Der Rosenkranz erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Zunehmend vor allem bei den »Neueinsteigern«, den vom Katholischen faszinierten Nicht-Getauften, oder den »Neu-Evangelisierten«. Während gelangweilte 0-8-15-Katholiken nach Abwechslung in Gebet und Gottesdienst rufen, genießen Menschen, die in eine tiefe Gottesbeziehung eintauchen, die Ruhe und Beschaulichkeit der Stille, der Liturgie – und des Rosenkranzes.
Stille? Ruhe? Beschaulichkeit? – Das scheint gerade für den wortreichen Rosenkranz nicht zutreffend zu sein. Doch der Rosenkranz ist kein Geplapper, sondern ein Gebet der Ruhe.
Ich vermute, das bedarf einer Erklärung. Deshalb dieser Artikel.
Der Rosenkranz – ein betrachtendes Gebet
Betrachtung – das Geheimnis des Gebets
Woran können Außenstehende erkennen, dass zwei Menschen sich lieben? Nicht an den Worten, die sie machen, sondern an den Blicken, die sie einander schenken. Vor jedem Gespräch steht die Betrachtung, das Schauen und Anschauen. In echten, tiefen Liebesbeziehungen reicht das oft auch schon aus – warum noch Worte machen, wenn man sieht? Worte, so sagt schon der Fuchs zum Kleinen Prinzen, sind die Quelle der Missverständnisse.
Der Rosenkranz ist ein solch betrachtendes Gebet. Das mag überraschen: Die meisten Außenstehenden glauben, der Rosenkranz sei genau das Gegenteil – ein endloses Geplapper. »Langweiliges Aneinanderreihen von Gebeten« – »Möglichst viele Worte, damit Gott wenigstens ein paar davon erhört«. Gott, so glauben manche, wird im Rosenkranz einfach »zugetextet«.
Aber das stimmt nicht – nicht, wenn man den Rosenkranz so betet, wie er über Jahrhunderte gebetet wurde und in den Beschreibungen großer Heiliger empfohlen wird. Wie so oft entpuppt sich das Klischee des »Geplappers der Heiden« beim näheren Hinschauen als sein genaues Gegenteil: Im Rosenkranz geht es nicht um die Worte, sondern um das Schauen.
Der Rosenkranz – Eine Fantasiereise
Ein paar Mal im Jahr fahre ich mit Schulklassen auf TRO – Tage religiöser Orientierung. An einem der Abenden biete ich eine Meditation an. Die Schüler nehmen sich eine Decke und legen sich auf den Boden, das Licht wird gelöscht, sie machen es sich bequem und schließen die Augen – und eine ziemlich bedeutungslose Musik wird eingespielt (sogenannte Meditationsmusik). Dann erzähle ich in ruhigen und langsamen Worten eine Geschichte, die sich in der Fantasie der Schüler zu Bildern formt. An bestimmten Stellen lasse ich den Schülern Zeit, sich die Bilder, die sie sehen, in Ruhe weiter auszumalen – und schweige einfach, während die Musik weiter vor sich hinplätschert.
Das gelöschte Licht, die geschlossenen Augen, die Musik – alles dient dazu, sämtliche Sinneswahrnehmungen auszuschalten, um der Fantasie freien Lauf zu lassen. Vor allem die Musik ist wichtig: Die Augen kann man schließlich geschlossen halten, aber die Ohren lassen sich nicht einfach abschalten. Nichts stört eine solche Fantasiereise aber mehr als ein Zwischenruf, ein Geräusch aus dem Nachbarzimmer oder eine Lautsprecherdurchsage. Deshalb die Musik: Sie soll übermalen, wenn jemand hustet, vor dem Meditationsraum jemand redet oder mitten im Meditationsraum jemand zu schnarchen beginnt. (Kommt vor …)
Der Rosenkranz ist nichts anderes als eine Fantasiereise: Die immer wiederholten Gebete sind die Musik, die uns zur Ruhe kommen lässt. Die ständig auf uns einströmenden Gedanken und Wahrnehmungen werden gebunden und verdrängt. Wie in der indischen Meditation das Mantra (das immer wiederholte gleiche Wort) oder in der buddhistischen Meditation die göttliche Silbe »Om«, sind die zahlreichen »Vaterunser« und »Gegrüßet seist Du Maria« nicht Inhalt des Rosenkranzes – sondern Hintergrund.
Das, was den Rosenkranz eigentlich ausmacht, ist die frei gewordene Fantasie. Wir betrachten biblische Szenen: Jesus, der geboren wird; Jesus im Tempel als 12-jähriger; Jesus auf seinem Kreuzweg und nach seiner Auferstehung.
So, wie der Leiter einer Fantasiereise eine Geschichte erzählt und an wichtigen Stellen schweigt, um den Bildern im Kopf der Meditierenden nicht die Freiheit zu nehmen, so werden in jedem Rosenkranz nur fünf Impulse gegeben; danach schweigt der Leiter des Rosenkranzes und nur die Musik (die »Gegrüßet seist Du Maria«) läuft weiter, damit die Betrachtung des Lebens Jesu nicht gestört wird.
Genial an der freigewordenen Fantasie ist, dass diese nicht nur Jesu Leben betrachtet – sondern auch zum Medium werden kann, in dem Gott zu uns spricht; in dem wir Gott begegnen.
Der Rosenkranz – Ein Jesus-Gebet
Deshalb ist der Rosenkranz auch kein Mariengebet oder (wie vor allem die Evangelikalen fälschlicherweise immer behauten) gar eine Anbetung Mariens. Ganz im Gegenteil: Das Leben Jesu wird betrachtet. Ihm weihen wir unsere Fantasie. Das Mariengebet ist nur die Hintergrundmusik, nicht der Inhalt der Betrachtung.
Dass wir gerade das »Gegrüßet seist Du Maria« als Hintergrund nehmen und nicht ein anderes Gebet, hat schon seinen Sinn. Denn wir schauen auf Jesus und sein Leben sozusagen aus dem Blickwinkel Marias; wir versuchen uns, ihre Sicht, ihre Liebe zu Jesus und ihren Glauben zu eigen zu machen. Aber so wie Maria ganz auf Jesus ausgerichtet war (und sie gerne im Hintergrund blieb), ist auch der Rosenkranz ein Jesus-Gebet.
Schon um 1085 wird der Rosenkranz erwähnt (Godiva): »The circlet of precious stones which she had threaded on a cord in order that by fingering them one after another she might count her prayers exactly were to be placed on a statute of the Blessed Virgin Mary.« Dass eine Marien-Statue den Rosenkranz hält, ist deutliches Zeichen, dass nicht Maria angebetet oder zu Maria gebetet wird – sondern vielmehr mit Maria. Es gibt ja kaum einen Sinn, Maria darzustellen, wie sie den Rosenkranz betet, wenn es ein Gebet zu Maria wäre. Das wäre ja wie ein Selbstgespräch …
Der Rosenkranz – Ein biblisches Gebet
Der Rosenkranz ist keine Erfindung der Kirche aus dem hohlen Zahn heraus, sondern hat sich aus der Bertrachtung der Heiligen Schrift ergeben. Sowohl die Geheimnisse stammen allesamt aus der Bibel, auch die »Hintergrund«-Gebete (Vater unser, Ave Maria, Ehre sei dem Vater …) sind biblischen Ursprungs, lediglich durch Zusätze der Christen ergänzt.
Der Rosenkranz – An jedem Ort, zu jeder Zeit.
Im Gegensatz zu anderen Gebetsformen (Kreuzweg, Anbetung, Vesper oder Laudes, Hl. Messe oder Andachten usw.) ist der Rosenkranz absolut flexibel. Man kann ihn an jedem Ort beten (ob in der Kirche, beim Autofahren oder im Bett) und zu jeder Zeit (24 Stunden nonstop).
Gut, das kann man mit anderen auswendig gelernten Gebeten oder mit Stoßgebeten auch. Aber der Rosenkranz bildet schon einen richtigen kleinen Gottesdienst – mit Eröffnung, Einleitung, Hauptteil und Abschluss. Und dennoch braucht man dazu kein Buch und kein Gerät. Sogar die Perlenschnur ist nicht notwendig – die meisten von uns haben zehn Finger, damit geht es auch. (Wer nicht mehr alle Finger hat, ist eben schneller fertig.)
Am schönsten und sinnvollsten ist es natürlich, den Rosenkranz in ruhiger Umgebung zu beten – am besten natürlich in der Kirche, vielleicht sogar während der Anbetung des Allerheiligsten. Da regen sich zwar immer noch Widerstände – oft sogar von Priestern – weil diese glauben, der Rosenkranz sei ein Gebet zu Maria. Da Du aber inzwischen besser Bescheid weißt, passt der Rosenkranz als das schönste Jesus-Gebet natürlich wunderbar in die Anbetung. Was gibt es Schöneres, als den zu betrachten, der leibhaftig vor mir steht und bei mir wohnt?
Aber das Rosenkranz-Gebet ist genügsam. Man kann den Rosenkranz eben nicht nur in der Kirche beten, sondern auch zuhause oder in der freien Natur. Besonders gut geeignet ist das Rosenkranz-Gebet wegen seines rhythmischen Sprechens beim Gehen (sogar beim Joggen, Radfahren und Autofahren), beim Arbeiten und gemeinsamen Kartoffelschälen. Ich habe früher gern beim Trampen den Rosenkranz gebetet und war dann oft enttäuscht, wenn schon vor dem Ende des Gesätzes ein Auto anhielt.
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