Manche Zeitgenossen meinen, der Begriff «Glauben» beinhaltet schon eine Unsicherheit. Weil etwas zu glauben doch immer bedeutet, es nicht so genau zu wissen. Und deshalb kann es schon rein logisch nie so etwas wie eine «wahre Religion» geben – weil es eben keinen «sicheren Glauben» geben kann. – Nun, dahinter steckt ein sehr eingeschränktes Verständnis von dem, was wir meinen, wenn wir «glauben» sagen. Schon im alltäglichen Sprachgebrauch gibt es verschiedene Weisen, etwas oder jemandem zu glauben. Wer das bedenkt, sieht auch die Religion ganz anders.

Es gibt nicht nur im Deutschen, sondern in fast allen Sprachen nicht nur die eine Bedeutung des Wortes «Glauben» im Sinne von «für wahr halten». Denn das wäre tatsächlich für den religiösen Glauben zu wenig. Vielmehr können wir zumindest drei Bedeutungen unterscheiden, die wir oft mit den gleichen Worten zum Ausdruck bringen, aber doch sehr Unterschiedliches meinen: »Ich glaube, dass«, »Ich glaube Dir« und »Ich glaube an«.

Ich glaube, dass …

… heißt, ich halte einen bestimmten Sachverhalt für (wahrscheinlich) zutreffend. Ich gehe davon aus, dass entsprechend der geprüften Glaubwürdigkeitskriterien (Autorität, Kohärenz, Erfahrung) die Aussage über den Sachverhalt mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Beispiel: Ein unbekannter Mitreisender im Zugabteil erklärt anhand zahlreicher Belege, dass die letzte Wahl in Timbuktu manipuliert war.
Beispiel: Nach dem ich den Spielfilm »JFK« gesehen haben, bin ich davon überzeugt, dass das Attentat auf J. F. Kennedy nicht vom vermeintlichen Attentäter L. H. Oswald verübt worden ist.

Ich glaube jemandem …

… heißt, das für wahr zu halten, was mir der Betreffende sagt. Ich vertraue dem Inhalt seiner Rede, weil der Inhalt den Glaubwürdigkeitskriterien entspricht.

Beispiel: Ein Schüler wird vom Lehrer darüber aufgeklärt, dass ein Quadratmeter 10.000 cm² beinhaltet. Er hatte bis jetzt immer geglaubt, es seien nur 100 cm².
Beispiel: Ein Besucher einer Rennbahn erfährt von einem Insider, dass das Pferd mit der Nummer 7 das Rennen nicht gewinnen wird, weil es eine leichte Verletzung hat.

Ich glaube an jemanden …

… heißt, sich von einer Person (in bestimmter Hinsicht) abhängig zu machen. Ich vertraue dem Betreffenden meine eigene Person (in bestimmter Hinsicht) an, weil der Betreffende den Glaubwürdigkeitskriterien entspricht.

Beispiel: Ein Kind vertraut dem Vater, der ein guter Zirkusartist ist, dass er bei der Übung am Trapez das Kind sicher auffangen wird.
Beispiel: Ein Mädchen erfährt von ihren Freundinnen, dass ihr Freund sie betrügt und ihr nur etwas vormacht. Sie besteht aber darauf, dass sie ihm das nicht zutraut und hält weiterhin zu ihm.

Das würde für den religiösen Glauben an Gott bedeuten:

Ich glaube, dass Gott existiert …

… heißt, ich halte die Existenz Gottes für (wahrscheinlich) zutreffend. Ich gehe davon aus, dass entsprechend der geprüften Glaubwürdigkeitskriterien (Autorität, Kohärenz, Erfahrung) Gott in der Wirklichkeit existiert.

Ich glaube Gott …

… heißt, das für wahr zu halten, was mir Gott mitteilt (evtl. vermittelt durch die Bibel oder die Kirche). Ich vertraue seiner Rede, weil sie vernünftig und weil Gott gut ist.

Ich glaube an Gott …

… heißt, ich mache mich (in einer bestimmten Hinsicht) von Gott abhängig. Ich vertraue ihm meine eigene Person (in bestimmter Hinsicht) an, weil Gott gut und allmächtig und deshalb vertrauenswürdig ist.

Das sind wirklich drei ganz verschiedene Dinge: Zu glauben, dass Gott existiert (1. Version), hat noch nichts mit dem Glauben eines Christen zu tun. Auch Satanisten glauben, dass es Gott gibt – sie halten Gott allerdings für langweilig, anstrengend und schwächlich. (Auch der liebe Anakin Skywalker weiß, dass es die gute Seite der Macht gibt – aber die dunkle Seite der Macht verspricht ihm mehr Fähigkeiten, mehr Macht und schnelleren Erfolg).

Ich glaube Gott (2. Version) ist immerhin ein Glaube im Sinne der Kirche – dort finden sich also Menschen zusammen, die nicht nur an die Existenz Gottes Glauben, sondern auch an seine Offenbarung. Ihre Sicht der Welt, des Menschen, die Auffassung von Gut und Böse und die Zukunft decken sich – sie bilden eine Kirche oder eine kirchliche Gemeinschaft. Aber genau genommen ist das noch immer nicht das, was den eigentlichen Kern des christlichen Glaubens ausmacht.

Erst das Bekenntnis »Ich glaube an Gott« (3. Version) ist ein wirklicher Glaube im christlichen Sinne: Ich vertraue Gott, ich baue mein Leben auf ihn, ich mache mich von ihm und seiner Verheißung abhängig. Eine solche Entscheidung ist eine ganz persönliche Glaubensentscheidung, die von niemanden erzwungen werden darf.

Fazit: Worüber wir reden können

Worüber können wir nun diskutieren?

Uuups – haben wir da ein Eigentor geschossen? Ist die Behauptung «Wer erkannt hat, was Glauben wirklich bedeutet, der kann sich einer Diskussion nicht entziehen mit dem Scheinargument, das wisse doch keiner so genau…« – Und nun haben wir erkannt, dass die Hochform des Glaubens eine persönliche Entscheidung des Vertrauens ist. Das kann dann doch nur bedeuten, dass wir darüber eben nicht diskutieren können! (Wenn ein Mann beschließt, seiner Frau bedingungslos zu vertrauen, sie zu lieben und sich von ihr abhängig zu machen, dann kann man darüber doch nicht diskutieren!)

Nein, das nicht. Aber die beiden Stufen davor (Version 1 und 2) sind ja nicht ausgeschaltet. Sie sind zwar noch nicht der eigentliche Glaube, aber dennoch notwendig. Es wäre ja auch ziemlich behämmert, einem Gott voll und ganz zu vertrauen, von dem man annimmt, dass er gar nicht existiert.
Es ist also notwendig, zunächst ernsthaft zu überlegen, ob es einen Gott gibt – und wenn ja, wie dieser Gott ist. Darüber können wir nicht nur diskutieren – wir müssen es sogar, wenn wir die Welt außerhalb unseres Kopfes ernst nehmen wollen.

Außerdem ist es wichtig, zu fragen, was dieser Gott uns denn sagt. Die Religionen unterscheiden sich zwar nicht in der Annahme, dass es einen Gott gibt – aber die Götter der verschiedenen Religionen stellen sehr unterschiedliche Forderungen, haben ganz verschiedene Botschaften. Glauben wir das, was Gott uns (vermittelt durch eine bestimmte Religion) ausrichten lässt? Auch darüber müssen wir diskutieren, wenn wir die Entscheidung, dass es einen Gott gibt, auch ernst nehmen wollen.
Aber auch über die dritte Entscheidung, diesem Gott ganz und gar zu vertrauen, können wir uns austauschen. Wir können eine Liebe nicht durch Argumente erzeugen (weder die Liebe zu einem Menschen noch die Liebe zu einem Gott). Aber wir können sehr wohl die Frage stellen, ob es denn angemessen ist, diesem Gott (oder diesem Menschen) in diesem Maße zu vertrauen.

Vertrauen

Letztlich läuft das alles auf die Frage hinaus, wieviel Vertrauen ich bereit bin, zu investieren. Das gilt nicht nur für den an Gott Glaubenden, sondern auch für den Wissenschaftler, den Richter und den Ehepartner.
Auch der Wissenschaftler muss seinen Daten trauen, er muss darauf vertrauen, dass die Wirklichkeit so funktioniert, wie er annimmt. Er vertraut den Forschungsergebnissen seiner Kollegen genauso wie den Angaben in den Büchern der Fachliteratur. Der Richter traut seinen Erfahrungen in der Bewertung der Glaubwürdigkeit bestimmter Zeugen, er vertraut den Gutachten der Spezialisten und den Ermittlungen der Polizei. Der Ehepartner traut den Liebeserklärungen genauso wie seinen eigenen Gefühlen, er hört mehr (oder weniger) auf die Einschätzungen seiner engsten Freunde und den Erfahrungen anderer Ehepaare. Der an Gott Glaubende vertraut einer Religionsgemeinschaft, den Berichten von Gebetserfahrungen und Wundern, seinem Verstand und den Dingen die er sieht.

Der Unterschied zwischen den so genannten »harten« Fakten und den »geglaubten Wahrheiten« ist viel geringer, als man gemeinhin glaubt: Für alles das braucht man ein Grundvertrauen in seine Wahrnehmung und in die Erfahrungsberichte anderer – da gibt es keinen Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft.

Wenn es einen wesentlichen Unterschied gibt, dann ist es dieser: Mit den einfachen Fakten der Naturwissenschaften können wir uns diese Welt einrichten. Mit den tieferliegenden Fakten des Glaubenden können wir uns über diese Welt erheben – sogar dann noch, wenn diese Welt längst nicht mehr ist.

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Schlagwörter: , , Last modified: 6. Mai 2020