Die frühchristlichen Versuche, Jesus als Christus zu verstehen
Es ist der Horror aller Theologiestudenten, die »frühchristlichen Häresien« zu lernen. Da tauchen so seltsame Begriffe auf wie Monarchianismus, Adoptianismus, Propheten-Christologie, Modalismus, Subordinationismus, Arianismus, Tritheismus, Monophysitismus, Doketismus, Ebionitismus und Nestorianismus. Hinter all diesen Begriffen verbirgt sich jeweils ein Versuch, zu verstehen und auf einen Begriff zu bringen, wie die Erkenntnis »Jesus war Gott und Mensch zugleich« mit der Logik Frieden schließen kann.
Die frühchristlichen Häresien waren allerdings – im Gegensatz zu vielen anderen »Irrlehren« – keine böswilligen Verfälschungen des Christusglaubens, sondern eben redliche Versuche, die geglaubte Christologie in Einklang mit unterschiedlichen Denkweisen zu bringen. Das schließt zwar nicht aus, dass ihre Vertreter oder Gegner oft verbissen an ihren jeweiligen Lösungen festhielten und die Auseinandersetzung nicht immer mit fairen, unpolitischen Mitteln ausgetragen wurde. Aber dennoch sollten wir allen Vertretern einer jeweiligen Interpretation zunächst ein ehrliches Ringen um die Bewahrung der biblischen Vorgaben unterstellen.
Die zwei Hauptfragen der frühen Kirche
Zwei Problemfelder boten sich den Christen des ersten Jahrtausends:
- Wie kann es sein, dass Jesus zugleich Gott und Mensch war? (Das Problem der »Zwei Naturen Christi«)
- Wie kann es sein, dass Jesus Gott war – und der Vater und der Hl. Geist ebenfalls? (Das Problem der »Trinität«)
Wie war es denkbar, dass Jesus zugleich Gott und Mensch war – wenn doch »Gott« ewig und der Schöpfer ist; »Mensch« aber zeitliches, endliches Geschöpf bedeutet? Und, falls Jesus wirklich und im eigentlichen Sinn »Gott« war, – wie ist das denkbar, wenn wir dennoch an dem Ein-Gott-Glauben (dem Monotheismus) festhalten wollen?
Genau genommen ging es nicht um eine Klärung dessen, was die Christen glauben sollten. Eine solche Auffassung, dass der Inhalt des Glaubens erst durch historisches Ringen festgelegt wird, ist eine Irrlehre, die als »Historizismus« bezeichnet wird.
Nein, was die Christen glaubten, war eigentlich klar: Jesus ist Gott – und zugleich Mensch. Jesus, der Vater und der Hl. Geist sind Gott – und dennoch gibt es nur den einen Gott. Zu klären war allerdings, wie das zu verstehen sei, da doch in den jeweiligen Aussagen ein innerer Widerspruch zu liegen scheint.
Dabei soll uns vor allem ein Kriterium leiten, dass den meisten Philosophie- und Theologiestudenten wenig bekannt ist: Die «Christologie für Nachfolger».
Die «Christologie für Nachfolger» sieht im entscheidenden Prüfstein die Erlösung durch Jesus Christus – dabei schauen wir vor allem auf das Ziel der Erlösung: Wir sollen Anteil an der dreifaltigen Liebesgemeinschaft Gottes erhalten – durch den Sohn. Als »zweite Christusse« sieht Gottvater in uns das, was er in seinem Sohne sieht.
Dass wir wie Christus werden (deshalb tragen wir ja den Namen »Christen«), ist unsere Motivation zur Nachfolge: Christus nachfolgen heißt ja nicht nur sein Tun kopieren, sondern Ihm ähnlich werden. Können wir das noch wollen, wenn wir eine andere Christologie verkünden, als die anerkannte christliche Sicht?
Damit haben wir ein wunderbares Kriterium: Die biblischen Aussagen Jesu selbst oder über ihn – und das Bild des erlösten Menschen in Jesus Christus vor Augen. Damit können wir eigentlich jeden dahergelaufenen christologischen Häretiker selbst bewerten, ohne ein Konzil abzuhalten.
Natürlich spart es sehr viel Zeit, wenn wir uns im Zweifelsfall dann doch auf die Konzilien berufen. Zeit, die wir für Sinnvolleres und Notwendigeres nutzen können: z. B. Jesus tatsächlich nachzufolgen, anstatt nur darüber zu spekulieren.
Einteilung der Häresien
Jetzt müssen wir nur noch den unübersichtlichen Wust von Häresien in ordentliche Haufen sortieren. Ohne uns nun an den unterschiedlichsten Sortier-Systemen anderer zu stoßen, denke ich, gibt es hauptsächlich drei Haufen: Entweder wird (A) die wahre Menschheit Jesu geleugnet (oder abgeschwächt) oder (B) seine Gottheit bestritten oder (C) die Einheit von Gott und Mensch in der Person Jesu wird verkannt.
Christologische Häresien – A-Klasse
Von den Häresien, die lehren, Jesus sei gar kein richtiger Mensch gewesen, kennen wir den:
- »Doketismus« (griechisch: dokein = »scheinen«): Jesus hatte nur einen Schein-Leib; ähnliches lehrten auch die Manichäer und Valentinus
- Apollinarismus (nach Apollinaris von Laodizea): Der Mensch besteht aus Leib, Seele und Geist. Bei Jesus wird der Geist durch Jesus-Gott ersetzt, der nun einen beseelten Leib in Besitz nimmt.
- Monophysiten (griechisch: monos physis = »eine einzige Natur«) oder auch »Miaphysiten« (gr.: »eine einheitliche Natur«): Bei der Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus wird die Menschheit Jesu »wie ein Tropfen im Meer« aufgelöst und verschwindet.
- Monotheletismus (griechisch: thelo = »wollen«) und Monenergismus (griechisch: ergein = »wirken«): In Jesus gab es nur einen Willen (den göttlichen) und eine Wirkungsweise (klar: auch nur die göttliche).
- Modalismus: Der immer eine Gott erscheint auf drei verschiedene Weisen; die Personen sind Masken, die wechseln (daher werden sie auch »Patripassianer« genannt: Gott-Vater hat am Kreuz gelitten). – Der Modalismus hält am Ein-Gott-Glauben und der Göttlichkeit Jesu fest, leugnet aber die Menschwerdung Jesu.
Die Gründe, diese Erklärungsversuche (und Rettungsversuche des Monotheismus) abzulehnen, mögen auch philosophischer Natur gewesen sein. Grundlage ist zudem selbstverständlich die biblische Wahrheit. Aber auch die Frage, »was macht das mit uns«, ist sehr erhellend:
Christologie für Nachfolger: Was sollen wir von diesen Theorien halten, wenn wir werden wollen wie Jesus?
Wenn wir die Einheit von Gott und Mensch in Jesus als Vorbild und Voraussetzung für uns Menschen begreifen, Teil der göttlichen Gemeinschaft zu werden, dann bedeutet der »Monotheletismus« also, dass wir unseren menschlichen Willen abgeben und nur noch der göttliche Wille in uns regiert. Wohlgemerkt: Abgeben ist mehr als nur »Gehorsam«, der Monotheletismus verlangt so etwas wie eine »Hirnamputation« um der Erlösung willen. Tolle Voraussetzungen.
Ähnliches gilt für den Apollinarismus: Das Ziel des Menschen und seine Vervollkommnung in Jesus hieße also, unseren beseelten Leib Jesus zur Verfügung zu stellen und dafür auf unseren Geist zu verzichten.
So etwas ähnliches geschieht – nur mit umgekehrten Vorzeichen – bei Menschen, die von einem bösen Geist besessen sind. Erlösung soll eine »positive Besessenheit« sein? Brr.
Grundsätzlich gilt: Wenn Jesus kein richtiger Mensch war, hat er uns entweder nicht wirklich erlöst – oder wir müssen, um Ihm nachzufolgen, auch unser »richtiges Menschsein« opfern und hinter uns lassen.
Klar, dass da die Christen der ersten Jahrhunderte (nicht nur die, die auf den Konzilien eingeladen waren) deutlich »Nicht mit uns!« gesagt haben.
Aber auch der Monophysitismus hält keine wirklich frohmachende Hoffnung für uns Menschen bereit: Wenn bereits in Christus seine menschliche Natur so sehr von der Göttlichkeit aufgesogen wurde, dass nur noch von einer Natur gesprochen werden kann – nämlich der göttlichen Natur Jesu -, dann steht uns Menschen das gleiche Schicksal bei einer seligen Begegnung in der Ewigkeit bevor. Wie ein Stück Zucker sich im Kaffee auflöst (ein ziemlich kleines Stück Zucker in einem unendlichen Ozean von Kaffee), so werden wir zwar in Gott »eingehen«, dabei aber auch verschwinden. Ein göttliches Nirwana … nicht gut. Ehrlich, gar nicht gut. Gottseidank bin ich kein Monophysit, sondern römisch-katholisch.
Weiter mit Teil 2 – Wer war Jesus?
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