Martyrium (der Tod) darf nicht selbst herbeigeführt werden, um einem anderen Übel zu entgehen.
Gegen die platonischen Dualisten ist allerdings festzuhalten: Die Seele ohne Leib ist keine befreite Seele, sondern eine beraubte Seele; der Tod ist eine Strafe und kein Lohn; der Glaube an die leibliche Auferstehung am jüngsten Tag ist eine Verheißung, und keine Drohung. – Warum das so ist, sehen wir nun im folgenden Abschnitt.
Der Leib als Ausdruck & Verwirklichung – top!
Eine Anthropologie verdient nur dann den Namen »christlich«, wenn der Leib der Seele als unverzichtbar und gottgewollt zur Seite gestellt wird. Die Seele braucht den Leib ebenso wie der Leib der Seele bedarf – beide sind einander komplementär. Das heißt jedoch nicht, das beide gleichartig seien: Der Leib bedarf der Seele, um überhaupt zu existieren; die Seele bedarf des Leibes, um Ausdruck und Verwirklichung ihrer Regungen zu sein. Der Leib ist für die Entwicklung der Individualität unverzichtbar; Träger der Individualität dagegen ist die Seele, deren Fortbestehen über den Tod hinaus Grund für ein Leben nach dem Tod ist. Der Leib zerfällt mit dem Tod, die Seele verliert ihr Veränderungspotential.
An dieser Stelle müsste eigentlich eine »Theologie des Leibes« erfolgen, die deutlich macht, welch überragende Bedeutung dem Leib in der christlichen (zumindest der katholischen) Theologie zukommt. Denn nur die mit dem Leib verbundene Seele kann das Heil ergreifen und sich durch Mitwirkung zu eigen machen. Der Leib ist Ausdruck seelischer Regungen und wirkt zugleich auf die Seele zurück. Was wir leiblich tun, wirkt auf auch unsere Seele zurück. Wenn Erlösung bedeutet, dass wir zu einem neuen Menschen werden, dann gelingt uns das nur im leiblichen Vollzug.
Aber auch wenn es in der Leib-Seele-Existenz eine Rangfolge gibt und im allgemeinen davon gesprochen wird, dass die menschliche Seele den Leib erst forme und mit Leben erfülle, so ist der Leib doch nicht seiner materiellen Eigenschaften beraubt. Unser Körper funktioniert weiterhin nach den Gesetzen der Physik, Chemie und Biologie – und dennoch ist er als Ausdrucksmedium der Seele zu weitaus Größerem in der Lage. Die Seele überformt den Leib, ohne ihm seine Eigengesetzlichkeit und auch seine Eigenständigkeit zu nehmen.
Manche christlichen Theologen wollen – wohl in Anlehnung an die Dreifaltigkeit – im Menschen nicht nur zwei Prinzipien annehmen. Um die Dreiheit auch im Menschen zu finden, sprechen sie von Leib, Seele und Geist. Tatsächlich haben auch Tiere (und Pflanzen) eine Seele und bilden eine Leib-Seele-Einheit; was liegt näher, als den Menschen vom Tier durch die Annahme des Geistes in einen besonderen Rang zu erheben? Dagegen sprechen sich die meisten Theologen, Kirchenväter und Kirchenlehrer dafür aus, der menschlichen Leib-Seele-Einheit nicht den Geist als weiteren Bestandteil hinzuzufügen, sondern die menschliche Seele als eine geistige Seele zu verstehen. So haben die Pflanzen eine vitale Seele (anima vegetativa), die Tiere eine sinnenhafte Seele (anima sensitiva) und der Mensch eine geistbegabte Seele (anima rationale). Wenn wir als von der Geist-Seele des Menschen sprechen, so ist damit nicht eine weitere duale Einheit neben der Leib-Seele-Einheit gemeint, sondern eine besondere Art der Seele.
Ein Großteil des heutige Judentums dagegen unterscheidet Geist und Seele als zwei verschiedene Bestandteile des Menschen. Die Seele (hebr. nefesch oder ruach) sei das allgemeine Lebensprinzip eines jeden Menschen, der Geist (im biblischen hebr. leb – Herz) dagegen das, was die individuelle Persönlichkeit ausmache.
Dennoch liegt der Gedanke der »Dreiheit auch im Menschen« nahe. Tatsächlich findet der Mensch seine Erfüllung und seine Vollkommenheit in der Leib-Seele-Gott-Einheit, die ihm als himmlische Verheißung und als schon beginnend in der christlichen Existenz geschenkt wird.
Falsch wäre allerdings die Vorstellung, dass Gott im Menschen erst ab dem Beginn eines christlichen Leben zu wirken beginnt – beispielsweise ab der Taufe. Im Sinne der »creatio continua« (der andauernden Schöpfung), der »gratia sufficiens« (der zuvorkommenden Gnade) und der »preparatio evangelii« (der Vorbereitung des Evangeliums) wirkt Gott in seiner Schöpfung und auch im Menschen bereits alles, was mit der Freiheit der Schöpfung vereinbar ist, um den Menschen zu seinem übernatürlichen Ziel zu führen.
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