«So viele Menschen leiden unter den Einschränkungen der Corona-Schutzverordnungen – und die Kirche macht fröhlich weiter? Wir setzten ein Zeichen der Solidarität!» So oder so ähnlich begründen einzelne Gemeinden einen Gottesdienstverzicht – oder fordern ihn andere. – Ist das ein falscher Begriff von Solidarität?
Nein.
Dahinter steckt kein falscher Begriff von Solidarität, sondern ein falsches Verständnis von «Gottesdienst».
Der Gottesdienst als kulturelle Veranstaltung
Einmal angenommen, der Gottesdienst wäre eine kulturelle Veranstaltung, ein Augen- und Ohrenschmaus und eine Gemeinschaftserfahrung. Dann wäre es tatsächlich seltsam, dass Theaterstücke, Konzerte, Opernaufführungen und auch Kinovorstellungen ausfallen müssen, die Kirchen aber davon ausgenommen sind. Denn auch ein schönes Konzert macht Mut, erhebt die Seele, stärkt den Geist und die Freude. Jedes gute Kulturangebot hilft – aber muss zurückstehen angesichts der Gefahren der Pandemie.
Der Gottesdienst als Bedarf des täglichen Lebens
Vielleicht ist der Gottesdienst aber doch anders einzustufen? Zumindest in der Eucharistiefeier wird uns das Brot des Lebens gereicht. Ganz unabhängig von seiner künstlerischen Einkleidung ist das Sakrament so etwas wie ein «Lebensmittel» für die Seele. «Seelenspeise», «himmlisches Manna» in der Wüste. Wenn die Lebensmittelgeschäfte geöffnet bleiben dürfen, weil wir sonst verhungern würden, dann sollte doch auch der sonntägliche Gottesdienst möglich sein – weil sonst die Seele verhungert. Nicht aufgrund von Mangel an schöngeistigen Begleiterscheinung, sondern aufgrund seiner Sakramentalität ist die Messe lebensnotwendig.
Der Gottesdienst als medizinischer Dienst
Meiner Meinung nach rangiert die Feier der Eucharistie aber noch in einer anderen Liga. Die Seele bedarf der sakramentalen Vereinigung mit Christus nicht, weil sie sonst an Unterernährung stirbt. Sondern weil sie sonst Schaden nimmt. Durch den Kommunionempfang werden wir gestärkt im Kampf gegen Sünde, Sinnlosigkeit, Depression; sie verleiht uns Resilienz, Widerstandskraft und macht uns (zunehmend) immun gegen die Versuchungen des Alltags. Christus wirkt durch den Empfang seines Leibes in uns wie ein Vakzin. Nicht gegen leibliche Krankheiten. Sondern gegen den Verfall des Menschen in uns. Weil der Virus der Selbstbezogenheit gerade in dieser Zeit zunehmend um sich greift.
Wer kommt denn auf so eine Idee?!
Eben.
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