Aus der Reihe „Die Liturgie der katholischen Messe – Ohne Voraussetzungen erklärt“
von Helmut Michels, Ibbenbüren
Zwei grundlegende Gotteserfahrungen spiegeln sich in der Messe wider: Gott als der entrückte, unbewegte, majestätische König, vom Menschen mit heiligem Schauer, als mysterium tremendum wahrgenommen und durch eine ungeheure Kluft getrennt. Und Gott als der nahe, liebende, menschenfreundliche Bruder. Diese Gotteserfahrungen einfach mit Gottvater auf der einen und Jesus auf der anderen Seite zu identifizieren (B. Lang), scheint verfehlt. Jesus Christus selbst vereint in sich beide Naturen und Gottesbilder. Und in der Messe scheint Platz für die Begegnung mit beiden: in der unkomplizierten Vertrautheit und in der anbetenden Verehrung. Jeder einzelne kann sie für sich selbst ausgestalten.
Freilich schien die anbetende Verehrung eine zeitlang in den Hintergrund getreten, gewinnt aber neu an Boden. Denn zu nah am Alltag haben sich manche Gottesdienstformen entwickelt, und das nicht Unterscheidende und nicht Unterschiedene verbraucht sich schnell.
Auch die Geschichte der Liturgie spiegelt die beiden unterschiedlichen Gotteserfahrungen wider: Aus vielen Traditionen speist sie sich, wobei wir besonders die Kaiserzeremonien herauszuarbeiten versucht haben.
Aber hat gerade die feierliche Verehrung dem Christen am Beginn des 21. Jahrhunderts noch etwas zu sagen? Ist die herkömmliche Sprache der Messe nicht eine erstarrte, weithin unverstandene Sprache? Und ist die Messe, die „eine begrenzte Anzahl sich wiederholender Handlungen“ genannt worden ist (Lang) – dem Wesen nach nichts anderes als Gotteslob, das immerfort dankt und rühmt und ehrt, gemäß dem, was unserem Gott zukommt, nachdem wir sein und unser Wesen begriffen haben -, ist diese Messe also nicht schlichtweg langweilig? Jedenfalls wird es nicht selten so empfunden.
Zum Langweilen gehören jedoch immer zwei: der, der angeblich langweilt, und der, der sich langweilt. Und gerade um die Langeweile zu vermeiden, scheint es auf unseren Willen anzukommen, auf unsere Bereitschaft mitzutun, auf unsere innere Beteiligung bei den äußeren Zeremonien. Singe ich laut mit, bete ich aufmerksam den vorgegebenen Text? Knüpfe ich selbst und für mich Beziehungen zwischen den einzelnen Liedern und Gebeten und Handlungen während der Messe? Vielleicht ist eine Verbindung oder ein kleiner Unterschied zwischen der zweiten Strophe des „Großer Gott, wir loben Dich!“ und dem sonstigen „Sanctus“ nur mir aufgefallen! Und: versuche ich für mich die Symbole aufzuschlüsseln, dem gesprochenen oder gesungenen Text eine neue, vielleicht nur mir und gerade in diesem Augenblick wichtige Bedeutung zu geben?
Nur weil die alten Texte und Symbole von vielen Generationen durchdacht und geübt und im Kern nicht angetastet worden sind, haben sie genügend Kraft und Tiefe, die uns immer neue Deutungen abverlangen. Demgegenüber bleiben zu viele neue Symbole und in einer Alltagssprache verfassten Texte blass: sie erschließen sich mit einem Satz, eine Wiederholung wäre banal. Und: nur weil die alten Texte und Symbole mehr sind als Augenblickseingebungen, dem leichten Verständnis verschlossen, sind sie alles andere als beliebig und verfügbar, wird unser Sinn für das große Kontinuum geschärft, in das hinein wir alle gestellt sind. Es weitet sich unsere Existenz in die Geschichte und in die Weltkirche, in die Ewigkeit.
So müssen wir begreifen, dass die katholische Messe nichts anderes ist als eben dies: Gott, der Souverän schlechthin, spricht uns an; wir antworten, ich antworte – oder eben nicht.
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