Meine Entscheidung wird Gottes Entscheidung

Nachdem in der kirchlichen Eheschließung die Brautleute die Ehe geschlossen haben, vollzieht der Priester ein nicht unwichtiges Ritual: Er fordert die Eheleute auf, einander die rechte Hand zu reichen, die ineinandergelegten Hände umwickelt er mit seiner Stola, legt seine Hand darauf und spricht: „Im Namen Gottes und seiner Kirche bestätige ich den Ehebund, den Sie geschlossen haben.“ Und, zu den Trauzeugen gewendet, sagt er: „Sie aber und alle, die zugegen sind, nehme ich zu Zeugen dieses heiligen Bundes. »Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.«“

In diesem Augenblick erklärt der Priester die Entscheidung der Brautleute als „von Gott gewollt“. Lassen wir uns diesen waghalsigen Gedanken noch einmal auf der Zunge zergehen: In diesem Augenblick erklärt Gott durch den Dienst des Priesters, dass er diesen Mann und diese Frau von Anfang an füreinander geschaffen hat – und die Entscheidung, gemeinsam den Bund der Ehe einzugehen, mit der Entscheidung Gottes übereinstimmt.

Wow.

Das ist vielleicht das deutlichste Merkmal, dass hier, in diesem Augenblick eine Ehe nicht nur gesegnet wird („Gott wünscht Euch viel Erfolg!“), sondern dass ein Sakrament, also eigentlich Unerhörtes geschieht. Gott lässt sich in die Karten schauen; er erklärt verbindlich seinen Willen und bestätigt eine menschliche Entscheidung.

Vielleicht hast Du schon den Artikel «Ist die Ehe ein Sakrament?» gelesen. Da ging es auch um die Frage, welche sakramentale Wirkung die Trauung denn haben könnte.
Nun, diese Ehe-Bestätigung ist noch nicht die eigentlich sakramentale Wirkung. Aber vielleicht können wir jetzt begreifen, warum nicht nur Protestanten ein wenig zurückschrecken vor der so offenen Bindung Gottes an das menschliche Geschehen der Eheschließung. In diesem Augenblick müssten eigentlich alle Glocken läuten!

Die Erklärung des Priesters: „Eure Ehe ist von Gott gewollt!“ ist aber nicht als moralischer Anspruch gemeint; sondern sie hat etwas ungemein Entlastendes.

Die geborgene Unreife

Jede Entscheidung – vor allem die, eine Ehe einzugehen – braucht Zeit und muss reifen. Irgendwann allerdings muss die Entscheidung gefällt werden, auch dann, wenn sich die absolute Gewissheit (noch) nicht eingestellt hat. Aber einmal, Hand aufs Herz: Kann man sich je absolut sicher sein? Kann es nicht immer passieren, dass man sich Jahre später die Haare rauft und seine eigene Entscheidung als „unreif und voreilig“ einschätzt?
Da ist es sehr beruhigend, dass der Priester diese Entscheidung (und mag sie noch so unreif oder voreilig geschehen sein) annimmt und erklärt, dass es nunmehr nicht mehr nur eine menschliche Entscheidung ist. Gott hat mitentschieden!

Natürlich – das ist eine Glaubensfrage (Gott schickt ja kein Bestätigungszeichen vom Himmel). Aber wenn ich dem, was dort während der Eheschließung geschieht, Glauben schenke, brauche ich ein Leben lang an meiner Entscheidung nicht mehr zu zweifeln – Gott hat ja erklärt, dass er es von Anfang an selbst so entschieden hat.

Natürlich macht Gott seine Entscheidung erst nach der Eheschließung öffentlich – er will ja nicht Eure Entscheidung vorwegnehmen und damit pulverisieren. Erst muss der Mensch seine Entscheidung treffen – dann erst bestätigt Gott, dass er diese Entscheidung wie seine eigene annimmt.

Sagt Gott auch mal „Nein“? Wenn Gott die Entscheidung des Menschen annimmt – kann er sie auch ablehnen? Ja, das kann er; das tut er aber, indem er es erst gar nicht zur Eheschließung kommen lässt; im Zweifelsfall brennt die Kirche ab oder der Priester wird vom Blitz getroffen. Gott hat da ein unbegrenztes Repertoire.

Natürlich gibt es auch Ehen, die zwar im Ritus vom Priester bestätigt werden, aber unter betrügerischen Umständen zustande gekommen sind – weil die Eheleute z.B. bei ihren Ehe-Versprechen bewusst gelogen haben. Dann ist aber weder eine Ehe zustandegekommen, noch eine Ehe durch den Priester bestätigt worden.

Passen wir gar nicht zueinander?

Aber die Bestätigung des Ehebundes durch den Priester hat noch eine zweite beruhigende Wirkung: Denn die Frage, die vor der Eheschließung ausgiebig bedacht werden muss, ist vor allem, ob die Brautleute wirklich zueinander passen. Eine Frage, die sich gar nicht beantworten lässt, die sich aber leider immer wieder neu stellt – auch nach 10, 20 oder 50 Jahren. Die Antwort ist die Antwort, die Gott schon bei der Eheschließung gegeben hat: „Ja, ich habe Euch füreinander geschaffen. Ich habe Euch auf einander hin erschaffen – fähig zu gelebter Harmonie. Natürlich habt Ihr Eure Ecken und Kanten, sonst wäre es ja langweilig. Aber auch Eure Macken und Fehler habe ich aufeinander abgestimmt; ihr seid somit eine Herausforderung – aber auch ein Segen für den anderen. Beides. Wenn Ihr Euch also eines Tages fragt, ob der letzte Streit oder die gestrige Meinungsverschiedenheit nicht endlich den Schluss nahelegt, dass ihr gar nicht füreinander bestimmt seid, dann wisst: Ich, der Schöpfer Eures Lebens und der Gott Eurer Liebe, habe mich nicht getäuscht. Ich weiß, wozu Ihr fähig seid: Euch auch heute so zu lieben, wie am Tage Eurer Eheschließung. Und dazu sage ich: Amen! So sei es!“

Die sakramentale Wirkung

Im Gegensatz zu den Eingangssakramenten wie Taufe, Firmung und Kommunion stärken die beiden Standessakramente nicht die persönliche Gottesbeziehung der Empfänger, sondern versetzen diese in die Lage, andere zu stärken. Wie die Eheleute eigentlich einander in den Himmel helfen sollen, versucht das der Priester für seine Gemeinde.
Die Standessakramente verleihen die dazu nötige Gnade. Durch diese Sakramente sind Priester und Eheleute nun „im Stande“, einander die Liebe Gottes zu schenken – sie sind spürbares „Zeichen der Liebe Gottes“ für den Ehepartner – und gleichzeitig „wirksames Mittel“. Weg oder Ziel?

Soll Liebe denn nicht immer zweckfrei sein? Muss die Liebe der Eheleute nicht vielmehr keinem anderen Ziel dienen, sondern nur um der Liebe willen gewählt werden?

Auf dieser Seite wird mehrfach erwähnt, dass die Ehe das Ziel hat, einander Spiegel der Liebe Gottes zu sein und sich gegenseitig in den Himmel zu helfen.

Für einige Heiratswillige aber ist allein schon die Rede von „Ehezwecken“ oder „Zielen der Ehe“ ein Gräuel. Soll Liebe denn nicht immer zweckfrei sein? Muss die Liebe der Eheleute nicht vielmehr keinem anderen Ziel dienen, sondern nur um der Liebe willen gewählt werden?

Sorry, wenn ich das hier so deutlich sage: Nein. Denn Liebe ist kein Gefühl, dass um seiner selbst willen gepflegt wird. Denn der Liebe wohnt immer ein Ziel inne: Sie will dem Geliebten alles erdenkbare Wohl.
Wenn Liebe aber eine Entscheidung ist – eine Entscheidung für das, was dem Wohl meiner Geliebten dient – dann hat diese Gemeinschaft schon einen Zweck, dann hat die Ehe ein Ziel: Das Wohl des Ehepartner.

Das Ziel der Ehe

Dass die Kirche es nicht bei dem einen Ziel belässt (das gegenseitige Wohl der Ehepartner), sondern direkt noch ein paar hinzufügt, scheint für viele eine typische Überforderung der katholischen Kirche zu sein. Aber – das stimmt nicht, es gilt genau das Gegenteil.
Denn in der Kirche sind Ziele niemals formuliert worden, damit sie durch menschliche Anstrengung erreicht werden – sondern damit wir uns in diese Richtung bewegen. Das Ausrichten auf einer Ziel ist entscheidend („Der Weg ist das Ziel“ heißt es manchmal); dadurch gewinnen wir Sinn in unserem Leben. Und wenn es nicht nur ein Ziel gibt, hat unser Leben eben einen mehrfachen Sinn. Schließlich ist Gott das Ziel, an das wir gelangen wollen und wohin wir unseren Ehepartner mitnehmen – und unsere Kinder. Ja, die Ehe hat einen Zweck, ein Ziel und Ausrichtung. Der Sinn der Ehe liegt nicht in der Ehe selbst – wir sind gemeinsam, in Ehe und Familie, unterwegs. Nach Hause.

Wer dagegen als einziges Eheziel die Vergötterung des Ehepartners anstrebt – oder die Harmonie der Familie; wer zum Beispiel alles dem Frieden im trauten Heim opfert, sogar bereit ist, für seine Familie zu lügen und zu betrügen – der verliert den Sinn, den eine Ehe und Familie hat. Er opfert die Welt „da draußen“ für das kleine Heim „dadrinnen“ … und schließlich wird er auch die Familie und den Ehepartner verlieren, denn keiner kann das erfüllen, was mit diesem Anspruch verbunden ist.

Viele Ehen scheitern nicht daran, dass die Eheleute sie nicht mehr für so wichtig halten. Sondern daran, dass es für die Eheleute nichts wichtigeres gibt. Wenn ich von der Liebe zu meiner Ehefrau und den harmonischen Feiertagen in der Familie das erwarte, was die Menschen früher von Gott und Gottesdienst erhofft haben, dann überfordere ich damit jeden Menschen. Restlos.

Nein – das Ziel der Ehe außerhalb der Ehe zu sehen, entlastet. Dann lassen sich Schwächen und Versagen leichter ertragen und verzeihen, denn keiner muss für den anderen zum Gott werden. Der Gott jedoch, auf den wir uns zubewegen, ist der Meister im Verzeihen, Vergeben und Neu-Beginnen.

Schlagwörter: , Last modified: 25. Januar 2023