Die Seele wird im allgemeinen als Grund von Geistigkeit, Sprache, Freiheit und Moral angesehen. Sie ist zwar nicht direkt nachweisbar – aber muss als Denknotwendigkeit angenommen werden. Aber was soll das sein: Seele? Ist das die Software des Gehirns? Eine materielle Organisationsform? Oder – was?
Die Seele: Keine Funktion der Materie
Die soeben genannten geistigen Phänomen (Sprache, Freiheit, Gewissen, Moral, Gut und Böse – etc.) werden zwar allgemein als tatsächlich vorhanden anerkannt, aber »irgendwie« als Eigenschaften einer hochkomplex organisierten Materie gedeutet. Dabei liegt auf der Hand, dass eine Maschine niemals moralisch handeln kann – weder gut noch böse. Selbst bei Tieren sprechen wir nur im übertragenen Sinn von »gut und böse«; selbstverständlich ist ein Raubtier nicht böse, wenn es seinen Trieben folgt. Jedes Phänomen der Geistigkeit setzt etwas voraus, dass nicht-materiell ist: die Seele.
Jeder Naturalismus (also die Vermutung, die Welt sei nur Materie bzw. naturwissenschaftlich vollständig beschreibbar) scheitert letztlich am Wesen des Menschen, sich selbst zu seinen materiellen Voraussetzungen wertend zu verhalten. Der Mensch ist nicht einfach nur Materie, sondern er besitzt die unleugbare Fähigkeit, sich selbst als auch »materiell« zu erkennen. Unleugbar ist diese Fähigkeit, weil sie zwar mit Argumenten bestritten werden kann; aber allein die Tatsache, dass wir darüber streiten und argumentieren, setzt eine Immaterialität voraus. Diese Wesensbestimmung des Menschen ist mehr als nur eine biologische Eigenschaft, wie z.B. ein homo faber (ein herstellender Mensch) zu sein; diese Wesensbestimmung – unsere Geistigkeit, Freiheit, Moralität, Sprache oder unser Selbstbewusstsein – ist und kann keine Funktion der Materie sein.
Wir Christen nehmen also ein zweites, grundlegendes Prinzip in der Schöpfung an. Wobei dieses Prinzip umfassender ist, als vielleicht gedacht; denn jedem Lebewesen kommt schon ein Anteil an dieser immateriellen Wirklichkeit zu. So sprechen die Philosophen seit Aristoteles bis zur christlichen Scholastik von der immateriellen Pflanzenseele (der anima vegetativa), der ebenfalls immateriellen Tierseele (der anima sensitiva) und der Menschenseele (der anima rationale), die wir auch Geistseele oder geistbegabte Seele nennen.
Daher sollten wir tunlichst die Immaterialität und die Geistigkeit unterscheiden: Auch Tiere und Pflanzen haben eine immaterielle Seele, die aber noch nicht geistbegabt (lateinisch: rational) ist. In dieser Hinsicht ist unsere Alltagssprache eher unbrauchbar, um die doch relativ einfache Unterscheidung auszudrücken. Deshalb haben sich die Philosophen einer besonderen Sprache bedient, die das Gesagte unverständlich erscheinen lässt. Dabei ist es doch einfach, oder?
Die Behauptung übrigens, gerade die Christen hätten den Tieren immer schon eine Seele abgesprochen und zur Ausbeutung beigetragen, ist erwiesenermaßen falsch – wie wir gerade gesehen haben. Das Tier als »seelenloser Organismus« ist ein Produkt der naturwissenschaftlichen Biologie, keineswegs der christlichen Philosophie.
Die Seele ist zwar kein räumliches Objekt, das man wiegen, vermessen oder beobachten kann. Aber dennoch ist sie ein Teil der geschaffenen Welt. Die Vorstellung, dass die Naturwissenschaften nur den direkt erfahrbaren Teil dieser Welt beschreiben, wurde stillschweigend in den letzten Jahrhunderten aufgegeben und ersetzt durch den Gedanken, dass die Grenzen der Naturwissenschaften zugleich die Grenzen der natürlichen Wirklichkeit seien. Diese Sichtweise hat den Reiz, alles naturwissenschaftlich Nichtprüfbare als Märchen, Magie oder Mirakel beiseite zu legen.
Deshalb wurde in den Augen der materialistischen Naturwissenschaftler die Behauptung der Existenz einer Seele zum Zeichen für mangelnde Bildung und Aberglauben – obwohl umgekehrt die Annahme, außerhalb der durch die Naturwissenschaften beschriebenen Wirklichkeit gebe es keine größere Wirklichkeit, auf einen mindestens ebenso beschränkten Geist schließen lässt.
Tatsache ist dagegen, dass schon allein die irdische Wirklichkeit voller Phänomene steckt, die zwar naturwissenschaftlich nicht fassbar sind, aber dennoch legitimer Bestandteil der Natur: Freundschaft, Liebe, Freiheit, Schuld und Glaube. Wenn die Seele sich gerade durch die Nicht-Leiblichkeit auszeichnet, ist es logischerweise vergebliche Mühe, sich der Existenz der Seele mit naturwissenschaftlichen Methoden oder Fragestellungen zu nähern: Die Seele hat weder ein Gewicht noch eine Farbe, sie ist keine »gasförmige Essenz« und auch keine materielle Organisationsform (wie z.B. eine Software), auch wenn sich die Existenz einer Seele in der Organisation der Materie auswirkt. Dank der modernen Quantenphysik ist mittlerweile eine Wechselwirkung zwischen immaterieller und materieller Welt auch physikalisch nachweisbar.
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