Das Sakrament der Taufe ist das Eintrittstor in die christliche Religion und für viele der Beginn eines religiösen Lebens in einer der christlichen Kirchen. Mit der Frage nach der Taufe stellt sich somit auch die Frage nach der Religion überhaupt.
Neben einer Hinführung zum Sakrament der Taufe möchte ich in dieser Katechese ein wenig weiter ausholen und mit der Frage beginnen, was für Gründe es für den Glauben gibt – und was das eigentlich ist: Glauben.
Bevor wir uns ausführlich dem Sakrament der Taufe widmen, wollen wir also zunächst dem Zusammenhang von Glauben, Erkenntnis und Religion nachgehen…
Das Unsichtbare unserer Welt glauben
Unsere Welt hat die Eigenschaft, in verschiedenen Schichten aufgebaut zu sein, die sich nicht alle gleichermaßen unserer Wahrnehmung präsentieren. Hinter der sichtbaren Welt (wie zum Beispiel Landschaften, Städte, Häuser, Steine, Ameisen und das Haus unserer Nachbarn) gibt es tiefere, unsichtbare Schichten. Dazu gehört zum Beispiel der Nachbar im Haus, das Grundwasser im Boden, der Sauerstoff in der Atmosphäre und die Vitamine im Apfel; wer noch tiefere Einsichten gewinnt, erfährt etwas von Keimen, Viren und Bakterien, radioaktiven Strahlungen und von Sonnenwinden – alles Dinge, die sich unserer direkten Wahrnehmung entziehen. Das ist überhaupt kein Problem für jeden, der ein wenig Ahnung von Physik und Chemie hat: Schwerkraft, Magnetismus, Elektrizität, Neutrinos und vieles mehr sind nur an ihren Wirkungen erkennbar. Diese Kräfte sind unsichtbar, aber dennoch real; das weiß jeder, der schon einmal einen elektrischen Schlag bekommen hat.
Unsichtbares ist nicht automatisch irreal. Das wissen wir zwar, kämpfen aber dennoch ständig mit den Gefühl, die tieferen Schichten der Wirklichkeit seien irgendwie weniger wirklich, weil man sie nicht sehen, nicht essen und nicht kaufen kann.
So fällt es vielen Menschen schwer, die zur Zeit tiefsten bekannten Schichten der Realität, deren Enthüllungen sich vor allem Spezialisten wie z.B. Kernphysiker widmen, noch als „wirklich“ zu akzeptieren. Die schwache und die starke Kernkraft, Quarks (mit ihrer umgekehrten Anziehungskraft) und Myonen, neuerdings auch das rätselhafte Higgs-Teilchen – das ist anerkannter Teil der Realität. Ohne diese tiefsten Schichten wäre nichts von dem erklärbar, was um uns herum geschieht, und dennoch spielt es für viele Menschen keine Rolle.
So ist es auch mit anderen, tieferen Wirklichkeiten unserer Realität – zum Beispiel Seele, Geist und Sinn. Zahlreiche Menschen leben so, als gäbe es das alles nicht; und dennoch wäre unser gesamtes menschliches Sein, unser Miteinander und Füreinander ohne dies alles nicht möglich.
Die Mehrheit der Menschen hat ein weites und unbeschwertes Wirklichkeitsverständnis und geht mit offenen Augen durchs Leben; für sie ist der Zusammenhang zwischen den sichtbaren Phänomenen (Leben, Freiheit, Sinn, Hoffnung, Freundschaft, Liebe, Moral – etc.) und deren unsichtbaren Gründe (Seele, Vernunft, Geist – und Gott) offensichtlich.
Auch, wenn solche klar denkenden Menschen von ihren Mitmenschen mit einem eingeschränkten Blick auf das Wirkliche oft als „Glaubende“ bezeichnet werden, sind sie es dennoch nicht im religiösen Sinne.
Gott als Grund dieser Welt glauben
Manche Menschen kommen zu dem Schluss, dass es sogar hinter den unsichtbaren und immateriellen Schichten dieser Welt eine noch tiefere Schicht gibt, die nicht mehr Bestandteil dieser Welt ist, sondern der Grund für alles, was existiert: Eine göttliche Dimension. Sie ist zwar keine Schicht dieser Welt, aber dennoch real und an ihrer Wirkung erkennbar. Denn nichts von dem, was ist, kann ohne den Grund allen Seins existieren.
Das schließt nicht unbedingt ein, dass ein solcher Mensch an einen persönlichen Gott glaubt – denkbar ist durchaus auch ein Glaube an namenlose Urmächte, einem allwirkenden Prinzip oder an einen Schöpfungsmythos.
Aber Menschen, die hier immer noch klar denken und vor allem klar sehen, wissen schließlich, dass der Mensch selbst gar keine Person sein könnte, ohne dass ihm dieses Personsein geschenkt wurde (entwickelt haben kann es sich nicht – soviel ist klar); eine Person kann aber nur von einer anderen Person hervorgebracht (gezeugt oder erschaffen) werden. So geht (weil die meisten Menschen tatsächlich vernünftig denken und intuitiv Richtiges erfassen), der Glaube an Gott meist mit der Erkenntnis einher, dass dieser Gott eine Person ist – und eben keine unbestimmte Kraft.
Aber auch solche immerhin klug und vernünftig beobachtende und folgernde Menschen sind nicht das, was wir als „religiöse Menschen“ bezeichnen würden. Denn die Erkenntnis, dass es (wahrscheinlich nur einen) persönlichen Gott gibt, ist immer noch eine philosophische Erkenntnis; der so erkannte Gott kann dem Philosophen ebenso gleichgültig, verhasst oder faszinierend sein.
Nietzsche z.B. tendierte manchmal zum Glauben an einen Gott, den er aber abgrundtief ablehnte.
Glaube an einen persönlichen Gott
Und noch einmal können wir einen Schritt weitergehen.
Selbstverständlich ist der hier beschriebene Weg der Gotteserkenntnis nur ein theoretischer. Die meisten Menschen gehen diesen Weg nicht Schritt für Schritt, sondern leben in einer Religion, die sie als wahr erfahren. Dass das durchaus geht (und sogar der wahrscheinlichere Weg ist), sehen wir gleich im nächsten Abschnitt.
Denn anhand unbestreitbarer Phänomene – wie z.B. dem Gewissen der Menschen, der unausweichlichen moralischen Frage, den allen Menschen gleichermaßen innewohnenden ethischen Grundsätzen usw. – müsste ein unvoreingenommen denkender Mensch letztendlich zu dem Schluss kommen, dass es 1.) einen personalen Gott gibt und dieser 2.) das in-sich-Gute ist.
Erst jetzt kommt eine Dimension ins Spiel, die der Beginn der Religion ist: Nämlich das Bedürfnis, mit diesem Gott – weil er so gut, schön und liebenswert ist – in eine Beziehung zu treten.
Natürlich kommen nicht wirklich alle Menschen zu diesem Ergebnis (es gibt ja auch viele, die bereits bei der Frage nach der Seele ausgestiegen sind). Vor allem Naturreligionen sind oft der Ansicht, dass Gott (oder zumindest ein Teil der Götter, wenn es mehrere geben sollte) gelegentlich auch grausame Züge aufweist.
Aber selbst mit diesem (mangelhaften und nicht logischen) negativen Gottesbild entsteht Religion: Denn auch diese Menschen sehen sich genötigt, mit diesem Gott in Beziehung zu treten – wenn auch vor allem, um sich vor den Launen dieses Gottes zu schützen und am Leben zu bleiben.
Eine solche Gottes-Beziehung kann – wie auch jede menschliche Beziehung – ganz unterschiedliche Formen annehmen: vom Gehorsams- oder Abhängigkeitsverhältnis (wie in vielen archaischen Religionen), über gelegentliche eher freundschaftliche Beziehungsmomente bis hin zu einem dauerhaften Liebesverhältnis. Immer aber ist Religion die gestaltete Beziehung zwischen Mensch und Gott.
Glaube ist Beziehung
Deshalb, weil Religion nicht die Erkenntnis der Existenz Gottes, sondern die Beziehung zu dem erkannten Gott bedeutet, darf ich an dieser Stelle die bereits in zahlreichen Katechesen der Karl-Leisner-Jugend erwähnte Parallele zwischen Religion und menschlichen (Liebes-) Beziehungen bemühen.
In den Gedanken der vorangegangenen Abschnitte ist die Frage nach Gott nicht gleichbedeutend mit einer tatsächlichen Beziehung zum ihm. Das leuchtet ein, wenn wir die Frage, ob es einen Gott gibt, mit der Frage nach der der Liebe gleichsetzen. Falls ich die Frage, ob es so etwas wie „wahre Liebe“ wirklich gibt (oder ob es sich dabei nicht nur um biochemische, hormonelle Vorgänge handelt), mit „Ja“ beantworte, bin ich damit ja noch nicht wirklich in eine Liebesbeziehung eingetreten. Ich habe sie nur als möglich erkannt.
Dass nun viele Menschen den oben genannten Erkenntnisprozess nicht erst rational durchschreiten, um sich dann schließlich, nach reiflicher Überlegung, einer Religion anzuschließen, wird oft von Nicht-Glaubenden als unvernünftig angesehen. Aber jemand, der sich verliebt, muss auch nicht erst rational erwiesen haben, dass es so etwas wie Liebe gibt. Manchmal begegnet man einfach einem Menschen auf eine Art und Weise, die alle theoretischen Fragen nach der Bedingung für die Möglichkeit von Liebe mit einem Blick in die Augen des anderen hinwegfegt. Ein Atemzug – und alle Fragen sind geklärt. Solche Momente erleben auch bekennende Atheisten, die sich nicht durch lange Erkenntnisprozesse, sondern durch eine Begegnung mit diesem Gott in einem Augenblick bekehren.
Halten wir fest: Die Liebeswürdigkeit einer Person (ob nun Mensch oder Gott) kann sich auch in einem einzigen Augenblick erschließen – selbst dem, der von der Existenz (der Liebe oder Gottes) zuvor nicht überzeugt war.
Das ist nicht irrational – das ist normal.
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