Selbstverständlich leugnet kaum einer der heutigen katholischen Theologen das Opfer Jesu Christi am Kreuz. »Jesus ist für uns am Kreuz gestorben – zu unserem Heil und als Opfer für unsere Sünden.« Diese und ähnlich formulierte Aussagen durchziehen die Schriften des Neuen Testamentes wie Silberfäden. Eine Leugnung dieser Theologie käme der Ablehnung der Bibel gleich.
Bei der Frage nach dem Opfercharakter der Heiligen Messe geht es eher um die Frage, ob wir nur diesem einmaligen Opfer Christi am Kreuz auf Golgotha – vor nicht ganz 2000 Jahren – gedenken? Oder wird es wiederholt? Oder gar durch ein eigenes Opfer der Gemeinde ergänzt? Oder opfert der Priester?

Selbstverständlich lehnt die katholische Kirche den Irrglauben radikal ab, wir würden das Opfer Christi wiederholen. Der entscheidende Begriff ist: »Vergegenwärtigung«. Das Opfer Christi war ja auch schon am ersten Gründonnerstag im Abendmahlssaal gegenwärtig, ohne dass Jesus am nächsten Tag sein Opfer am Kreuz wiederholt hätte (oder – umgekehrt – das geschehen am Donnerstagabend ein anderes Opfer war als das am Kreuz).

Wenn es sich bei der Messfeier also um eine Vergegenwärtigung des Opfers Christi handelt, dann ist damit der Sachverhalt allerdings noch nicht transparenter geworden: Was genau soll die »Vergegenwärtigung«?

Das Geschehen der Erlösung selber ist nur der Teil, den Gott uns anbietet. Erst, wenn wir dieses Angebot annehmen, vollzieht sich Erlösung an uns – erst dann wird Erlösung fruchtbar.

Für uns Katholiken ist die Annahme der Erlösung ein lebenslanges Geschehen, das sowohl in Gebeten als auch in der persönlichen Heiligung geschieht – grundgelegt im Sakrament der Taufe, genährt durch die Eucharistie.
Das Geschehen der Messfeier besteht also in der Gegenwärtigsetzung der Erlösung – Jesus reicht uns sozusagen vom Kreuz herab die Hand – und in unserem Annehmen dieses Geschenkes. Dieses Annehmen muss allerdings immer wieder erneuert werden – nicht aufgrund einer eventuellen Mangelhaftigkeit des Opfers Christi, sondern aufgrund unserer menschlichen Natur, die sich immer erneuern bzw. wachsen muss, um zu leben – und die so brüchig ist, dass sie immer in der Gefahr steht, das einmal für sich angenommene Gnadengeschenk wieder zu verlieren.
Wenn also neben dem göttlichen Geschehen der »unblutigen Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers« (so die Lehre der Kirche) auch der gläubige Katholik innerlich tätig ist, dann vor allem im Danken für dieses Opfer (»Eucharistie« = Danksagung), dem staunenden Beiwohnen, dem innerlich Ergriffen werden (und sich Ergreifen lassen) und dem sich verbinden mit Christus in seinem Opfer (da wir ja in der Taufe mit Christus eins geworden sind) und dem Eins-werden mit dem Auferstandenen in der Kommunion

Das Opfer der Menschen

Aber es gibt noch ein dreifaches weiteres Opfern, dass vielleicht auch mancher katholischer Priester aus den Augen verloren hat. Es gab nämlich eine Zeit, in der das Opfer Christi in der Volksfrömmigkeit an Bedeutung verloren hatte und das menschliche Opfern (von dem ich gleich reden werde) in den Vordergrund trat. Seit dem II. Vatikanischen Konzil hat die Rückbesinnung auf das eigentliche Opfer Christi den Eindruck erweckt, als wenn ein Festhalten an der menschlichen Opferkomponente vorkonziliar, rückwärtsgewandt und mittlerweile häretisch sei.

Das erste Opfer in der Messe

Das erste menschliche Opfern ist das Darbringen der Gaben, früher auch »Opferung« genannt, heute »Gabenbereitung«. Es ist natürlich nur ein sehr minderwertiges Opfer, indem wir Gott Wein und Oblaten zur Verfügung stellen. Verglichen mit den opulenten Tieropfern des AT kein Opfer, auf das wir uns etwas einbilden könnten.
Aber dennoch ist es ein Opfer, das zunächst die Gemeinde und dann der Priester in Gottes Hände legt. Wir bitten dann, dass Gott uns diese Gaben »verwandelt und zurückschenkt«. Gleichzeitig erkennen wir darin eine gesamtmenschliche Wirklichkeit: Wir geben uns, unsere ganzen Taten, Gedanken und Worte als Opfer in das Opfer Christi mit hinein; alles das ist nicht viel mehr wert im Verhältnis zum Opfer Christi als die Oblaten und der Wein es sind. Aber immerhin: Es ist das Opfer, das Gott annimmt und mit dem Opfer seines Sohnes eins werden lässt.

Das zweite Opfer in der Messe

Aber auch im Anschluss an die Vergegenwärtigung des Opfers Christi gibt es ein zweites menschliches Opfern, das Du vielleicht verstehen kannst, wenn wir ein Blick auf Maria werfen. Der Mutter Jesu wurde der Überlieferung nach nach der Kreuzigung der Leichnam Jesu in den Schoss gelegt. In diesem Augenblick war sie vor die Wahl gestellt, zum Opfer ihres Sohnes auch ein innerliches »Ja« zu sprechen. Sie hat den geopferten Herrn noch einmal selbst wieder »geopfert«: Indem sie nach dem »fiat« bei der Menschwerdung Jesu nun auch ein »fiat« zur Erlösung gesprochen hat, hat sie ihren Sohn in einem sicherlich schmerzhaften Akt dem Vater dargebracht.

»Ich habe einmal einen Traum gehabt, in dem ich auf einer Bergkuppe stehend sah, wie in der Ebene, die vor mir lag, Jesus sein Kreuz nach Golgotha trug. Ich schrie laut ‚Nein! Nicht! Du wirst dort sterben!‘ Plötzlich stand Maria neben mir und legte ihre Hand auf meine Schulter und sagte: ‚Lass ihn; er tut es deinetwegen; und weil er dich liebt, tut er es gerne‘.«

Dabei geht es nicht um Mariologie, auch nicht in erster Linie um das »Opfern der gewandelten Gaben« – sondern der innerlichen Zustimmung zum Opfer Christi – einem schmerzhaften Nachempfinden und Nachvollziehen dessen, was Jesus für uns getan hat. Auch das ist nur ein sekundäres Tun und fügt dem Opfer Christi nichts hinzu. Aber darin findet sich nichts anderes als die »Annahme des Opfers Christi« und die »Annahme der Erlösung«. Das Opfer Christi annehmen, dem Opfer zustimmen, ist ebenfalls ein Opfer.

Das dritte Opfer in der Messe

Und zuletzt bleibt noch das dritte menschliche Opfer – das priesterliche Tun. Das ist vermutlich das Haupt-Missverständnis. Denn wenn man früher ohne Scheu davon sprach, dass der Priester »zur Darbringung des Hl. Messopfers schreite«, so ist man heute geneigt, dem Priester gar keine aktive Rolle mehr zuzugestehen. »Nur einer ist Euer Hohepriester: Jesus Christus« (Hebr 4,14 – 5,10). Aber das würde nicht nur den geweihten Priester am Altar zu einer Marionette eines göttlichen Geschehens machen – sondern auch die Gemeinde, die im allgemeinen Priestertum auch mitbeteiligt ist.

Wir Menschen sind in der Taufe mit Christus eins geworden – und haben Anteil nicht nur an der Erlösung als Frucht, sondern auch an der Erlösung als Geschehen. Wir dürfen (das ist eine Gnade!) miterlösen, mitopfern und mitauferstehen.

Das priesterliche Tun (des Weihe-Priesters am Altar und der Vollzug des allgemeinen Priestertums der Gemeinde) ist also nicht ein zweites Tun neben dem, was Jesus tut. Wenn wir aber zusammen mit Christus handeln – dann opfern wir auch. Würden wir das bestreiten, müssten wir auch das Opfer Christi leugnen. So stellt sich – vor allem bei diesem dritten Opfergedanken der Messe die Frage:

Was ist eigentlich ein Opfer?

Vielleicht ist die moderne »Opfervergessenheit« nur ein Missverständnis, weil der Begriff »Opfer« nicht mehr richtig verstanden wird. Denn die meisten Menschen denken dabei an »Menschenopfer«, »Tieropfer« oder – wenn sie christlich sind – an den Opfertod Jesu. Alle diese Assoziationen sind nicht sehr ansprechend; kein Wunder, dass sich Widerstand regt, wenn nun erwartet wird, dass der »Opfercharakter« der Messe neu akzentuiert werden soll. Da hilft es auch nicht, wenn das Messopfer die »unblutige« Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Jesu ist.

Aber dahinter steht ein viel zu enger, auf blutige Hinrichtungen eingeschränkter Opferbegriff. Natürlich ist es richtig, dass in der frühen biblischen Zeit – und in vielen archaischen Kulturen heute – Tiere geopfert werden; sicherlich kein schöner Anblick. Aber es ging den Menschen dabei nicht um das Blutvergießen; das geopferte Tier war ein Geschenk an Gott – ein sehr wertvolles Geschenk, denn Tiere waren für Nomaden ein wertvoller Besitz. Ja, es kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass Tiere Symbol des eigentlichen Reichtums, des materiellen Besitzes schlechthin waren. (Kein Nomade schleppte das schwere und unpraktische Gold mit sich herum – der Goldreichtum war erst eine Erfindung derjenigen, die in Palästen wohnten).
Aber, was auch immer in verschiedenen Kulturen der Opfergedanke war: Für uns Christen ist Opfer immer auch »Hingabe« – vor allem aus Liebe.

Das größte Opfer ist nicht das, was ich unter Schmerzen und Leid mir abringe, sondern das, was ich aus Liebe tue – und was ich gerne tue. (Joh 15, 13: Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.) So ist jede Hingabe, mit der ich z. B. Kranke pflege, auch gleichzeitig Opfer – selbst wenn ich es gerne tue. Gerade, weil ich es gerne tue – voller Freude, aus Liebe – ist es eine um so größere Liebe und Opfergabe.
Ja, auch die Ganzhingabe z. B. in der Ehe ist Opfer, Hingabe und Liebe zugleich. Und so kann auch der Kommunionempfang – selbst wenn er die Form eines Mahles hat – als Hingabe verstanden werden: Ich gebe mich in die Liebe (in das Opfer) Jesu Christi hinein und bin doch der Beschenkte. So, wie sich auch Eheleute einander hingeben und zugleich Beschenkte sind.
Vielleicht hilft diese notwendige Erweiterung des Opferbegriffes, um deutlich werden zu lassen, dass der Opfergedanke in der Messe hochaktuell und zutiefst beglückend ist (und gar nicht legalistisch und antiquiert). Die Wiederentdeckung des Opfercharakters ist daher kein Rückschritt in der Liturgieentwicklung – weil der Verlust des Opfergedankens kein Fortschritt gewesen ist. Eine Verkleinerung der Liebe und ihrer Auswirkungen ist niemals ein Fortschritt.

Weitere Artikel zur Eucharistie

Weitere Artikel zu den Sakramenten

Unsere neuesten Artikel

Schlagwörter: , , , Last modified: 23. Mai 2020