Der Heilige Geist belebt nicht eine verängstigte Kirche – die Kirche schenkt den Geist
Um biblische Ereignisse zu verstehen, ist es nicht selten notwendig, sich in die damalige Situation hineinzuversetzen. Und oft braucht man zusätzliche Informationen, die nicht ausdrücklich in der Bibel erwähnt werden. Die übliche Deutung des Pfingstereignisses steht dabei in eklatantem Widerspruch zu dem, was in der Bibel berichtet wird. Und kaum einer bemerkt es.
Das weitverbreitete «Pfingst-Narrativ»
Es scheint gesichert zu sein, dass sich die Jünger nach der Himmelfahrt Jesu ängstlich (aus „Angst vor den Juden“) in einem Zimmer in Jerusalem eingeschlossen haben, bis dann am Pfingsttag der Heilige Geist sie hinaustrieb. Der Verlust der sichtbaren Gegenwart Jesu ließ die Jünger offenbar ratlos zurück, erst der Geist sprengt dann alle Grenzen: Die Sprachgrenzen genauso wie die selbstauferlegten Begrenzungen des Abendmahlssaals, in dem sich die Jünger der Überlieferung nach aufgehalten haben.
Diese Deutung als ein weitverbreitetes „Narrativ“ zu bezeichnen, ist untertrieben: Es gibt kaum eine Pfingstpredigt, die nicht von der Sprengkraft, dem neuen Schwung und der geschenkten Begeisterung redet. Mir zumindest ist in vielen Jahren keine einzige abweichende Interpretation untergekommen.
Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus
Und doch ist dieses „Narrativ“ falsch. Das Missverständnis mag daher kommen, dass am Pfingstfest noch einmal das Evangelium vom Ostertag verlesen wird – und dort heißt es tatsächlich, dass die Jünger „aus Angst vor den Juden“ die Türen verschlossen hatten, bis dann der Auferstandene sich ihnen zeigte. Aber das ist eben der Augenblick vor der ersten Begegnung der Jünger mit Auferstandenen, unmittelbar nach der schrecklichen Erfahrung der Kreuzigung Jesu. Dass dieses Evangelium auch an Pfingsten verkündet wird, liegt daran, dass alle Evangelien spätestens mit der Himmelfahrt Jesu schließen; das Pfingstereignis findet sich ausschließlich in der Apostelgeschichte.
Vierzig Tage nach der Auferstehung Jesu hat sich die Stimmung der Apostel und Jünger Jesu inzwischen vollständig gewandelt. Mittlerweile brennen sie offensichtlich darauf, die Botschaft von der Auferstehung zu verkünden, so dass Jesus ihnen vor seiner Himmelfahrt eindringlich nahelegt, nach seinem Weggang nicht sofort mit der Verkündigung zu beginnen. Vielmehr sollen sie nach Jerusalem zurückkehren und auf den Beistand warten – den Heiligen Geist: „Beim gemeinsamen Mahl gebot Jesus ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt! Denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden.“ (Apg 1, 4). -„Dann (nach der Himmelfahrt Jesu) kehrten sie in großer Freude nach Jerusalem zurück. Und sie waren immer im Tempel und priesen Gott.“ (Lk 24, 52)
Angst vor den Juden? Keine Spur. Sich einschließen? Im Gegenteil, sie treten selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf – in der prägnantesten Öffentlichkeit, die es damals gab: Im Tempel. Es ist nicht menschliche Verzagtheit, die sie warten lässt, sondern der Auftrag Jesu, nicht ohne den Beistand des Geistes mit der Verkündigung zu beginnen. Der Geist befreit sie nicht aus einer Verzagtheit – vielmehr müssen sie ihr Ungestüm zügeln und auf die Sendung des Geistes warten!
Ein folgenreiches Missverständnis
Wie gesagt, das mag ein verzeihbares Missverständnis aufgrund des pfingstlichen Evangeliums sein, das aber aus der Zeit vor der Auferstehung stammt. Aber es prägt ein Bild von menschlichem und göttlichem Wirken, dass die Wirklichkeit auf den Kopf stellt. So scheint heute eher derjenige geisterfüllt zu sein, der die engen Grenzen von Kircheninstitutionen sprengt und Neues wagt. Derjenige, der wie die Apostel zunächst auf die Legitimation durch den Geist wartet und damit den Auftrag Jesu ernst nimmt, gilt dagegen als Gegenpol einer pfingstlichen Kirche. In Wirklichtkeit war es damals schon umgekehrt. Und heute dürfte das nicht anders sein.
Der Geist führt in die Kirche – und beginnt dort sein Wirken
Ja, wenn wir das Bild der Apostel vor Augen haben (im Kreis weiterer Jünger und wohl auch Jüngerinnen – einschließlich der Gottesmutter Maria), die ausgerechnet im Abendmahlssaal ausharren, bis der Geist sie dort erfüllt, dann ist das Pfingstereignis ein Ereignis, das Kirche als sakramentale Institution und die Feier der Eucharistie voraussetzt. Das Warten der Jünger auf das Pfingstereignis ist ein Warten auf die göttliche Legitimation. Nur die Verkündigung, die aus dem Geist und der Eucharistie heraus erfolgt, erfüllt den Auftrag Jesu, den er vor seiner Himmelfahrt gegeben hat. Und darum geht es Jesus: Die Kirchlichkeit der Weitergabe des Glaubens zu gewährleisten.
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