…dann ist nicht die Motivation entscheidend.
Es war ein Jahr vor Corona im Jahr 2019, als sich der Erzbischof von Köln, Kardinal Woelki, bei seinen bischöflichen Mitbrüdern unbeliebt machte (vielleicht war er es aber auch schon vorher), indem er vor Beschlüssen warnte, die auf eine deutsche Nationalkirche zielten. «So ein Unsinn, keiner von uns will eine deutsche Nationalkirche!» hörte ich von mehr als nur einem Bischof; verbunden mit einem drastischen Kopfschütteln. Was für eine dreiste Unterstellung!
Wenig später bot sich mir die Gelegenheit, unter vier Augen mit einem Bischof darüber zu sprechen. Auch dieser entgegnete auf die Analyse aus Köln, mit dem Synodalen Weg bewege sich die Kirche in Deutschland in eine gefährliche «Los-von-Rom»-Richtung, keiner hätte eine solche Intention. «Wie meine Schüler», entgegnete ich ihm. «Deren Aktionen haben manchmal auch Konsequenzen, die sie eindeutig ablehnen.»
Keine schlechte Absicht – kein Problem?
Ob Rainer Maria Kardinal Woelki sich damals anmaßte, in die Herzen seiner Mitbrüder zu schauen und dort lauter schlechte Absichten zu entdecken glaubte, weiß ich natürlich nicht. Aber er hatte so etwas ja auch nicht behauptet. Er hat sich überhaupt nicht zu den Motiven geäußert, die die verschiedenen Akteure beim Synodalen Weg hegen. Wie auch? Diese sind nunmal nicht sichtbar, sondern tief im Inneren der Menschen verborgen. Manchmal so tief, dass die Protagonisten sich selbst darüber gar nicht wirklich im Klaren sind.
Nein, der Vorwurf eines deutschen Sonderweges gegen Rom und die Weltkirche bezog sich auf den offen eingeschlagenen Weg (per Beschlüsse, Anträge, Grundlagentexte usw.). Mag sein, dass die sich lautstark wehrenden Bischöfe keine Nationalkirche wollen – sie tun dennoch vieles, damit es dazu kommt.
Denn auch dann, wenn man bei sich keine schlechte Absicht erkennt, ist das eigene Tun deshalb nicht schon gerechtfertigt.
Zur Ehrenrettung unserer Bischöfe müssen wir allerdings eingestehen, dass diese Verwechslung von Motivation und Tun nicht deren Erfindung ist. Robert Spaemann verweist zum Beispiel darauf, dass Eltern, die ihren Kindern nur deren Lieblingsessen (wie Pommes und Schokolade) zukommen lassen, glauben ihre Kinder zu lieben. Aber sie verhalten sich so, wie Menschen, die den Kindern Schaden wollen.
Auch Politiker, denen zum Beispiel eine Beleidigung vorgeworfen wird, versichern gerne, dass sie auf keinen Fall irgendjemand seelisch verletzen wollten. Dabei ist die interessantere Frage, ob sie es objektiv getan haben.
Kognitive Lücke
Wenn mein Verhalten objektiv auf ein bestimmtes Ziel hinsteuert, ist es zu kritisieren. Auch dann, wenn ich mir mit dem Kritiker einig bin, dass wir alle dieses Ziel ablehnen. Denn es kann durchaus sein, dass mein Verhalten eine Wirkung hat, die ich selbst gar nicht gutheiße.
Dabei ist es gleichgültig, ob ich in der Ablehnung der Konsequenz wirklich aufrichtig bin oder einfach die Unwahrheit sage. Manche Kommentatoren haben den Bischöfen genau dies vorgeworfen und die Aussage «Niemand will eine Loslösung von Rom oder ein Schisma!» mit der Aussagen von Walter Ulbricht verglichen («Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!»). Da wir nichts über die wirkliche Motivation der Akteure wissen, war das eine böswillige Unterstellung.
Das löst allerdings nicht das Problem, dass die erklärte Motivation («Niemand will ein Schisma!») im Widerspruch zum Vorgehen des Synodalen Weges und konkreter Erklärungen bestimmter Bischöfe steht. Dazu bieten sich weitere Auflösungen an – von einer kognitiven Lücke («Oh, das hatten wir gar nicht bedacht!») bishin zur kindlichen Freude am Risiko («Ach, das wird schon nicht eintreffen!»). Und der ganzen Bandbreite dazwischen.
Fairerweise sollten wir auch die realen Möglichkeit im Blick behalten, dass die Analyse («Ihr seid auf dem besten Weg ins Schisma!») vielleicht unzutreffend sein könnte.
Genau das sollte diskutiert werden: Führen die kritisierten Beschlüsse wirklich ins Schisma? – Ich bin sicher, darum ging es dem Kardinal. Schade, dass darüber kaum gesprochen wurde.
Heiligt die Absicht das Mittel?
Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz wendete diese Argumentationsfigur ein paar Jahre später umgekehrt an: Jeder, der von einer Spaltung rede, hätte dabei sicherlich eine bestimmte (schlechte) Absicht. So, als würde eine Warnung, wenn sie eine böse Absicht habe, jede vernünftige Analyse überflüssig mache.
In einem kürzlich erschienen Brief eines Bischofs erwähnte dieser die Argumente, die gegen die Einrichtung eines Synodalen Rates auf Diözesanebene genannt wurden. Zum Beispiel, dass ein Gremium, dessen Beschlüsse auch einen Bischof binden könnte, das Amt eines Bischofes unzulässig beschneidet. Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, diesen Einwänden nachzugehen und sich mit ihnen argumentativ auseinanderzusetzen. Allerdings wurde diese Gelegenheit nicht genutzt, da der Bischof theologischen bzw. kirchenrechtlichen Einwänden lediglich seine Motivation entgegenhielt: «Aber darum geht es mir nicht, meine Absicht ist eine ganz andere!» – Nun, das mag sein. Allerdings rettet keine noch so hochstehende Absicht ein logisch-theologisches Unding.
Was sich daraus ergibt
Ich kann als Priester und Lehrer viel von meinen Schülern lernen. Zum Beispiel dass deren erklärtes Ziel sich nicht immer mit ihrem tatsächlichen Verhalten verträgt. Eine richtige und gute Zielvorstellung zu haben ist wichtig. Nur ist sie noch nicht ausreichend. Viel wichtiger (und viel schwieriger) ist vielmehr die Frage, ob das, was ich tue, auch zu dem Ziel führt, das ich für erstrebenswert und gut erachte. Daran hapert es nicht nur bei mir (das gebe ich gerne zu) oder meinen Schülern. Deshalb sollten wir alle uns gut darüber beraten. Dass wir selbstverständlich guten Willens sind, brauchen wir nicht eigens zu erklären.
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