Einteilung der Häresien
In «Teil 1 – Wer war Jesus?» – haben wir den unübersichtlichen Wust von Häresien in ordentliche Haufen sortieren. Genauer: in drei Haufen: Entweder wird (A) die wahre Menschheit Jesu geleugnet (oder abgeschwächt) oder (B) seine Gottheit bestritten oder (C) die Einheit von Gott und Mensch in der Person Jesu wird verkannt.
Wenden wir uns als dem zweiten Haufen zu:
Christologische Häresien – B-Klasse
Unter die Häresien, die lehren, Jesus sei nicht richtig Gott gewesen, fallen die …:
- … Ebioniten, Markion, Cerinth, Paul von Samosta, Photinus u.a.: Sie leugnen ohne große Scheu die Göttlichkeit Jesu und seine Präexistenz (also seine ewige Existenz auch schon vor der Geburt in Bethlehem);
- … verschiedenen Varianten des Subordinatianismus (lat.: »unterordnen«): Der Subordinatianismus nimmt zwar drei verschiedene Personen in Gott an, spricht aber der zweiten (und dritten Person) die Wesensgleichheit mit dem Vater und damit die volle Gottheit ab. (Und da es genau genommen keine Halb-Götter und auch keine Dreiviertel-Götter gibt, ist Jesus dann eben gar kein richtiger Gott);
- … Theorien des Adoptianismus (von »adoptieren«): Gott nimmt einen gewöhnlichen Menschen (Jesus) als seinen eigenen Sohn an. Dieser Mensch hat sich die Sohnschaft durch seine einmalige Gesetzestreue verdient. Viele »Adoptianer« glauben, dieser Moment der Adoption sei in der Taufe Jesu zu finden: Dort wird er zum Sohn. – Der Apoptianismus wahrt den Ein-Gott-Glauben auf Kosten der Göttlichkeit Jesu;
- … Vertreter der Propheten-Christologie: Teilströmung des Adoptianismus; Jesus war Prophet und wurde als größter aller Propheten zum Sohn;
- … Anhänger des Arianismus (nach dem alexandrinischen Presbyter Arius, gest. 336): Der Sohn ist ein Geschöpf des Vaters, dem Vater ungleich und zeitlich, aber dennoch Gott (genannt). Gott wurde Vater, als er sich in Vater und Sohn aufspaltete. Gott war also nicht schon immer Vater, der Sohn war nicht von jeher. Jesus ist geschaffen, er ist ein anderer Gott, der unter dem einen Gott steht. Er wurde aber vor der Erschaffung der Welt und der Zeit erschaffen.
Der Arianismus
Der Presbyter Arius versucht, in Jesus die Gegensätze »Gott und Mensch« denkerisch zu versöhnen, indem er von beiden Abstriche macht: Jesus ist nur fast wie Gott; er war zwar schon vor der Zeit, ist aber selbst nicht ewig – wie ein Mensch. Der Unterschied machte sich letztlich an einem einzigen »i« fest: War Jesus gleicher Wesensart wie Gott (auf griechisch: »homo-ousios«) oder nur ähnlicher Wesensart (gr.: »homoi-ousios«)?
Gefühlsmenschen, die gerne auf die ursprüngliche Kraft des Evangeliums verweisen und dessen eigentliches Anliegen, schütteln an dieser Stelle fassungslos mit dem Kopf: Geht es denn im Evangelium nicht um Wichtigeres als um ein einziges »i« in einer philosophischen Fragestellung?
Arius hat mit dieser Christologie – dem Arianismus – einen publikumswirksamen Geniestreich vollbracht – und die positive Annahme dieser Lehre in der Breite der Kirche gab ihm zunächst recht: Die Lehre des Arius verbreitete sich so rasant, dass es innerhalb weniger Jahre so schien, als wenn die gesamte Kirche arianisch geworden war – mit nur noch wenigen Ausnahmen wie z. B. Athanasius von Alexandria, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa und Ambrosius von Mailand. Auch der römische Kaiser schien zunächst Arianer zu sein, wandte sich dann aber von dieser Lehre ab und ermöglichte schließlich das »Konzil von Konstantinopel«, auf dem der Arianismus dann abgelehnt wurde.
Christologie für Nachfolger: Was sollen wir von diesen Theorien halten, wenn wir werden wollen wie Jesus?
Auch der Arianismus, genauso wie die anderen Häresien, die die Gottheit Jesu leugnen, ist nur eine Schein-Lösung auf Kosten des biblischen Befundes; noch schlimmer und weitreichender aber sind die Konsequenzen für die ganze Theologie.
Wie Jesus zu werden – und an seiner Stelle Teil der trinitarischen Liebesgemeinschaft zu werden, verliert hier jeden Wert: Denn Jesus war nie Teil eines innergöttlichen Geschehens. Gott ist ein anderer, nicht Jesus.
Weiter noch: Jeder Mensch ist auf die gleiche Weise wie Jesus bereits als Geschöpf gott-ähnlich (Gen 1, 27). Jesus mag vielleicht Gott noch ähnlicher gewesen sein als wir Menschen, aber es ist dann eben nicht Gott, der uns erlöst; es ist auch nicht Gott, der Mensch wird; und somit bedeutet Christ-sein und Christ-werden nicht, in einer gnadenhaften Verbindung mit Gott unser Glück zu finden, sondern nur noch in der Ähnlichkeit zu wachsen. Das ist aber kein liebendes Geschehen zwischen Gott und Mensch, sondern nur eine höhere Stufe des Seins.
Ein nach Liebe hungernder Mensch möchte aber nicht nur eine höhere Gehaltsstufe erreichen. Ewiges Glück liegt darin, dass der ewige Gott sich mir endgültig zuwendet.
Der Adoptianismus und die Propheten-Christologie
Der Adoptianismus und die Propheten-Christologie wollen den (scheinbaren) Widerspruch, Jesus zugleich als Gott und als Mensch zu bezeichnen, dadurch lösen, dass sie Jesus zunächst nur ein Geschöpf sein lassen, das erst später zum Gott gemacht (adoptiert) wurde.
Manche Theologen halten die Taufe Jesu für den Augenblick seiner Adoption. Erst nachdem Jesus getauft wurde, ertöne die Stimme Gottes, die ihn nun zu seinem Sohn erkläre: »Du bist mein geliebter Sohn. An dir habe ich Gefallen gefunden« (Mk 1,11; Lk 3,22).
Aber das löst das eigentliche Problem nicht, sondern leugnet in der Konsequenz nur die Göttlichkeit Jesu. Ein Geschöpf kann niemals wirklich und ganz Gott werden – es kann allerhöchstens mit Eigenschaften ausgestattet werden, die scheinbar nur Gott zukommen (z. B. Wunder wirken oder ewig leben, d. h. zukünftig unbegrenzt). Aber wirkliche göttliche Eigenschaften (wie z. B. Allmacht, Unendlichkeit und Ewigkeit) kann niemand »erhalten«.
Im 4. Band der fünfbändigen Trilogie »Per Anhalter durch die Galaxis« (von Douglas Adams) taucht ein gewisser »Wowbagger der unendlich Verlängerte« auf. Er ist zwar ein Geschöpf, hat aber in einem Preisausschreiben die Unsterblichkeit gewonnen. Ist er nun Gott? – Wohl kaum. Denn, so absurd dieses Beispiel auch ist: Nur derjenige, der dem lieben Wowbagger die Unendlichkeit verliehen hat, ist Gott. Nicht der, der sie gewinnt.
Wowbagger im Preisausschreiben nicht nur Unsterblichkeit, sondern Göttlichkeit zu verleihen, hieße, ihm nachträglich die Eigenschaft »von Ewigkeit her seiend« zu schenken – ein offensichtlich noch größerer Unsinn als alles das, was sich Douglas Adams jemals auszudenken wagte.
Warum wurde diese doch eigentlich naheliegende Erklärung abgelehnt? Zunächst einfach deshalb, weil damit der Tradition widersprochen wird; offensichtlich haben auch die Apostel Jesus nicht so verstanden: Er war nicht nur »irgendwie göttlich«, er war Gott selbst.
Hier zeigt sich besonders deutlich, dass die Kirche mit ihrer Ablehnung des Adoptionismus eben nicht dem griechischen Denken gefolgt ist. Für die griechischen Philosophen wäre die Leugnung der unbedingten Göttlichkeit eine wunderbare Lösung gewesen. Aber die Konzilien haben sich von Anfang an geweigert, den biblischen Glauben an »die göttliche Natur Jesu von Ewigkeit her« aufzugeben.
Christologie für Nachfolger
Noch wichtiger ist es, die Konsequenzen für die ganze christliche Lehre zu bedenken. Denn wenn Jesus sich die Gottheit verdient hat – entweder durch seine Gesetzestreue, seine vorbildliche Prophetentätigkeit oder auch durch seine unüberbietbare Nächstenliebe – dann hieße das für die Erlösung, dass auch wir erst auferstehen werden, wenn wir uns durch unsere eigenen Taten würdig erweisen. Ja, wir müssten unser Heil verdienen – das große Geschenk der Erlösung wäre kein Geschenk mehr; Gnade wäre keine Gnade, sondern Lohn.
Entsprechend dieser Auffassung hat sich in der frühen Kirche der Pelagianismus entwickelt: Glaube, Liebe und Gnade sind »Geschenke«, die der Mensch sich erst erarbeiten muss. Bischof Pelagius veränderte die Reihenfolge der christlichen Moral: Zuerst kommt der Fleiß (die moralische Anstrengung), dann der Preis (die göttliche Gnade); in Wirklichkeit wird uns Menschen wird zuerst die Gnade geschenkt, mit der wir dann – mitwirkend – zum neuen Menschen werden.
Gottseidank wurden der Peligianismus und dessen Voraussetzung, der Adoptianismus, verworfen. Ein solcher Glaube wäre eine moralische Hölle.
Natürlich könnte man einwenden, der Mensch Jesus habe seine Gottheit zwar geschenkt bekommen, aber eben unverdient. Damit vermeiden wir den Pelagianismus – sind dann aber schnell bei der All-Erlösung; denn wenn Jesus seine Sohnschaft einfach so geschenkt bekommt, dann gilt das ja wohl auch für uns und alle Menschen. Aber dann wird unser ganzes irdisches Tun entwertet – es hat keine Bedeutung; wir kommen ja sowieso alle in den Himmel. Anders ausgedrückt: Wenn Erlösung auf keinerlei Erlösungstat beruht – sondern nur auf einem Entschluss Gottes -, dann ist es reine göttliche Willkür, dass wir noch nicht alle im Himmel sind.
Weiter mit Teil 3 – Wer war Jesus?
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