Tatsächlich behauptet Jesu an keiner Stelle in den überlieferten Evangelien: »Ich bin Gott – Jahwe – Der Einzige und Ewige!« oder so ähnlich. Das macht die Sache natürlich schwierig … Wenn es tatsächlich das Zentrum der Botschaft sein sollte, dass Jesus der menschgewordene Gott ist, dann hätte er es doch auch klipp und klar sagen können, oder?

Der Grund dafür ist einfacher, als es scheint: Hätte Jesus sich einfach als Gott bezeichnet, so wäre er absolut missverstanden worden – denn dann hätten die Juden in Jesus »Jahwe« sehen müssen – also das Wandeln des einen Gottes auf Erden wie in den römischen, griechischen und ägyptischen Mythologien. Von »Dreieinigkeit« oder »Trinität« hatte damals noch keiner etwas gehört – und selbst, wenn Jesus diese Begriffe eingeführt hätte, wären sie nicht verstanden worden. Es bedurfte immerhin einer fast 200-jährigen theologischen Diskussion und intensiven Nachdenkens, um den Horizont zu schaffen, in dem das neue Gottesbild (»Ein Gott« wie im Glauben der Juden, und dennoch »drei Personen«) zu verstehen war. Mit anderen Worten: Für die Selbsterklärung Jesu war weder das notwendige Vokabular noch der unverzichtbare philosophische Background gegeben.

Der Jesus der Evangelien geht vielmehr typisch jüdisch und psychologisch geschickt vor: Die Zuhörer der Predigten, Partner in Streitgesprächen und Augenzeugen der Wunder sollen durch ein Bedenken der Worte und Ereignisse selbst zum Schluss kommen, wer Jesus denn sein könnte. Nicht nur, weil Jesus es behauptet, sollen wir Ihn als Gott glauben, sondern weil er »mit einer ungewohnten Vollmacht lehrt«, weil er »Dinge tut, die nur Gott tun kann« – und weil er uns einen Blick auf einen Gott werfen lässt, der viel göttlicher ist als erwartet. Ein solcher Glaube ist das Gegenteil eines blinden Glaubens: Dem so gewonnenen Glauben liegt dann eine eigene Erkenntnis zugrunde, selbst wenn man dafür noch keine angemessenen Worte, Begriffe oder Begriffssysteme zur Verfügung hat.
Den Anspruch, Gott zu sein, sollte jeder, der IHM begegnet, durch die Einzigartigkeit des Auftretens, Wirkens und des Lebens Jesu selbst erschließen können. Entweder ist der, der behauptet, Gottes Sohn zu sein, wahnsinnig – oder er hat recht.

Es ist plausibel, dass die Evangelisten den Anspruch Jesu auf die gleiche Weise in Worte fassten wie es Jesus selbst getan hat – aber ebenso klar lehrten, dass an der Göttlichkeit Jesu selbst kein Zweifel blieb. Aber nur, weil diese »implizite Christologie« plausibel sein könnte, muss sie nicht schon tatsächlich wahr sein. Wie sieht es also mit den Hinweisen auf die göttliche Natur Jesu aus?

Der göttliche Selbstanspruch Jesu

Nun, beginnen wir also eine Spurensuche. Die Beweislast liegt bei uns Christen: Es ist unsere Aufgabe, einwandfrei nachzuweisen, dass es die Intention der Evangelisten war, die Göttlichkeit Jesu zu belegen. – Gottseidank haben wir ein leichtes Spiel. Das Evangelien sind voll von Aussagen Jesu, die seinen göttlichen Selbstanspruch belegen.

Die Wunder Jesu
Wer als erstes Argument für die Göttlichkeit Jesu nun erwartet, dass ich hier die Wundertaten Jesu aufzähle, den muss ich enttäuschen: Die Wunder- oder Zeichenhandlungen sind Bestandteil der Predigt Jesu und seiner Botschaft. Aber Wundertäter gibt es in allen Religionen und zu allen Zeiten; dieses Kriterium allein ist nicht eindeutig.

Zwölf Jünger
Ein erster Hinweis ist vielmehr die Tatsache, dass Jesus zwölf Jünger zu Aposteln ernannte und damit – in Bezug auf die zwölf Stämme Israels – ein »neues Israel« begründete. Wohlgemerkt – Jesus ernannte die zwölf Apostel; er selbst aber war keiner davon. Im Gegensatz zu Josef und seinen elf Brüdern ist Jesus nicht einer, der zum neuen Volk gehört. Er setzt das neue Volk ein. Wie Jahweh, der im Alten Testament das alte Israel erschuf. (So heißt es im Urtext bei der »Erwählung« der Zwölf (Lk 6,13; Mk 3,13-16 und Mt 10,2) auch: »Und er schuf die Zwölf«.)

Jahwe – »Ich bin«
An einer Stelle sagt Jesus einen grammatikalisch unkorrekten Satz: »Amen, Amen, ich sage Euch: Ehe Abraham wurde, bin ich« (Joh 8, 58). Das mag für unsere Ohren nur ungewohnt klingen – für die Juden zur Zeit Jesu war es pure Anmaßung; denn das »Ich Bin« ist schließlich der Gottesname Jahwe (Und Gott sprach: Ich bin der »Ich bin« – Ex 3,14). Nicht umsonst ist die Reaktion der Juden an dieser Stelle eindeutig: Sie heben Steine auf, um Jesus zu steinigen.
Ebenso klangen die sieben »Ich-bin«-Worte (Ich bin das Leben, Ich bin die Wahrheit, der Weg, das Licht, das Brot, die Tür, der gute Hirte, die Auferstehung und der Weinstock) auch sehr nach dem Gottesbegriff »Jahwe«.

Ich aber sage Euch
In der Bergpredigt heißt es an fünf Stellen: »Ihr habt gehört, dass gesagt wurde« (oder: »zu den Alten gesagt wurde«), »ich aber sage Euch …« (Mt 5, 21.27.31.33.38 und 43). Nun, an diesen Stellen setzt Jesus sich nicht nur mit Mose gleich (zumindest der Autorität nach); denn Mose hat das Gesetz, dass er verkündet hat, ja auch nur von Gott auf dem Berg Sinai empfangen. Nein – er vertieft und korrigiert das, was »die Alten verstanden haben«, mit der Autorität dessen, der schon damals zu ihnen gesprochen hat.
Von daher ist es auch keine Nebensächlichkeit, dass diese berühmte Predigt, in der Jesus SEIN neues Gesetz formuliert, ebenfalls auf einem Berg stattfand – daher der Name »Bergpredigt«.

Thomas spricht es aus
Entgegen dem unpassenden Spitznamen, »der ungläubige Thomas«, ist Thomas der einzige Apostel, der es aussprach: Als er nämlich nach anfänglicher Skepsis dem Auferstandenen tatsächlich begegnet, sagt er zu Jesus: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28).

Niederfallen – Saum küssen – proskyneo
»Als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder« (Mt 28,17). Nun, auf den ersten Blick kein klares Argument. Denn das griechische Wort »proskyneo« kann mit »niederfallen«, »Saum küssen« oder auch »anbeten« übersetzt werden. Aber so, wie das Wort »proskyneo« im Neuen Testament verwendet wird, wird deutlich (egal, was das Wort »proskyneo« bedeutet): »es« zu tun ist allein Gott vorbehalten.

Offb 22,8-9: »Ich, Johannes, habe dies gehört und gesehen. Und als ich es hörte und sah, fiel ich dem Engel, der mir dies gezeigt hatte, zu Füßen, um ihn anzubeten (‚proskyneo‘). Da sagte er zu mir: Tu das nicht! Ich bin nur ein Knecht wie du und deine Brüder, die Propheten, und wie alle, die sich an die Worte dieses Buches halten. Gott bete an (‚proskyneo‘)!«

Die Sündenvergebung
Ein weiteres Indiz an verschiedenen Stellen der Evangelien ist die Vergebung der Sünden, die Jesus verschiedenen Menschen gewährt. Zu Recht beschweren sich die Juden, dass Jesus damit etwas in Anspruch nimmt, das allein Gott zukommt (Lk 5, 21). Dennoch bleibt Jesus dabei – er kann diese Vollmacht sogar weitergeben (Joh 20,23); das macht deutlich, dass die Macht zur Sündenvergebung sogar von ihm ausgeht.

»Ich und der Vater sind eins«
Im Johannesevangelium gibt es so zahlreiche Belege für die Göttlichkeit Jesu, dass ich mich hier auf zwei weitere beschränken will. Zum einen sagt Jesus in Joh 10,30: »Ich und der Vater sind eins« – mit der entsprechenden Reaktion der Juden, die wiederum Jesus steinigen wollen.

Zu Beginn des Johannesevangeliums heißt es noch deutlicher: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott« (Joh 1,1). Das »Wort« ist hier unzweifelhaft Jesus, wie der Fortgang des Prologs deutlich macht. In diesem Prolog wird Jesus in Vers 1 nicht nur mit Gott gleichgesetzt »und das Wort war Gott«, sondern bekommt auch im folgenden göttliche Attribute: »Er war vor aller Zeit und durch ihn ist alles geworden, was existiert« (Joh 1,2-3). Diese Aussage findet sich auch in anderen neutestamentlichen Hymnen: 1 Kor 8,6; Phil 2,6; Kol 1,15-20; Eph 1,4; Hebr 1,2f.

Rabbi Neusners Problem
Rabbi Neusner, der den Gottesanspruch Jesu ablehnt und lieber Jude bleiben will, erkennt aber in seinem Buch »Ein Rabbi spricht mit Jesus« eindeutig an, dass Jesus sich selbst an die Stelle Gottes setzt: Rabbi Neusner schreibt: »Jeder, der dem Jesus bei Matthäus begegnet, erkennt, dass der Evangelist den inkarnierten Gott vor Augen hat«.

Er macht diesen Anspruch (und auch die Gründe, warum er diesen Anspruch ablehnt) an vielen Stellen des Evangeliums fest; die – zumindest grob gesprochen – alle darauf hinauslaufen, dass Jesus sich mit der Veränderung der Gebote nicht nur göttliches Recht anmaßt – sondern sich selbst zum Sinn und Gegenstand der Gebote macht. »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig« (Mt 10, 37) – »Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig« (Mt 10, 38) – »Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen« (Mt 10, 39) – »Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat« (Mt 10, 40). »Denn der Menschensohn ist Herr über den Sabbath« (Mt 12,8). »Jesus antwortete ihm: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach« (Mt 19,21).

Immer wieder läuft eine eingehende, auf jüdische Tradition basierende Analyse auf das gleiche Ergebnis hinaus: Während die Juden das Gesetz befolgen, weil es sie zu Gott führt; erwartet Jesus, dass wir die Gesetze so befolgen, dass sie uns zu ihm führen. Jesus spricht zu uns als Gott. »Und das lehne ich ab!«, schließt Jakob Neusner. Aber seine Erkenntnis bleibt.

Die Erkenntnis hat nicht erst Rabbi Neusner gewonnen; als Edith Stein ihrer Mutter erklärte, dass sie sich taufen lassen wolle, meinte ihre Mutter – aus jüdischer Perspektive – über Jesus: »Er war ja ein guter Mann. Wenn er sich doch nur nicht zu Gott gemacht hätte!«.

Die Auferstehung
Den letzten und entscheidenden Punkt – die Auferstehung Jesu – möchte ich in dieser Katechese aussparen; über die historische Glaubwürdigkeit der Auferstehung zu schreiben, bietet genügend Stoff für eine eigene Katechese – die vielleicht noch geschrieben wird. Vorläufig verweise ich auf die bereits niedergeschriebenen Gedanken zur Auferstehung. (link: Auferstehung.htm)

Fazit

Die hier angeführten Bibelstellen sind nur ein Bruchteil dessen, was angeführt werden könnte. Mag sein, dass die eine oder andere Bibelstelle in der Interpretation noch diskutiert wird – dennoch geht kein Weg daran vorbei: Wenn das Zeugnis der Evangelien wahr ist (und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln), hat Jesus klar und deutlich den Anspruch für sich erhoben, mit der Stimme Gottes zu seinem Volk zu sprechen. Mögen wir wie viele Zeitgenossen Jesu oder wie Rabbi Neusner heute diesen Anspruch ablehnen – es bleibt unstrittig, dass Jesus ihn erhoben hat.

Unsere neuesten Artikel zu «Jesus Christus»

Alle Artikel zur Jesus Christus im Überblick

Unsere neuesten Artikel

Schlagwörter: , Last modified: 22. Mai 2020