Ob Jesus wirklich gelebt hat, wird von Historikern nicht ernstahft bezweifelt – ganz gleich, ob diese selbst religiös sind. Und weil diese Frage kaum noch Gegenstand kontroverser Diskussionen ist, fühlen sich immer wieder Verschwörungstheoretiker (siehe z. B. »www.zeitgeist.com«) zu der abwegigen Behauptung ermutigt, es sei inzwischen erwiesen, dass Jesus niemals gelebt habe.
Das Schweigen der Zeitgenossen
Zugegeben: Schriftliche Aufzeichnungen von Zeitgenossen Jesu sind kaum erhalten geblieben – abgesehen von den Texten, die in der Bibel stehen. Aber dies verwundert nur den Laien, der sich in den Geschichtswissenschaften nicht sonderlich auskennt. Warum sollten große und berühmte Geschichtsschreiber zur Zeit Jesu von einem jüdischen Wanderprediger in einem der abgelegensten Bereiche des römischen Reiches Notiz von seinem Leben nehmen? Für Geschichtsschreiber spielten schon immer Kriege, Feldherren und Politiker eine größere Rolle als Prediger und fromme Gottesmänner.
- Mit großer Sicherheit fanden sich Hinweise zur Person Jesu in den Akten römischer Gerichte und Bürokraten; Justin und Tertullian zitieren im Jahre 200 n. Chr. daraus. Aber mit dem römischen Reich sind auch diese Schriften untergegangen.
- Die jüdischen Geschichtsschreiber, die es zur Zeit Jesu sehr wohl gab – z. B. Philo von Alexandria und Justus von Tiberias – erwähnen Jesus nicht. Das mag zum einen daran liegen, dass deren politische Gesinnung (als Herodianer) oder Angehörige der politischen jüdischen Oberschicht eher dazu verleitete, Jesus zu ignorieren – vielleicht provozierte der Anspruch Jesu sogar deren jüdische »Gegengeschichte«. Das kann aber auch darin seinen (wahrscheinlicheren) Grund haben, dass die Schriften der jüdischen Historiker insgesamt nur sehr bruchstückhaft überliefert sind.
- Auch die Tatsache, dass Jesus in seinem Leben Aufsehen erregende Wunder vollbrachte, dürfte die damaligen Geschichtsschreiber nicht dazu bewegt haben, Jesus noch zu Lebzeiten mit einem Eintrag in ihr Geschichtswerk zu würdigen. Täuschen wir uns nicht: Damals waren Wunder, ebenso wie heute, nicht an der Tagesordnung. Das führte bei seriösen Geschichtsschreibern, die selbst keinen direkten Kontakt zu Jesus gehabt haben, ebenso wie heute dazu, solche Wunderberichte eher als »Geschwätz« von aufgebrachten und ungebildeten Juden abzutun – von einer (angeblichen) Wunderhysterie ließen sich solche Herren nicht anstecken (vor allem, wenn der Wundertäter schmählich am Kreuz endete).
- Selbst die ersten christlichen Gemeinden, die Jesus noch selbst erlebt hatten, waren in den ersten Jahrhunderten weltgeschichtlich und politisch völlig unbedeutend.
Auch, wenn uns die Missachtung der Zeitgenossen Jesu überrascht, für Historiker ist das nicht verwunderlich: Häufig findet sich in antiken Quellen kein einziger Hinweis zu bestimmten Personen, die durch andere Quellen als unbezweifelbar historisch belegt sind. So berichtet Philo (von Alexandrien) nichts über Johannes den Täufer, den Josephus und die Mandäer erwähnen. Josephus, der sich zum Pharisäismus bekannte, berichtet wiederum nichts über Paulus und über Rabbi Hillel.
Außerchristliche Erwähnungen
Aber dennoch gibt es Jesus-Erwähnungen durch nichtchristliche Autoren – die allerdings alle keine Augenzeugen sind und deren Informationen auf Hörensagen beruhen:
- Die wichtigste Erwähnung ist die durch den jüdischen Historiker Flavius Josephus, der Jesus in seinen Antiquitates Judaicae (um 93/94) zweimal erwähnt. Dabei wird oft behauptet, dass die wichtigere Stelle – das »Testimonium Flavianum« (18,63f) – als Fälschung gilt – was nicht ganz korrekt ist. Vermutlich wurde diese Stelle nachträglich von Christen überarbeitet; aber die Historiker sind sich zum größten Teil einig, dass es eine authentische Urversion gibt, die tatsächlich von Josephus stammt.
- Außerdem berichtet Tacitus um 117 in seinen Annales von »Chrestianern«, denen Kaiser Nero die Schuld am Brand Roms im Jahr 64 zugeschoben habe: »Der Mann, von dem sich dieser Name herleitet, Christus, war unter der Herrschaft des Tiberius auf Veranlassung des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet worden«.
- Sueton schrieb um 120 in seiner Biografie des Kaisers Claudius, dieser habe »die Juden, welche, von einem gewissen Chrestos aufgehetzt, fortwährend Unruhe stifteten«, aus Rom vertrieben.
- Ebenso gibt es eine Erwähnung im jüdischen Talmud (ab 95 n. Chr.), bei Plinius d. J. (um 110 n. Chr.) und bei Julius Africanus (der sich wiederum gegen eine unbelegte Behauptung des Thallus – ab 52. n. Chr. – wendet). Nicht zu unterschlagen ist die Erwähnung bei Mara bar Serapion (zwischen 73 und 135 n. Chr.) und Lukian von Samosata.
Obwohl wir also keine Biographie Jesu aus nichtchristlicher Feder haben, sind diese Quellen dennoch aufschlussreich und keineswegs leicht abzutun – denn sie stammen aus Umfeldern, die kein Interesse an einer Geschichtsfälschung haben bzw. sich verächtlich über Jesus äußern und sind bis in die jeweilige Wortwahl christlich-distanziert und deshalb erst recht unverdächtig.
Die Texte im Einzelnen sind im Internet nachzulesen: Entweder unter www.karl-leisner-jugend.de/Flavius_Josephus.htm, oder unter Wikipedia (»Außerchristliche Notizen zu Jesus von Nazareth«.
Das Schweigen der Gegenstimmen
Für seriöse Historiker sind solche Zeugnisse und selbst fragmentarische Erwähnungen von Personen so lange glaubwürdig, wie es keine gegenteiligen zeitgenössischen Quellen gibt, die zum Beispiel die Existenz Jesu leugnen oder nur als Erfindung von Verrückten behaupten (oder andere Hinweise auf eine Fälschung – wie z. B. anachronistisches Vokabular oder Schrift). Das vollständige Fehlen irgendwelcher entlarvenden Hinweise – selbst durch die Gegner Jesu und der jüdischen Oberschicht – ist durchaus bedeutsam.
Selbst, wenn die Existenz Jesu erst Jahrhunderte später erfunden worden wäre – noch mehr aber, wenn Jesus im ersten Jahrhundert »nach Christus« erfunden worden wäre – hätten die Kritiker der Christen (und davon gab es mehr als genug) mit Sicherheit das absolute Fehlen von Hinweisen auf seine Existenz als Argument vorgebracht. Aber das gab es nicht.
Natürlich gibt es jetzt die Verschwörungstheoretiker unter uns, die behaupten, das liege daran, dass alle Hinweise auf die Nicht-Existenz Jesu von gläubigen Christen vernichtet worden wären. So etwas behaupten Verschwörungstheoretiker eben. Aber dagegen spricht, dass ansonsten alle Arten von Kritiken an Jesus, den Christen und der frühen Kirche erhalten geblieben sind – nur eben nicht die Behauptung, er habe nicht existiert. Diese Behauptung kommt erst im 18. Jahrhundert auf.
Nicht zu verachten: die Evangelien
Ein letztes Argument aber ist viel entscheidender: nämlich die Erwähnung in den Evangelien. Natürlich sind die Evangelien keine neutrale Quellen – sie haben ein deutliches Interesse, den Leser zur Verehrung Jesu zu animieren.
Aber auf der anderen Seite sind die Evangelien schon sehr früh entstanden – neueste Schätzungen (z. B. durch Klaus Berger, Carsten Peter Thiede und A. T. Robinson) sprechen für eine Abfassung noch vor 70 n. Chr., vermutlich sogar noch deutlich früher. Wer zu dieser frühen Zeit etwas von einem gewissen Jesus behauptete, obwohl dieser Jesus lediglich frei erfunden wäre, musste mit Widerspruch rechnen – denn die Zeitzeugen lebten noch. Ein Evangelist wie Matthäus, der sein Evangelium auch für Judäa schrieb, konnte nicht die Existenz eines Jesus behaupten, wenn dort noch niemals jemand von ihm gehört gehabt hätte.
Natürlich – das, was über Jesus in den Evangelien erzählt wird, ist so erstaunlich, dass wir geneigt sind, die Evangelien grundsätzlich nicht ernst zu nehmen. So erscheint es uns ja auch als müßig, alle Berichte von UFOs, Yeti-Kontakten, Wunderheilungen in aller Welt, Erscheinungen von Lichtgestalten und Marienbildern auf Toastbroten nachzuprüfen: Die Erfahrung lehrte uns bislang, dass solche Berichte in jeder Hinsicht unglaubwürdig sind.
Aber spätestens, wenn ein Bericht auftaucht, der trotz des Unfassbaren, dass darin behauptet wird, in jeder anderen Hinsicht glaubwürdig ist – spätestens dann wäre es unvernünftig, die Glaubwürdigkeit dieses Textes weiterhin pauschal abzulehnen, nur aufgrund unserer Vorentscheidung, die Existenz von Übernatürlichem in unserer Welt nicht in Erwägung zu ziehen.
Wenden wir uns also der Frage zu, wie glaubwürdig die Evangelien »in jeder anderen Hinsicht« sind.
Weiterlesen: Die Zuverlässigkeit der Evangelien
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