Immer wieder werde ich gefragt, was denn eine schwere – und was eine leichte Sünde sei. Nun – eigentlich müssen wir es nicht so genau wissen, wenn wir regelmäßig (z. B. 14-tägig) beichten gehen und alle Sünden, die uns bewusst sind, vor Gott bringen. Zu fragen, was davon schwer und was nicht ganz so schwer wiegt, ist dann müßig – und lenkt vom eigentlichen Sinn der Beichte ab.
Interessant wird es erst dann, wenn ich gar nicht regelmäßig beichten gehen möchte, sondern nur dann beichten gehe, wenn ich muss. Allein schon dieser Gedanke ist eine Perversion des Beichtgeschehens. Anfang des 20. Jahrhunderts haben viele Gläubige die Priester bedrängt, doch bitte genau festzulegen, wo eine leichte Sünde aufhört und eine schwere Sünde beginnt. Im »Beichtbüchlein« des Münsteraner Professors Jone von 1914 schlägt sich das Entgegenkommen der Priester dann nieder. Zum Beispiel heißt es dort, dass jemand, der Freitag weniger als 60 g Fleisch isst, sicherlich nicht schwer sündigt, dagegen ist es mit Sicherheit eine leichte Sünde, mehr als 20 g Fleisch zu essen.
Es ist aber sicherlich kein Ausdruck einer gelungenen Liebesbeziehung, das Fastenversprechen mithilfe einer Briefwaage einzuhalten.
Aber so ist es nun einmal: Wir haben ein gestörtes Verhältnis zum Guten – und so wissen wir manchmal nicht genau, ob das, was wir getan haben, gut, schlecht oder sehr schlecht gewesen ist. Die Kirche steht hier sicher in der Pflicht, uns Richtlinien zu nennen, die uns Schuld und auch schwere Schuld erkennen lassen.
Schwere Sünde
Zunächst gehört zur schweren Sünde die sogenannte »schwere Materie«. Das heißt, das Gebot oder das Gut, das wir verletzen, ist keine Nebensache und keine Bagatelle. Sicherlich gehören dazu die Zehn Gebote und die Fünf Kirchengebote.
Alle schweren Sünden aufzuzählen ist unmöglich. Auf jeden Fall gehört hierzu aber der Ehebruch, die absichtliche Lüge, Betrug, Mord, Gewalt, Körperverletzung, sexuelle Perversion, Untreue, Geheimnisverrat, üble Nachrede oder Verleumdung, Diebstahl, Drogenmissbrauch, Blasphemie (Gotteslästerung) und Sakrileg (Schändung des Heiligen).
Darüber hinaus muss der Verstoß gegen dieses Gebot freiwillig, absichtlich und wissend geschehen. »Aus Versehen« sündigt keiner schwer; ebenso wenig, wenn er von einem Gebot gar nichts gewusst hatte oder die Folgen seines Tuns ohne Schuld falsch eingeschätzt hat.
Allerdings sollten wir uns in dieser Hinsicht genau prüfen; denn sehr schnell haben wir Entschuldigungen an der Hand, die wie das Kaninchen aus dem Hut gezaubert sind. Die Frage ist vor allem, ob wir an dem Zustand der Unwissenheit, der Absichtslosigkeit oder der Unfreiwilligkeit nicht vielleicht selbst schuld sind? (Weil wir zum Beispiel freiwillig zuviel Alkohol getrunken haben …?)
Kant hat die Leichtfertigkeit, mit der wir uns einreden, wir könnten nicht anders, mit einem schönen, wenn auch drastischen Beispiel veranschaulicht: Einem jungen Mann, der sagt, dass bei Zusammentreffen bestimmter Bedingungen wie einem Haus, in dessen Schlafzimmer sich sein Liebchen befindet, er nicht anders könne als von seiner Leidenschaft hingerissen zu werden und Handlungen vorzunehmen, die in der Transzendentalphilosophie als »Sauerei« zu bezeichnen sind, antwortet Kant eiskalt: Dann lassen wir alle diese Bedingungen zusammentreffen und vermehren sie um eine, dass nämlich vor dem Haus ein Galgen errichtet sei, an welchem du nach Verrichtung deiner Handlungen sofort aufgeknüpft wirst, dann wollen wir doch einmal sehen, ob du nicht doch anders kannst. (KpV A 54 – zitiert nach R. Löw).
Ein guter Indikator für eine schwere Sünde ist unser Gewissen. Zu dem, was wir unter Gewissen genau zu verstehen haben, ist allerdings eine eigene Katechese erforderlich. Nur soviel: Wer sein Gewissen regelmäßig bildet, der Kirche in ihren moralischen Vorstellungen folgt, der darf ruhig seinem Gewissen trauen im Urteil über die Schwere einer Schuld.
Eine schwere Sünde richtet sich gegen eine Person oder eine Sache dieser Welt – und gegen Gott. Insofern verlangt eine schwere Sünde fast ausnahmslos eine irdische Wiedergutmachung – und die sakramentale Beichte vor Gott.
Leichte Sünde
Zu dem, was im Allgemeinen als »leichte Sünde« oder veraltet auch als »lässliche Sünde« bezeichnet wird, brauchen wir dann nicht mehr viel zu sagen. Eine lässliche Sünde ist demnach alles, was zwar Sünde ist, aber eben nicht schwer sündhaft. Mit anderen Worten: Immer dann, wenn wir unwissend (aber unverschuldet unwissend!), unfreiwillig oder in guter Absicht gehandelt haben – oder wenn der angerichtete Schaden oder das übertretene Gebot nur unbedeutend ist, handelt es sich um eine lässliche, d.h. für Dein Verhältnis zu Gott nicht schwer lastende Sünde.
Dabei gilt der Grundsatz: Wenn Du Dir – nach eifriger und aufrichtiger Gewissenserforschung – nicht sicher bist, ob Du eine leichte oder eine schwere Sünde begangen hast, so nimm Dir zwar vor, sie bei nächster Gelegenheit zu beichten – bis dahin gehe aber davon aus, dass es sich um keine Todsünde gehandelt hat.
Das mag mal wieder sehr »lasch« klingen. Aber die Kirche hat kein Interesse an einem übertriebenen Sündenbewusstsein – auch wenn der Kirche das immer wieder unterstellt wurde (und noch wird).
Dahinter steckt auch die Erfahrung der Kirche, dass im Zweifelsfall Skrupellanten (Mensch mit übertriebenem Schuldkomplexen) eher gefährdet sind als moralische Phlegmatiker (Menschen mit unterentwickeltem Schuldbewusstsein). Mal ehrlich: Moralische Phlegmatiker sind wir mehr oder weniger alle, oder?
Und noch ein Ratschlag: Bevor Du also schlaflose Nächte hast, ob etwas überhaupt Deine Schuld war – und wenn, ob nur leicht, schwer oder sehr schwer … geh einfach beichten! Dann hat sich die Frage erledigt. Das Schöne an einer Beichte ist, dass Du alles beichten kannst – auch die Dinge, die gar keine Sünden gewesen sind. Außerdem ist es doch nett, wenn der Priester Dir die erfreuliche Nachricht mitteilt, dass aus seiner Sicht die Hälfte Deiner Sünden gar keine Sünden sind – das nennt man dann »Frohe Botschaft«.
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