Die Mitglieder des Hohen Rates der Juden – also die Hohenpriester, die Pharisäer und Schriftgelehrten in Jerusalem – wollten dass Jesus stirbt, weil er sich selbst an die Stelle Gottes stellte. Er erhob unverblümt die Ansicht, Gottes Sohn sein – und zwar mit dem Anspruch, damit Gott gleich zu sein.
Dieser Zusatz («Gott gleich») ist wichtig: Wir bezeichnen gerne alle Menschen als «geliebte Kinder Gottes», und auch wir Christen werden durch die Taufe zu Söhnen und Töchtern Gottes. Aber das ist nicht mit der Sohnschaft Jesu zu vergleichen. Wir sind und bleiben Geschöpfe, die Gott als seine Kinder annimmt. Jesus dagegen ist selbst Gott. Weil er, der Sohn Gottes und Gott selbst ist, Mensch geworden ist, können wir durch ihn ebenfalls Kinder Gottes werden.
Wenn Jesus sich also als Sohn Gottes bezeichnet, dann war für die Juden klar: Er stellt sich mit Gott gleich.
Andere Erklärungsversuche
In vielen modernen Erklärungen zum Tode Jesu wird oft darauf verwiesen, dass er die damalige Ordnung der Gesellschaft in Frage stellte, weil er sich den Armen und Sündern zugewendet hat. Angeblich würde er damit die jüdische Obrigkeit zum Zittern bringen – eine absurde Vorstellung. Denn selbstverständlich gehört auch damals schon die Versorgung der Armen zum jüdischen Ideal. – Auch die Vermutung, Jesu hätte die Gebote (und dem damit verbundenen Legalismus) kritisiert, ist kein Grund für einen Mordkomplott gegen ihn; Kritik an Kult und Fixierung auf die Gebote gehörte immer schon zur guten prophetischen Tradition im Judentum.
Jesus setzt sich an Gottes Stelle
Nein: Nicht weil Jesus den Sabbat nicht gehalten hat, sondern weil er sich als Herrn über den Sabbat bezeichnet hat, musste er sterben. (Mt 12,8: «Jesus sagte: Darum ist der Menschensohn auch Herr über den Sabbat») Denn der Herr des Sabbat ist allein Gott.
Noch an vielen anderen Stellen setzt Jesus sich mit dem einen Gott gleich, indem er sogar an vielen Stellen den Gottesnamen „JHWH – Ich bin“ auf sich anwendet. (Mk 6,50; Mk 14,62; Lk 22,70; Joh 4,26; Joh 8,18; Joh 8,24; Joh 8,28; Joh 8, 58; Joh 9,9; Joh 13,19; Joh 18,5).
Auch wenn Jesus sagt: «Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben» (Joh 6,35; Joh 7,38; Joh 11,25; Joh 12,44; Joh 14,12), stellt er sich an die Stelle Gottes. Für jeden gläubigen Juden war klar, dass ein Prophet so etwas nur von Gott, aber nicht von sich selbst sagt.
Jesus setzt sich also über sämtliche Regeln hinweg und redet immer wieder von sich, wenn ein guter Prophet oder Schriftgelehrte von Gott sprechen würde: «Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken.» (Mt 11,28); «Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn?» (Joh 9,35); «Ich will euch zeigen, wem ein Mensch gleicht, der zu mir kommt und meine Worte hört und danach handelt.» (Lk 6,47). «Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde… ich aber sage euch!» (Mt 5)
Jesus verändert das Gottesbild
Es ist aber nicht nur, dass Jesus sich selbst mit JHWH identifiziert – er «verdoppelt» ihn sozusagen, indem er von sich und von seinem Vater als Gott spricht (später kommt sogar noch eine weitere Person hinzu: der Heilige Geist). Damit verstößt er (in der Wahrnehmung der Juden) gegen den Monotheismus, den Ein-Gott-Glauben, für den die Juden sogar bereit waren, in den Tod zu gehen. Einen Jesus von Nazareth, der diesen Glauben in Frage stellt und sich selbst zu einem Gott macht, können die Juden nicht am Leben lassen.
Und obwohl der Entschluss, Jesus zu töten, aus dem jüdischen Selbstverständnis gut begründet war, ist er zugleich ein schuldhafter Verstoß der jüdischen Schriftgelehrten gegen den eigenen Glauben. Denn Jesus belegt seinen Anspruch mit den Ankündigungen durch die Propheten, bezieht sich auf Vorausdeutungen in den Schriften, offenbart sich als Gott durch sein Wunderwirken und zahlreiche weitere Zeichen. Die Schriften des Alten Testamentes konnte man gegen Jesu‘ Göttlichkeit auslegen – aber auch als die Ankündigung des Gottes Sohnes und die Bestätigung des Anspruches Jesu. Dass die jüdische Obrigkeit einer bestimmten Interpretation (nämlich ihrer eigenen Meinung) der Schriften zuliebe einen Menschen töten ließ, ist ihre persönliche Verirrung.
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