Eine der schwersten Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Frage nach der Kindertaufe stellt, ist vermutlich die Frage nach der Notwendigkeit des Sakramentes der Taufe: Es mag ja alles richtig schön und sinnvoll sein, was man so im Zusammenhang mit der Taufe hört und liest – aber warum hängt die Kirche das Heil aller Menschen an diesem einen Ritual der Taufe auf? Tut sie das überhaupt noch? Ist das nicht längst abgeschafft? Was ist mit Menschen, die sich nicht taufen lassen? Sind die alle verloren, gottlos und böse?
Nein, natürlich nicht. Die Kirche unterscheidet sehr wohl zwischen einer absoluten oder einer relativen Heilsnotwendigkeit. Die Taufe mit ihrem Taufritual (und damit der Eintritt in die Kirche) ist nicht absolut heilsnotwendig – aber relativ zur eigenen Erkenntnis schon. Klar, das muss ich erklären.
Die katholische Kirche hat niemals geglaubt, dass alle, die sich nur taufen lassen und Mitglied der Kirche werden, automatisch gerettet werden. Die Erfahrung, die bereits die Apostel mit Judas machen mussten, hat sich seitdem durch alle Zeiten der Kirche wiederholt: Mit dem Eintritt in die Gemeinschaft der Kirche muss auch eine Herzensentscheidung verbunden sein – die aber allzu oft fehlt oder im Laufe der Zugehörigkeit zur Kirche wieder rückgängig gemacht wird oder verloren geht.
Einige evangelikale Gruppen glauben dieser Erfahrung zum Trotz daran, dass alle, die sich einmal für Christus entschieden haben, sicher und endgültig gerettet sind. Sie sprechen von der Heilsgewissheit, die angeblich Lehre der Bibel sei: „Dies habe ich Euch gesagt, damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr an den Namen des Sohnes glaubt.“ (1 Joh 5,13). Dagegen schreibt aber schon Petrus: „Sie haben den geraden Weg verlassen und sind in die Irre gegangen… Auf sie trifft das wahre Sprichwort zu: Der Hund kehrt zurück zu dem, was er erbrochen hat, und: Die gewaschene Sau wälzt sich wieder im Dreck.“ (2 Petr 2,15 und 22)
Es gilt aber nicht nur, dass nicht alle Taufschein-Katholiken der Kirche wirklich und auch innerlich angehören – sondern auch umgekehrt: Es gibt auch außerhalb der offiziellen Kirchenzugehörigkeit Menschen, die innerlich – im Herzen – sehr wohl der wahren Kirche Christi angehören.
Die Taufbewerber
Dazu gehören – selbstverständlich – die Katechumenen; das sind die Menschen, die um die Aufnahme in die Kirche gebeten haben und sich nun auf die Taufe vorbereiten. Sollte einem Taufbewerber vor der Taufe ein Unfall geschehen und er unverhofft sterben, so sieht die Kirche in ihm dennoch ein vollgültiges Mitglied ihrer Gemeinschaft.
Die Begierdetaufe
Immer wieder höre ich den Vorwurf an die Kirche: „Es kann doch nicht sein, dass jemand, der ein Leben lang vorbildlich gelebt hat, am Ende verloren geht, nur weil kein Wasser für die Taufe da war!“ – Oder, sinngemäß dasselbe: „Nur, weil gerade kein Priester zur Stelle ist, um einem Sterbenden durch die Beichte die Sünden zu erlassen, soll dieser auf ewig in der Hölle schmoren?“
Das ist natürlich Unfug. Die Kirche nimmt auch bei denen eine Kirchenmitgliedschaft an, die sich zwar innerlich zu einem Eintritt in die katholische Kirche entschlossen haben, aber aufgrund von äußeren Umständen, für die sie nichts können, nicht dazu kamen, diesen Entschluss in die Tat umzusetzen.
Auch hier beruft sich die Kirche auf ein solides biblisches Fundament: Bei Markus heißt es: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden.“ (Mk 16, 16) Es heißt nicht: „Wer sich nicht taufen lässt, wird verdammt werden…“ und auch nicht: „Wer nicht glaubt und sich nicht taufen lässt…“
Die Begierdetaufe ist nicht nur eine kleine „Ausnahme“. Sie ist vielmehr eine enorme Grundsatzentscheidung! Denn diese „Ausnahme“ offenbart etwas sehr Biblisches und Grundlegendes: Die Taufe ist die vollzogene Glaubensentscheidung – aber wesentlich für Gott ist der Glaube dahinter.
Die erweiterte Begierdetaufe
Das gilt nicht nur für diejenigen, die den ausdrücklichen Wunsch zur Taufe (oder zur Beichte oder in Bezug auf andere Heilsmittel) haben, dann aber an der Ausführung gehindert werden; das gilt auch für all diejenigen, die von der Taufe (ohne eigenes Verschulden) nicht erfahren haben; oder denen die Taufe nicht so dargestellt wurde, dass sie deren Bedeutung erkennen konnten.
Wow – das ist wirklich keine kleine Ausnahme mehr. Denn das kann sogar für den gut katholisch erzogenen Rebellen gelten, der sich von der Religion der Eltern abwendet, vorausgesetzt, die Eltern haben ihm einfach nur die Äußerlichkeit vorlebten und er konnte so nie einen inneren Bezug zur Kirche gewinnen.
Dem kritischen Leser kann hier die Frage kommen, ob das, was ich da so schreibe, denn noch katholisch ist. Nun, die Glaubenskongegration hat dazu ausdrücklich Stellung bezogen – und diese Stellungnahme wurde sogar in die Neuner-Roos-Sammlung der offiziellen Lehrdokumente der Kirche aufgenommen:
„Damit nämlich jemand das ewige Heil erlange, ist nicht immer erfordert, dass er der Kirche in Wirklichkeit als Glied einverleibt sei; das aber ist wenigstens notwendig, dass er ihr im Wunsch und im Verlangen anhange. Dieser Wunsch muss nicht immer explizit sein, wie er bei den Taufbewerbern ist. Wenn nämlich der Mensch in einer unüberwindlichen Unkenntnis befangen ist, nimmt Gott auch einen einschlussweisen Wunsch an, der so genannt wird, weil er in jener seelischen Einstellung enthalten ist, in der der Mensch sein Wollen dem Willen Gottes gleichförmig haben will. Durch diese vorausschauenden Worte weißt er (der Papst) sowohl die zurück, die alle dann vom ewigen Heil ausschließen, wenn sie nur mit einem impliziten Wunsch der Kirche anhangen, als auch die, die behaupten, die Menschen könnten in jeder Religion in gleicher Weise gerettet werden…“ – Neuner-Roos, „Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung“, Nr. 37: Der Brief des Heiligen Offizium an den Erzbischof von Boston, 1949
Ebenso heißt es im II. Vatikanischen Konzil (Lumen Gentium 16): „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen.“
Warum dann überhaupt noch die Taufe?
Wenn das Entscheidende für Gott der eigentliche Glaube hinter den Sakramenten und Kirchenein- und austritten ist und der Glaube zudem noch unsichtbar ist, warum halten wir dann überhaupt noch an den Sakramenten und der sichtbaren Kirche fest?
Viele Protestanten verstehen das Verhältnis der Institution „Kirche“ und der Gemeinschaft der wirklich Glaubenden genau so: Die eigentliche Kirche Jesu Christi ist unsichtbar; die sichtbaren Kirchen dagegen spielen für Gott keine nennenswerte Rolle. Sie sind im Grunde nur „kirchliche Gemeinschaften“, die Ausdruck der getroffenen Glaubensentscheidung sind, aber nicht wirklich gottgewollt. Gottgewollt ist nur der Glaube.
Das sieht die katholische Kirche – wie zu erwarten war – anders.
Die Taufe ist eben nicht nur ein Zeichen, das man auch weglassen könnte. Nein: Sie ist der Vollzug der Entscheidung; erst durch das Sakrament wird die Entscheidung real. Ohne diesen Schritt würde es immer nur bei dem Willen zur Taufe bleiben – reine Intention – die eben noch nicht zur Tat-sächlichkeit gereift ist.
Der Eintritt in die Kirche ist somit nicht nur ein sichtbare Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit: Erst durch diesen Schritt wird aus einer Absicht Wirklichkeit; der Eintritt in die katholische Kirche ist die Verwirklichung eine zuvor nur beabsichtigten Zugehörigkeit. Deshalb haben die Bischöfe damals (auf dem II. Vatikanischen Konzil) gesagt: Die (unsichtbare) wahre Kirche Jesu Christi ist in der katholischen Kirche verwirklicht (subsistit).
Es muss also eine Handlung geben, in der sich zeigt, ob die Intention ausreichend stark war. Durchaus sinnvoll ist, dass diese Handlung von dem vorgegeben wird, dem die darin ausgedrückte Glaubensbeziehung gilt: nämlich Jesus Christus. Und sein „Stifterwille“ ist eindeutig – neben anderen zahlreichen Aussagen sei nur der Taufbefehl am Ende des Matthäus-Evangeliums genannt (sozusagen das letzte Wort, das Jesus an seine Apostel richtete):
Mt 28, 18-20: Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.
Ist es also heilsnotwendig, sich mit Wasser übergießen zu lassen? – Nein, natürlich nicht. Wir hatten ja schon festgestellt, dass es eine gestufte Zugehörigkeit zur Kirche gibt; dass also mit den Taufbewerbern und den Taufwilligen auch Ungetaufte außerhalb der Kirche als gerettet gelten. Auch die erweiterte „Begierdetaufe“ ist ein ziemlich großes Tor, durch das vermutlich viele Ungetaufte den Himmel „betreten“ werden.
Dennoch hält die Kirche an der Heilsnotwendigkeit der Taufe (nicht unbedingt des Taufgeschehens) fest; so haben wir es von unserem Gründer, Jesus Christus übernommen. Die vielen vorhin genannten Möglichkeiten, auch ohne eine vollzogene Taufe gerettet zu werden, betrachten wir alle als „auf die Taufe hingeordnet“; die Rettung geschieht also immer durch die Taufe, auch wenn sie aus unverschuldeten Gründen in (vielleicht sehr, sehr vielen) Einzelfällen nicht vollzogen wurde.
Was passiert mit den ungetauften Kindern?
Die einfachste Antwort wäre: Wir wissen es nicht. So antwortete die Kirche über Jahrhunderte besorgten Fragestellern. Inzwischen wissen wir, dass das nur die halbe Wahrheit ist: Denn bei den Kindern gilt selbstverständlich (vielleicht sogar noch mehr), was wir zur erweiterten Begierdetaufe gesagt haben: Solange die Taufe nicht aus einer bewussten Ablehnung Gottes oder Seiner Kirche unterbleibt, wird ja auch nicht die Taufgnade abgelehnt. Da kleine Kinder sich nicht gegen die Taufe entscheiden können, dürfen wir darauf vertrauen, dass sie zu Gott aus vollem Herzen „Ja“ sagen, sobald sie ihm gegenüberstehen. Und mehr braucht es für den Himmel nicht.
In den Medien hieß es immer wieder, der Papst hätte den „Limbus“ abgeschafft – die „Vorhölle“ für ungetaufte Kinder. Der Limbus war ein Denkmodell, das den ungetauften Kindern zwar eine natürliche Seligkeit zugestand, aber nicht die übernatürliche Schau Gottes (also weniger eine Vor-Hölle, als vielmehr ein Vor-Himmel). Es handelte sich bei dieser Theorie niemals um eine offizielle Lehre der Kirche; sie wurde lediglich geduldet. Mittlerweile hat allerdings eine Theologenkommission (also nicht der Papst) im Vatikan befunden, dass dieses Denkmodell nicht mehr notwendig ist. Durch die erweiterte Begierdetaufe gilt die Frage als geklärt.
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