Wer einen x-beliebigen Text auf dessen Glaubwürdigkeit hin untersuchen will, sollte die gleichen Kriterien anwenden, die für jeden historischen Text gelten: die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit, dass ein solcher Text noch historisch Verwertbares enthält (»das stille Post Prinzip«); die Frage nach der inneren Glaubwürdigkeit (»innere Widersprüche«); die Suche nach äußeren Belegen aus Archäologie und Geografie; eine Untersuchung, ob es gute Gründe gibt, den Autoren des Textes betrügerische Absichten zu unterstellen; eine Betrachtung der Weitergabe (Tradition) des Textes – und so weiter. Wenn alle diese Analysen positiv ausfallen, dann gilt der Grundsatz des Sherlock Holmes: »Wenn alle Möglichkeiten ausgeschlossen wurden, dann muss das Verbleibende die Lösung sein, auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist«.
Aber noch ist es nicht so weit. Schauen wir erst einmal, was wir über die Jesus-Geschichte sagen können.

Stille Post

Es ist zwar schade, aber für einen jüdischen Prediger auch nicht ungewöhnlich, dass Jesus selbst keinen einzigen Text verfasst hat. Das galt ja auch für die meisten der Propheten im Alten Bund, deren Hauptaufgabe die Predigt gewesen ist. Für sie und ebenso für Jesus gilt, dass alles, was wir heute noch von ihren Taten und ihren Lehren wissen, durch die Jünger aufgeschrieben worden ist – das aber oft erst Jahre später.

Der Vergleich Jesu mit den Propheten des Alten Testamentes ist noch aus einem anderen Grunde sehr aufschlussreich: Falls die Juden Jesus zunächst für einen weiteren Propheten gehalten haben (was sehr wahrscheinlich ist), werden sie – genauso wie sie es schon bei den vorangegangenen Propheten getan haben – seine Worte und Taten aufgeschrieben und gesammelt haben. So sind die Prophetenbücher entstanden, und vermutlich auch die ersten Aufzeichnungen, aus denen später die Evangelien entstanden sind.

Sogar das apokryphe Jakobus-Evangelium, das viele Legenden und märchenähnliche Wundergeschichten enthält, ist wahrscheinlich aus dem Brauch entstanden, Aufzeichnungen über besondere Personen zu sammeln. Nur, dass das Jakobus-Evangelium vermutlich von der Großfamilie in Nazareth zusammengestellt und dort weitergegeben wurde, weshalb es vor allem der dörflichen-familiären Tradition folgte und nicht so sehr dem christlich-historischen Anspruch genügt – darum wurde es auch nicht in die Bibel aufgenommen.

Nun ist es allgemein bekannt, dass etwas, was mündlich weitergegeben wird, sich mit jeder Person, die daran beteiligt ist, wandelt. Bekannt ist das Spiel »stille Post«: Kinder flüstern sich einen Satz zu und geben das, was sie verstanden haben, flüsternd an einen Nächsten weiter. Aus einem einfachen und klaren Satz wird so schon nach wenigen Stationen ein ganz anderer.
Die Frage stellt sich also: Ist es überhaupt denkbar, dass ein so umfangreicher Text wie ein Evangelium, frühestens 20 Jahre nach dem Tod Jesu aufgeschrieben, noch den Anspruch auf Wahrheit erheben kann?

So einleuchtend, wie das Stille-Post-Prinzip ist, es kann nicht auf die Weitergabe von historischen Begebenheiten angewandt werden. Denn während das Stille-Post-Prinzip darauf setzt, dass immer nur ein einziges Kind weiß, was es gehört hat und was es weitergibt und es keine zusätzliche Kontrolle gibt, so ist die Weitergabe von Wissen über Ereignisse durch eine größere Gruppe sehr konstant: Denn das, was erzählt wird, wird schon während der Erzählung von der Gruppe korrigiert.

Bedenken wir vor allem, von welcher Kultur wir reden: Rabbiner waren dafür bekannt, dass sie das ganze Alte Testament auswendig kannten, jeder Jude wurde in der Tradition der Schriften erzogen (was dazu führte, dass die Juden in der damaligen Zeit das Volk mit der größten Alphabetisierungsquote war!) und im Zitieren von Gesetzen, Geboten und der Geschichte des Volkes Israel.
Außerdem ging es beim Weitererzählen der jesuanischen Worte um ein für alle Beteiligten höchst bedeutsames Gut, es wurde also – ganz im Gegenteil zum Stille-Post-Prinzip – sehr sorgfältig auswendig gelernt und weitergetragen. Wir kennen aus ganz anderen Zusammenhängen äußerst zuverlässige Traditionen über Jahrhunderte hinweg: So wurde zum Beispiel die Biografie von Alexander dem Großen erst 400 Jahre (!) nach seinem Tod geschrieben – und bis heute geht man von der historischen Glaubwürdigkeit der Biografie aus. Die märchenhaften Legenden um Alexander entstanden erst nach der schriftlichen Niederlegung seines Lebens.

Innere Widersprüche

Die innere Glaubwürdigkeit wird geprüft, indem der Text in sich analysiert und untersucht wird – zum Beispiel auf Widersprüche, Ungereimtheiten, Übertreibungen oder Schwärmereien, logische Brüche in der Darstellung usw.
Bei dieser Frage fallen dem Laien natürlich sofort zahlreiche Abweichungen zwischen den vier Evangelien auf.

  • So wurde nach Mt, Mk und Lk Jesus am Tag vor dem Passahfest gekreuzigt, bei Johannes aber in dem Augenblick, in dem die Passah-Lämmer im Tempel geopfert wurden.
  • Wiederum nach Mt, Mk und Lk hat Jesus drei Jahre gewirkt und war dementsprechend dreimal in Jerusalem; nach Johannes hat er nur ein Jahr gewirkt; sein ganzes Wirken ist ein Weg nach Jerusalem.
  • Bei Mt hat der Hauptmann persönlich Jesus um Hilfe gebeten – bei Lk waren es seine Bediensteten …

Simon Greenleaf, ein bedeutender Jurist und Autor eines Standardwerkes zum Thema »Beweise«, schreibt über die Evangelien: »Es gibt genügend Diskrepanzen, um zu zeigen, dass sich die Autoren nicht vorher abgesprochen haben. Und gleichzeitig finden sich solch wesentlichen Übereinstimmungen, die zeigen, dass alle unabhängige Autoren desselben großen Vorganges waren«. Und Hans Stier schreibt: »Selbst der Historiker ist dann besonders skeptisch, wenn ein außergewöhnliches Ereignis nur in Berichten geschildert wird, die frei von Widersprüchen sind«.

Die Behauptung, die Evangelien stimmen in den wesentlichen Punkten überein und widersprächen sich nur ein Nebensächlichkeiten, setzt natürlich voraus, dass wir uns geeinigt haben, was wesentlich ist und was nebensächlich. Aber selbst, wenn wir uns darüber nicht einigen können: Die Unterschiede in der Darstellung sind niemals so groß, dass ein Historiker die Glaubwürdigkeit der vier Evangelien abstreiten würde.

Die Evangelisten sind nicht neutral

Oft wird die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien schon allein deshalb in Zweifel gezogen, weil es sich dabei um offensichtlich christliche und glaubende Autoren handelt. Eindeutig haben sie die Evangelien, die Apostelgeschichte oder auch die Briefe nicht geschrieben, um historische Ereignisse nur zu dokumentieren – sie haben vielmehr die eindeutige Motivation gehabt, den Leser von der Göttlichkeit Jesu zu überzeugen. Das Neue Testament ist voller »Missionsschriften«. Aber der Gedanke, dass sie allein deshalb schon ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt hätten, ist nicht sonderlich schlüssig.

Prof. Blomberg, den Lee Strobel in seinem lesenswerten Buch »Der Fall Jesus« interviewt, meint dazu: »Es gibt eine moderne Parallele aus der Geschichte der Juden, die verdeutlichen könnte, was ich meine. Manche Menschen leugnen die Grausamkeiten des Holocaust oder spielen sie herunter. Das geschieht normalerweise im Zuge antisemitischer Propaganda. Doch waren es jüdische Wissenschaftler, die Museen aufgebaut, Bücher geschrieben, Kunstgegenstände gesammelt und Augenzeugenberichte dokumentiert haben, die den Holocaust betreffen. Auch sie verfolgen ein ideologisches Ziel: Sie wollen sicherstellen, dass so etwas Schreckliches nie wieder geschehen kann. Doch gleichzeitig waren sie in ihrer Berichterstattung der Geschehnisse sehr objektiv und wahrheitsgetreu. Das Christentum basiert auf der historischen Behauptung, dass Gott auf einzigartige Weise in der Person Jesu in Nazareth in Zeit und Raum gekommen ist. Diese Ideologie erforderte eine so sorgfältige Arbeit wie möglich«.

Lukas beginnt sein Evangelium mit der Einleitung (Lk 1, 1-4): »Schon viele haben es unternommen, einen Bericht über all das abzufassen, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat. Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren. Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben. So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest«. – Nun, das Evangelium des Lukas ist nicht deshalb schon wahr, weil es behauptet, wahr zu sein. Aber da Lukas bereits in den ersten Zeilen den Anspruch erhebt, historisch exakt zu sein, wäre sein Evangelium sicherlich nicht ernst genommen worden, wenn er diesen Anspruch nicht nach Kräften einzuhalten versuchte.

Oder, einmal anders gesagt: Das Evangelium ist kein reiner Sachtext, sondern eine Missionsschrift (heute würde man sagen: eine Werbebroschüre). Eine Werbung aber, die zwar behauptet korrekt zu sein, aber offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht, wird zu keiner Zeit ernst genommen. Vor allem nicht bei den traditionsverhafteten Juden – denn das, wofür da Werbung gemacht wurde (die Aufhebung des Gesetzes und die Korrektur des jüdischen Gottesbildes), bedurfte gerade bei den Juden der allerbesten Argumente.

Die unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit

Aber ein letzter Zweifel bleibt, ein letzter Einwand. Vielleicht sogar ein Einwand, der all das, was wir bisher zusammengetragen haben, wieder zunichte macht: Ist das, was die Evangelien berichten (mögen sie auch in den Rahmenbedingung noch so glaubwürdig sein), nicht dermaßen unglaubwürdig und unwahrscheinlich, dass es sich einen modernen, vernünftigen und aufgeklärten Menschen gewissermaßen verbietet, es einfach zu glauben? Spricht nicht die alltägliche Erfahrung (dass man eben nicht über einen See laufen kann; dass Tornados nicht verschwinden, weil irgendjemand es dem Wind befiehlt; dass Brot und Fisch sich nicht vermehren, weil wir zuvor ein Dankgebet sprechen und dass Tote nicht wieder lebendig werden) gegen die Berichte der Evangelien?

Wir unterliegen bei der Frage nach der Wahrscheinlichkeit der Ereignisse einer »optischen Täuschung«, denn so ziemlich alle Ereignisse, die uns im Alltag täglich passieren, sind so unwahrscheinlich, dass sie sich sicherlich nicht noch einmal auf die absolut gleiche Art und Weise wiederholen. Wenn zum Beispiel am kommenden Samstag die Lottozahlen verkündet werden, dann wird auch keiner sagen, dass diese Zahlenkombination so unwahrscheinlich ist, dass es sich sicherlich um eine Manipulation handeln müsse. Dennoch stimmt es: Die sechs Zahlen, die im Lotto gezogen werden, werden nur mit einer Wahrscheinlichkeit 1:13,9 Millionen genau so gezogen.

Ebenso ist die Wahrscheinlichkeit, dass beim Geburtstag von Opa genau um 20.17 Uhr und 37 Sekunden die Oma das Weinglas umkippt und einen Flecken hinterlässt, der genau den tatsächlichen Umrissen entspricht, noch weitaus geringer. Dennoch ist es passiert … und so könnten wir für alle Ereignisse, die tatsächlich passiert sind, argumentieren.

Nein, die entscheidende Frage ist nicht die, wie wahrscheinlich ein Ereignis ist, sondern wie wahrscheinlich es ist, dass der Bericht über dieses Ereignis erfunden wurde.

Etwas anderes wäre es, wenn die Ereignisse angekündigt werden. Dann spielt natürlich wieder die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens genau dieses Ereignisses eine Rolle. Aber die Evangelien sind (genauso wie Dein Tagebuch) keine Prophezeiung, sondern ein historischer Bericht – und dafür ist lediglich die Wahrscheinlichkeit interessant, die sich auf die Möglichkeit bezieht, dass der Bericht nicht stimmt.

So besteht kein Grund, der »Lottofee« nicht zu glauben, wenn sie die Lottozahlen verkündet – selbst, wenn ich ein zweites Mal in Folge 6 Richtige getippt haben sollte. Etwas anderes wäre es, wenn bei den verkündeten Zahlen eine Nummer doppelt vorkäme (»Das kann doch nicht sein!«) oder Zahlen vorkommen, die gar nicht unter den vorgefertigten Nummern vorhanden wahren (zum Beispiel eine 7,5 oder eine 258). Ebenso skeptisch sollte man sein, wenn die Lottofee selbst »6 Richtige mit Superzahl« gewinnt – es läge ein triftiger Grund vor, dass sie den Vorgang der Ziehung beeinflusst oder nur vorgetäuscht hat.

Haben wir also einen triftigen Grund, die Ereignisse, die uns die Evangelien berichten, anzuzweifeln? – Nun, wie oben im Lotto-Beispiel aufgezeigt, gründet sich der eine Zweifel auf den Vorteil, den eine Manipulation der Evangelien den Verfassern bringen könnte, während der andere Zweifel darin besteht, dass das Berichtete doch gar nicht sein KANN.

Der Sekundärgewinn der Evangelisten

Die erste Frage, die die Glaubwürdigkeit eines Berichtes erschüttern könnte, ist der sogenannte Sekundärgewinn. Was haben die Evangelisten (oder diejenigen, die den Evangelisten von Jesus erzählt haben) davon, wenn sie von einem wundertätigen Jesus erzählen, obwohl es diesen niemals so gegeben hat?

Nun, uns heutigen Menschen fallen eine ganze Menge Gründe ein, einen Mythos zu erfinden: Man wird berühmt und vielleicht sogar reich (falls man seine Story gewinnbringend verkaufen kann); von vielen Anhängern der neuen Religion hoch geachtet und verehrt; zumindest erhält man Aufmerksamkeit und Beachtung. Man kann sein Talent als Schriftsteller unter Beweis stellen und hofft eventuell auf Folgeaufträge.

Alles das ist denkbar – aber nichts davon entspricht in Bezug auf die Evangelisten oder Apostel der Realität. Die Apostel, die von Jesus erzählt haben, sind allesamt für diese »Story« vorzeitig gestorben; ihr Leben wäre sicherlich angenehmer gewesen, wenn sie Jesus nicht gefolgt wären. Keiner ist reich geworden – und keiner konnte von einem eventuell vorhanden Ruhm zu Lebzeiten irgendeinen Vorteil ziehen. Alle verloren ihre Heimat (außer Jakobus, der zwar in Jerusalem blieb, aber dafür sehr schnell sein Leben verlor), und waren als Missionare ständig Gefahren und Nöten ausgesetzt. Die ziemlich realistische Lebensgeschichte des Apostels Paulus, wie sie Lukas in der Apostelgeschichte erzählt, ist keineswegs ein Aufweis eines gesicherten und angenehmen Lebens:

»Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die neununddreißig Hiebe; dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See. Ich war oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal und Plage, durchwachte viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und Blöße. Um von allem andern zu schweigen, weise ich noch auf den täglichen Andrang zu mir und die Sorge für alle Gemeinden hin« (2 Kor 11,23-28).

Genauso wenig, wie es damals erstrebenswert gewesen, Apostel, Evangelist oder überhaupt Christ zu sein – genauso wenig käme heutzutage jemand auf den Gedanken, Papst werden zu wollen. Dieses Amt ist keine Gabe, sondern eine pure Aufgabe ohne definiertes Renteneinstiegsalter.

Das gilt nicht nur für die Apostel, sondern auch für die Evangelisten – und deren Informanten. Matthäus wurde erschlagen, Johannes starb in der Verbannung auf der Insel Patmos. Markus starb den Märtyrertod als Bischof von Alexandria; Lukas starb (zumindest der Legende nach) an einem Weidenbaum gekreuzigt.

… dass nicht sein kann, was nicht sein darf

Es bleibt also noch die Ablehnung der christlichen Berichte – der Evangelien – aus der Vorentscheidung heraus, dass es die Wunder, von denen dort berichtetet wird, nicht geben könne. »Und daraus schloss er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf« (Christian Morgenstern). Wir sind also wieder bei der Vorentscheidung, ob wir Berichte über übernatürliche Ereignisse grundsätzlich ablehnen, weil wir es für absolut unmöglich halten, dass etwas Übernatürliches geschieht.

Leute, die eine solche negative Vorentscheidung treffen, werden manchmal als »Dogmatisten« oder »Ideologen« bezeichnet – oder »Scheuklappendenker« usw. -, weil sie die Wirklichkeit nicht auf das hin überprüfen, was sich dort zeigt, sondern grundsätzlich das nicht für möglich halten, was sie sich nicht vorstellen können. Aber – jemanden so zu bezeichnen ist letztlich kein Argument. Denn Christen, die an Wunder glauben und sie für durchaus wahrscheinlich halten, werden von den Gegnern dieser Position ebenfalls als »Ideologen« bezeichnet. Dadurch gewinnt man also nichts.

Aber diese Aussage – »Es ist unmöglich, dass Wunder geschehen!« – hängt vollkommen in der Luft. Einmal angenommen, es gäbe einen Gott – dann ist es durchaus sinnvoll zu glauben, dieser Gott könne in der Natur wirken, was er will, ohne an irgendwelche Naturgesetze gebunden zu sein (denn immerhin hat dieser angenommene Gott ja die Natur mit ihren Gesetzen erschaffen).
Die These, es könne eventuell einen Gott geben, ist aber durch und durch möglich. Es gibt schlicht kein Argument, dass die Existenz Gottes zu einem Ding der Unmöglichkeit macht. Somit ist die Aussage »Wunder kann es gar nicht geben!« ebenso gut wahr wie falsch.

Ob es nun aber einen Gott gibt, der Wunder wirkt, oder ob es vielleicht keinen Gott gibt und deshalb auch keine gottgewirkten Wunder, ist keine Frage, die wir durch Logik oder unendliche Diskussionen entscheiden können – sondern allein durch einen Blick in die Wirklichkeit. Wir müssen also die Realität daraufhin überprüfen, ob es vielleicht doch – hier und da – Wunder gibt. Und falls uns Berichte zu Ohren kommen, sollten wir ernsthaft prüfen, ob es sich um glaubwürdige Berichte handelt. Auf keinen Fall dürfen wir die Berichte deshalb als unglaubwürdig bezeichnen, weil dort von Wundern berichtet wird – denn deren Existenz wollen wir ja gerade überprüfen.

Wunder gibt es immer wieder … auch heute noch

Biblischen Wunder sind gar nicht soo außergewöhnlich – Wunder geschehen bis auf den heutigen Tag und sind oft aufgrund der modernen wissenschaftlichen Möglichkeiten bestens untersucht und belegt. (Für jede Selig- und Heiligsprechung ist ein überprüftes und anerkanntes Wunder nötig.)

Vor allem in Lourdes sind die Bedingungen für Skeptiker ideal: Dort gibt es eine ständige Kommission unabhängiger Ärzte, von denen immer ein großer Teil Atheisten oder zumindest nicht kirchlich gebundene Mediziner sind, die die gemeldeten Heilungen unmittelbar und eigenhändig überprüfen. Auch diese Untersuchungen kommen nicht zu dem gesicherten Ergebnis, dass es Wunder gibt; sie erklären lediglich, dass eine Heilung medizinisch nicht erklärbar ist. Die Kriterien zur Anerkennung einer »wunderbaren«, d. h. nicht erklärbaren Heilung sind so streng, dass von den über tausend gemeldeten Heilungen bis heute nur 55 anerkannt wurden.

Aber Wunder sind nicht an solch einen besonderen Orte gebunden. In jedem Selig- oder Heiligsprechungsverfahren muss ein Wunder gesichert sein, damit ein Kandidat (oder eine Kandidatin) offiziell liturgisch verehrt werden darf. Die Untersuchungen zur Sicherung eines Wunders – auch »Wunderprozesse« genannt – sind strenge Verfahren, die übrigens zu einem großen Teil öffentlich gemacht wurden (z. B. in Wilhelm Schamonis »Wunder sind Tatsachen«). Diese Wunderverfahren sind akribisch und umfangreich: Bei der Untersuchung der Heilung eines taubstummen Jungen 1717 wurden 129 Zeugen verhört, die Akte umfasst 2934 beidseitig beschriebene Blätter – also fast 6000 Seiten.

Fazit

Vielleicht liegt es daran, dass oft von der historischen Glaubwürdigkeit »Der Bibel« insgesamt gesprochen wird – und dabei dann nicht zwischen dem Alten Testament und den Evangelien unterschieden wird. Da Jesus und Moses gleichermaßen biblische Personen sind, wird oft auch der Bericht über einen Kamm geschoren und als märchenhaft-legendär bezeichnet.
Ein genauerer und vor allem wissenschaftlicherer Blick lässt aber weder an der Existenz Jesu einen Zweifel – noch an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit der Evangelien. Das Gegenteil ist richtig: Über keine andere Person der Antike haben wir so viele und so zuverlässige Informationen wie über Jesus von Nazareth.

Schlagwörter: , Last modified: 28. Februar 2024