Die Idee, den Leib und das Blut Christi als Speise und Trank zu sich zu nehmen, ist für alle Menschen und zu allen Zeit verstörend. Nicht weniger Kritiker sprechen dabei von religiösem Kannibalismus, womit sie zumindest ihre Ablehnung des Essens von menschlichem Fleisch zum Ausdruck bringen.
Für Juden war darüberhinaus allein der Gedanke, Blut zu trinken, ein Frevel. Abgesehen davon, dass menschliches Blut natürlich überhaupt nicht als Nahrung in Frage kam, wäre der Genuss selbst eines anderen Blutes schon ein Glaubensabfall. Grundsätzlich haben wir heute aber keine grundsätzlichen Schwierigkeiten, tierisches Blut als Lebensmittel zu verarbeiten und zu konsumieren. Es sei denn, wir sind Zeugen Jehovas.
Diese deuten das alttestamentliche Verbot, jedwedes Blut zu genießen (selbst als Transfusion in Notfällen) als bis heute gültig und verweisen auf eindeutige Stellen im Alten Testament. Für uns Christen jedoch sind genau diese Stellen der entscheidende Grund, am Trinken des Blutes Christi festzuhalten.


Das Blutverbot im Alten Testament

Genesis, Kapitel 9, Vers 3-4: «Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen. Das alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen. 4 Nur Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, dürft ihr nicht essen.»

Levitikus, Kapitel 17, Vers 10-12: «Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen diese Person werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen. 11 Denn das Leben des Fleisches ist im Blut. Und ich selbst habe es für euch auf den Altar gegeben, um für euer Leben Versöhnung zu erwirken; denn das Blut ist es, das durch Leben Versöhnung erwirkt. 12 Deshalb habe ich zu den Israeliten gesagt: Niemand unter euch darf Blut genießen, auch der Fremde, der in eurer Mitte lebt, darf kein Blut genießen.»

Deuteronomium 12,15-16: «Doch darfst du immer, wenn du es möchtest, und überall in deinen Stadtbereichen schlachten und Fleisch essen, soweit der Segen reicht, den dir der HERR, dein Gott, geschenkt hat. Jeder, der Reine wie der Unreine, darf davon essen, wie bei Gazelle und Damhirsch. 16 Das Blut aber sollt ihr nicht genießen, sondern wie Wasser auf die Erde schütten.»

Verwirft Jesus die Gebote des jüdischen Volkes?

Ich darf erneut aus dem sehr erhellenden Buch von Brant Pitre zitieren, der in «Jesus und die jüdischen Wurzeln der Eucharistie» sehr kenntnisreich die jüdischen Schriften durchforstet hat, mehr als nur die Tora. Er stellt zunächst einen scheinbaren Widerspruch zwischen dem jüdischen Blut-Tabu und den Anweisungen Jesu fest, der spätestens im Abendmahlssaal sagt: «Das ist mein Blut – nehmt und trinket daraus!». (siehe Mt 26,26-29; Mk 14,22-25; Lk 22,14-30; Joh 6,53-38 und 1 Kor 11,23-26). Im Johannesevangelium, in dem die Abendmahlsworte nicht überliefert sind, gibt es stattdessen eine lange Rede Jesu in der Synagoge in Kafarnaum, in der er mehrfach betont:

«Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. 54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. 55 Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank. 56 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.» (Joh 6,53-56)

Das war für die Juden unerträglich – und sie bezeichnen seine Rede nicht nur als hart (Joh 6,60), sondern verlassen ihn auch und folgen Jesus nicht mehr nach (Joh 6,66). Was immer man über die jüdischen Tradition weiß, in der Antike waren die Juden schon dafür bekannt, dass sie sich weigerten, Blut zu verzehren.

Umso erstaunlicher ist es, dass Jesus dieses Gebot nicht nur ignoriert, sondern an einer dauerhaften Gesetzesübertretung die Nachfolge seiner Jünger festmacht: «Wenn ihr das Blut des Menschensohnes nicht trinkt, habt ihr nicht das Leben in euch!»

Ist Jesus in diesem Sinne jemand, der das alte Gesetz verwirft?

«Alles halb so schlimm!» – Beschwichtigungsversuche

Eine Möglichkeit, den scheinbaren Gegensatz aufzulösen, ist Jesu Worte über seinen Leib und sein Blut nur bildhaft zu verstehen. Diese Ansicht wird vor allem durch die Reformatoren seit dem 16. Jahrhundert vertreten, im 20. Jahrhundert verbreitete sich die neue Theologie auch innerhalb der katholischen, westlichen Kirche. Der Gedanke, wirklich und wahrhaftig den Leib und das Blut Jesu zu sich zu nehmen, empfanden zunehmend auch Katholiken als unangenehm, wenig kindgerecht (zur Vermittlung bei der Erstkommunion ungeeignet) und für moderne Menschen sogar unerträglich.

Die Argumente klingen dabei den Einwänden der Juden in der Synagoge von Karfanaum verblüffend ähnlich. Aber Jesus reagierte bereits damals auf die Einwände nicht mit verlegener Zustimmung («Klar meine ich das nicht buchstäblich, ich rede in einer Bildsprache zu Euch, versteht ihr das nicht?»), sondern mit einer Bekräftigung («Mein Leib ist wirklich eine Speise und mein Blut ist wirklich ein Trank!»).

An anderer Stelle, als Jesus bildlich vom Sauerteig sprach, die Apostel ihn aber wörtlich verstanden, hat Jesus sehr wohl darauf hingewiesen, dass er vom Sauerteig der Pharisäer nur im übertragenen Sinn gesprochen hat. (Mt 16,5-12).

Auch Paulus betont noch einmal:

«Ich rede doch zu verständigen Menschen; urteilt selbst über das, was ich sage! 16 Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?» (1 Kor 10,15-16)

Die Erfüllung des Gesetzes

Mit einer billigen und schnellen Auflösung werden wir dem damaligen Konflikt und der Aussageabsicht Jesu nicht gerecht. Vielmehr hilft ein Studium der jüdischen Texte. wobei wir es in diesem Fall nicht Brant Pitre gleichtun müssen und neben der Tora noch weitere jüdische Schriften studieren müssen. Die Auflösung liegt bereits im Alten Testament.

Denn das Verbot, Blut zu genießen, hat einen Grund: «denn das Blut ist es, das durch Leben Versöhnung erwirkt.» (Lev 17,11). Wahre Versöhnung und Anteil am Leben des anderen kann aber nicht durch den Genuss von Tier- und Menschenblut geschehen, weshalb dieses im Alten Testament verboten ist. Durch dieses Verbot wird das geschützt, was durch Jesus Christus geschehen soll: Nämlich Versöhnung mit Gott, Anteil an seinem göttlichen Leben und seiner göttlichen Natur. Oder, umgekehrt ausgedrückt: Genau das, weshalb wir von Jesus aufgefordert werden, sein Blut zu trinken, ist der Grund, der im Alten Testament angeführt wird, den Genuss von Blut zu meiden.

Prophetische Verbote

Man kann ein solches Verbot «prophetisch» nennen, weil es seinen eigentlichen Grund erst in der Zukunft hat. Das kennen wir nicht nur beim Verbot des Blut-Konsum, sondern auch beim Bilderverbot: Weil Gott sich erst in Jesus Christus ein Abbild schafft, ist es zuvor verboten, sich selbst von Gott ein Bild zu machen. Auch die Ablehnung des Menschenopfers ist prophetisch: Weil der Sohn sich selbst opfert, hat Gott in der Abraham-Isaak-Erzählung (Gen 22, 1-19) das Menschenopfer verhindert und mit dem Widder, der anstelle von Isaak zum Opfertier wurde, ein Vorausbild auf Jesus gegeben.

Der Fehler, den die Zeugen Jehovas bei ihrer Interpretation der Bibel machen, ist also die Verwechslung eines absoluten Gebotes (wie zum Beispiel die Tötung unschuldigen Lebens) mit einem prophetischem Gebot. Absolute Gebote haben ihren Grund in der Natur von Gut und Böse; prophetische Gebote haben ihren Grund in der Zukunft. Sie sind Vorauszeichen auf eine noch kommende Wirklichkeit, die für uns Christen mittlerweile Realität geworden ist.

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