Das Dogma der «Leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel» von 1950
Ein großes Hindernis zum Verständnis der »leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel« ist die große Unwissenheit über unsere eigene Zukunft nach unserem Tod. Was nämlich zunächst wie ein fremdartiger, überzogener Gedanke klingt (nämlich, das Maria sogar mit ihrem Leib in die ewige Herrlichkeit gelangt sein soll), ist in Wirklichkeit kein absolutes Privileg: Wir alle, ja sogar alle Menschen unabhängig von ihrer Heiligkeit und Religion, werden am Ende der Zeiten mit Seele und Leib in die Ewigkeit eingehen. (Lies dazu einfach in der Katechese »Leben nach dem Tod«!)
Das Privileg Mariens reduziert sich also nur auf die Tatsache, dass Maria bereits jetzt schon an der Auferstehung der Toten teilhat.
In der (übrigens empfehlenswerten) Dogmatik von Scheffczyk und Ziegenaus wird das Kapitel über die Unbefleckte Empfängnis mit »Die Erst-Erlöste« überschrieben, das Kapitel über die Aufnahme Mariens in den Himmel mit »Die Voll-Erlöste«. Damit stellen die beiden Professoren Ziegenaus und Scheffczyk beide Dogmen in einen schönen Zusammenhang: Aus dem Gedanken der »panhagia«, der »Ganz-Heiligen« entspringt nicht nur die Freiheit von Sünde und Erbsünde, sondern auch die Vorwegnahme der Voll-Erlösung, auf die wir Christen alle noch hoffen.
Ist Maria gestorben?
Der offizielle Text der Definitionsbulle Munificentissimus Deus vom 1. November 1950 lautet: »Die unbefleckte, immerwährend jungfräuliche Gottesmutter Maria ist, nachdem sie ihren irdischen Lauf vollendet hatte, mit Leib und Seele zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen worden.« Die Formulierung »nachdem sie ihren irdischen Lauf vollendet hatte« wurde bewusst gewählt: Die Frage, ob Maria gestorben war (und die Aufnahme in den Himmel eine Vorwegnahme der allgemeinen Auferstehung ist), oder ob sie verwandelt – manche sagen auch entrückt – wurde, sollte bewusst offen gelassen werden.
Auch hier zeigt sich die vorsichtige Vorgehensweise des unfehlbaren Papstes: Weil er weiß, dass er unfehlbar ist, ist er sehr, sehr vorsichtig in seinen Definitionen geworden. Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes hat dazu geführt, dass der Papst sehr gut aufpasst, nicht aus Versehen zu viel zu definieren. Das wäre nicht katholisch.
Deshalb wundert es auch nicht, dass einige Theologen (darunter O. Karrer, D. Flanagan und K. Rahner) das Dogma der Aufnahme Mariens so verstanden, dass damit im Grunde nichts über Maria, sondern über eine größere Anzahl von »Heiligen« (vielleicht sogar alle Heiligen? Alle Menschen?) gesagt werden sollte. Demnach wäre Maria nicht die einzige Assumpta, nicht die Einzige bereits im Himmel Aufgenommene (Rahner meint allerdings, dass Maria die einzige ist, die wir namentlich kennen). Diese Ansicht konnte allerdings nur entstehen, weil wiederum eine verzerrte Theologie über das, was nach dem Tod mit allen Menschen geschieht (nämlich die »Auferstehung im Tode«), Verbreitung gefunden hat (siehe dazu die Katechese »Unchristliche Konzepte des Lebens nach dem Tod«).
Biblische Begründung
Keine Frage: Für die Aufnahme Mariens gibt es keinerlei biblische Befunde. Sogar für die Gesamtheit der ersten fünf Jahrhunderte finden sich keine Belege für dieses Dogma. Noch Epiphanius von Salamis (gestorben 403) stellt fest: »Ihren Ausgang (=das Ende Mariens) kennt niemand.« Der erste Beleg für diesen Glauben an das Privileg Mariens findet sich bei Gregor von Tours (gestorben 594), der erzählt, dass zunächst Maria gestorben wäre, und – nachdem ihr Leib von den Aposteln bestattet wurde und sie dort Wache hielten – danach sei ihre Seele mit ihrem Leib von Jesus wiedervereint worden und ins Paradies geführt.
Im Laufe der Jahrhunderte setzte sich dieser Glaube jedoch mehr und mehr durch, so dass die Universität 1497 eine gegenteilige Auffassung ablehnte. »Zu sagen, die Selige Jungfrau sei nicht zugleich mit dem Leib in den Himmel aufgenommen, ist zwar in keiner Weise gegen den Glauben, aber weil es der allgemeinen Übereinstimmung der Kirche widerspricht, würde es frech und verwegen sein.«
Auf dem I. Vatikanischem Konzil (1870) wurde dann der Antrag gestellt, diese Glaubensüberzeugung zu einem Dogma zu erheben, was der damalige Papst jedoch ablehnte.
Erst Pius XII. verkündet 1950 dieses letzte marianische Dogma – und begründet diesen Schritt in seinem beigefügtem Schreiben (einer »Apostolischen Konstitution«).
Das «Privileg» Mariens
Aus der Verknüpfung von Eschatologie (der Lehre über die Ereignisse nach dem Tod des Menschen) ergaben sich – wie oben gesagt – auch verquere Ansichten über den Tod Mariens. Die Wahrheiten des christlichen Glaubens sind nun einmal so sehr miteinander verwoben, dass eine falsche Auffassung im Glauben das ganze Gefüge in eine Schieflage bringen kann.
Umgekehrt wird aus dieser Verwobenheit die Begründung für das Dogma der »leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel«: In der katholischen Theologie wird der Zwischenzustand der leiblosen Existenz der Seele vor der allgemeinen Auferstehung angenommen. Dieser leiblose Zustand der Seele ist aber – im Gegensatz zur griechischen Philosophie des Platon und späteren Theologen, die sich darauf berufen) kein erstrebenswerter Zustand, sondern ein Zustand der Unvollkommenheit und Unerlöstheit. Der Tod als Folge der Sünde meint die Seele, die vom Leib getrennt existieren muss.
Nun ist es ein klarer und logischer Schritt von der Sündlosigkeit Mariens – und dem Tod als Sündenfolge – zur Erkenntnis, dass Maria von diesem Zwischenzustand verschont blieb. Für Maria, die ja ohne Sünde geblieben ist, wäre es nicht angemessen anzunehmen, dass sie dennoch die Folge der Sünde tragen musste. Folglich ist sie am Ende ihres Lebens – ohne die Qualen des Todes zu erleiden – in die Herrlichkeit aufgenommen worden.
Daraus erschließen sich auch die beiden Antworten auf die Frage, ob Maria vor ihrer Aufnahme in den Himmel gestorben ist: Wenn der Tod Folge der Sünde ist, dann brauchte Maria nicht zu sterben – sie wurde folglich verwandelt oder entrückt.
Genauso sinnvoll und schön ist es jedoch, Maria als so sehr mit ihrem Sohn verbunden zu sehen, dass sie – in der Nachfolge Jesu – ihrem Sohn auch im Lebensende ähnlich geworden ist – und zunächst starb, um dann (nach angenommenen drei Tagen) mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen zu werden.
Wie auch immer: Das Grab Mariens (es wird sowohl in Ephesus als auch in Jerusalem im Kidrontal vermutet) ist leer.
Der Leib als causa salutis
Ein sehr schöner Gedanke, der in der Theologie gelegentlich Platz findet, aber (leider) nicht zum definiertem Glauben der Kirche zählt, ist die Theologie des Leibes Mariens. Ihr Leib wird gelegentlich als causa salutis bezeichnet: als (sekundäre!) Ursache oder Grund für unser Heil. »Das Fleisch Christi ist das Fleisch Mariens« (Pseudo-Augstinus); »Maria ist auch dem Leib nach aufgenommen worden, denn es ist der allerheiligste Leib, aus dem Christus Fleisch angenommen hat«.
Eine solche Leib-bejahende Theologie kommt natürlich bei den pur-geistigen Evangelikalen und Gnostikern nicht gut an; eine Glaubenswahrheit aus einer leiblichen Verwandtschaft abzuleiten ist eben typisch katholisch. »Katholisch« heißt in diesem Fall allumfassend auch im ganz konkreten Sinn: Sowohl Geist als auch Leib umfassend!
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