Ist Ihnen die Fußwaschung nicht auch peinlich?
In vielen Gemeinden ist es üblich, dass die Fußwaschung am Gründonnerstag nicht nur erzählt, sondern auch nachgespielt wird. Was glauben sie, wie schwierig es ist, dafür Freiwillige zu bekommen. Es ist peinlich, sich die Füße waschen zu lassen. Würden sie sich von mir die Füße waschen lassen?
Woher kommt das? Woher kommt dieses Unbehagen, einen solchen Dienst über sich ergehen lassen zu müssen?
Wir empfinden grundsätzlich kaum eine größeres Unbehagen, als dann, wenn wir zugeben müssen, dass wir einen solchen Dienstes brauchen. Wie schwer fällt es z.B. nicht nur älteren Menschen zu akzeptieren, dass sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind! Wie viel innere Not verspürt jemand, der selbst zum Pflegefall geworden ist und sich somit nicht mehr revanchieren kann. Der sich jetzt wirklich die Füße waschen lassen muss.
Jemand, der in der Hospizbewegung tätig ist, hat vielen Sterbenden genau diese Unfähigkeit bescheinigt: Dass sie ganz von vorne lernen müssen, sich einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen; dass sie oft die einfachsten Dinge nicht mehr selbst schaffen.
Und das ist uns peinlich. Hilfe annehmen müssen ist nicht mehr in. Wer die Hilfe anderer braucht, ist abhängig. Der gibt öffentlich zu verstehen, dass er nicht alles alleine kann. Er hat seine Unabhängigkeit verloren. Das ist peinlich.
Wo sich doch in unserer Werbung die Unabhängigkeitserklärungen überschlagen! Wo sich doch inzwischen jeder und jede ein eigenes Handy leisten kann, das Symbol der Unabhängigkeit schlechthin. Wie groß wird in Amerika die Unabhängigkeit gefeiert! Fast jedes Land feiert die Unabhängigkeit als eigenen Staatsfeiertag. Und wie wichtig ist es für jeden Jugendlichen, mit seinem 18. Geburtstag seinen ganz persönlichen Independence Day zu feiern! Wie peinlich dagegen ist der Gang zum Sozialamt, offenkundig abhängig zu sein von der Zuwendung durch den Staat. Und so weiter…
Es ist absolut out, begrenzt zu sein. Seine eigenen Grenzen offen zuzugeben, ist peinlich.
Während oft betont wird, wie peinlich es eigentlich für Jesus sein müsste, diesen Sklavendienst der Fußwaschung zu verrichten, spricht Petrus dagegen das aus, was wir auch heute empfinden: Nämlich nicht die Peinlichkeit, andern die Füße zu waschen, sondern sich selbst die Füße waschen zu lassen. Sich einzugestehen, bedürftig zu sein.
Wie schön wäre es für unser Unabhängigkeitsdenken, wenn wir sagen könnten: «Du, lieber Gott, das ist zwar alles ganz großartig, was du da getan hast. Dass du unsere Schuld an unserer Stelle trägst. Aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Ich bin doch schon auf dem Weg der Besserung. Ich bin doch schon unterwegs zu dir. Warum hast du nicht einfach nur gewartet?» Wie schön wäre es, wenn wir uns selbst auf den Weg zu Gott machen könnten; unseren Glauben selbst bestimmen; die Wahrheit selbst, ganz unabhängig, entdecken könnten. Wie schön wäre es, auch im Glauben unabhängig zu sein!
Aber dem ist nicht so. Wir sind nicht in der Lage, uns selbst zu Gott aufzuschwingen. Wir sind zu schwach und zu begrenzt, um das ungezwungene, natürliche Verhältnis zu Gott von uns aus aufzubauen. Wir sind darauf angewiesen, das Gott uns holt. Das ganz Passionsgeschehen ist nichts anderes, als dass Gott sich auf den Weg macht, uns in aller Kleinheit zu begegnen. Er wird Mensch, lässt sich zum niedrigsten der Sklavendienste herab, lässt sich beschimpfen, verurteilen, schlagen und verspotten. Er wird zum hässlichsten aller Menschen, er stirbt den unrühmlichsten aller Tode. Und wir haben keine andere Möglichkeit, als diesen Dienst Gottes an unserer Versöhnung mit ihm anzunehmen.
Das trifft uns moderne Menschen hart. Während Gott seinen Dienst an uns verrichtet, sehen wir unserer Unabhängigkeit schwinden. Den Dienst Gottes annehmen, hieße, sich einzugestehen, dass wir von seinem Tun abhängig sind. Dass wir nicht sagen können: «Gott, ich komme schon zu Dir!» Wenn wir Gott begegnen wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Abhängigkeit zu feiern.
Liebe Schwestern und Brüder! Im Johannesevangelium wird nichts von der Einsetzung der Eucharistie beim letzten Abendmahl erzählt. Stattdessen wird dort das Zeichen der Fußwaschung berichtet. Das zeigt, dass beides in die gleiche Richtung weist: Gott verrichtet einen Dienst an uns, weil wir auf Gott angewiesen sind. Die Feier der Eucharistie ist dieser Dienst Gottes an uns. Er macht sich klein, er verbirgt sich hinter dem Zeichen des Brotes, damit wir ihm begegnen können. Und nur diese Begegnung in der heiligen Kommunion gibt uns Anteil an ihm. «Wenn ich diesen Dienst nicht an dir verrichte, hast Du keinen Anteil an mir.»
Nur wenn wir jeden Gang zur Kirche, jeden Gang zur Kommunion als unsere ganz ehrlich gemeinte Abhängigkeitserklärung verstehen, öffnet sich unser Weg zu Gott. Erst wenn wir uns selber eingestehen, dass wir auf den Dienst der Kirche angewiesen sind, erschließt sich uns die Quelle der Sakramente. Wenn ich zugebe, dass mein Glaube nicht denkbar wäre ohne den Glauben der Kirche, erst dann glaube ich!
Das sind zwar allesamt peinliche Sätze. Abhängigkeitserklärungen. Aber nur darin liegt unser Glück.
Erst wenn ich mich angewiesen sehe auf den Dienst, den Gott an mir verrichtet, durch den Karfreitag hindurch, kann ich überhaupt erst zur Auferstehung gelangen. Erst dann kann ich hoffen und glauben. Und erst dann kann ich lieben. Amen.
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