Ben Willikens ist ein zeitgenössischer Maler, geboren 1939, der in seinen Werken Farben weitgehend ausschließt, dafür aber das Licht und das Grau umso stärker wirken läßt. Wie wirkt das auf den Betrachter? Wenn keine Menschen zu sehen sind, welcher Eindruck entsteht da? Vielleicht von Einsamkeit, oder auch Hilflosigkeit – Hinweise auf den Gemütszustand in einer Zeit, in der die Menschen Trost suchen, aber oft nicht finden.

Ein weiterer Aspekt, der den Werken von Willikens zugeschrieben wird, ist seine Auseinandersetzung mit totalitären Systemen und ihrer Architektur. Die Nationalsozialisten wollten in ihrer Architektur einschüchtern, überwältigen, den Menschen selbst klein machen. Sie schufen Räume und Plätze, die für den Aufmarsch von Massen gedacht waren. Der einzelne Mensch zählte nichts.

Einiges von diesen Motiven kehrt auch in diesem, „Abendmahl“ betitelten Bild, wieder. Beim Betrachten des leeren Raumes und des Tisches kommt sofort die Assoziation an das berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci, vielleicht das berühmteste Gemälde der Welt. Neben den Ähnlichkeiten, wie der Raum aufgeteilt ist und wie der Tisch im Raum steht, gibt es aber eine Reihe von Unterschieden: Hier sind keine Menschen zu sehen. Der Tisch selbst ist leer. Hinter dem Tisch strahlt ein helles Licht. Das steht im Kontrast zu den seitlichen Türen. Sie wirken wie aus Stahl. Sind sie verschlossen oder vielleicht offen?

Ben Willikens, Abendmahl 1976 – 1979, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt

Diese und manche andere Fragen kommen, wenn man sich dieses Bild länger anschaut. Vermutlich ist genau das auch die Absicht des Künstlers gewesen. Das Bild ist nicht einfach „fertig“, sondern es beginnt ein Austausch, eine Kommunikation mit dem, der sich diesem Bild annähert.

Kunstwerke werden oft „eingeordnet“. Man klassifiziert sie nach Alter, Bedeutung, nach dem Künstler, nach ihrer Wirkungsgeschichte, vielleicht auch nach ihrem Wert und ihrer Originalität. Doch einem Kunstwerk – so wie dieses Bild von Willikens – kann man sich auch anders annähern, in einer eher „naiven“ Weise. Was ist da überhaupt zu sehen? Was fällt auf, was stört, was ist fremd? – So gelingt eine persönlichere Begegnung mit einem Werk, das, wie ich finde, den Einzelnen anspricht und ihn und seine Gedanken in Bewegung setzt. Dazu ein kleiner Hinweis, der aus der Mitte des Glaubens heraus entsteht, weil dieses Bild ja „Abendmahl“ heißt.

Es heißt nicht „Letztes“ Abendmahl. So ist schon eine Distanz zu dem Geschehen gegeben, das sich vor gut 2000 Jahren in einem Raum in Jerusalem zugetragen hat. Vom Glauben an Christus her ergibt sich die Frage: Von welchem Abendmahl spricht dieses Bild? Es gibt Kirchen, die leer geworden sind. Viele Menschen finden die Erfüllung ihrer spirituellen Wünsche woanders. Die Kirche und ihre Vertreter reagieren hilflos, ratlos, manchmal auch rastlos, indem sie die Kirchenräume, die ja eigentlich für Begegnung, für Gottesdienst, für das Mysterium geschaffen sind, verlassen, und „zu den Menschen“ gehen, wie es heißt: Gottesdienste werden in Parkhäusern und auf Wiesen gefeiert, in Bars oder Schwimmhallen … kurzfristige Effekte und auch Beifall gibt es durchaus, aber was ist dann mit den Kirchen? Traut man den Menschen nicht mehr zu, ihren eigenen Weg zu dem zu finden, der „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) ist? –

Der leere Abendmahlstisch steht in dieser Blickrichtung für die Leere, die nun entstanden ist.

Doch es gibt auch noch mindestens eine weitere Möglichkeit, sich dem Bild anzunähern. Ein leerer Tisch kann auch für etwas stehen, was noch kommt. Er kann für die Vorbereitung auf ein Fest stehen. Ein Mahl ist angesagt, und Menschen sind dazu eingeladen. Ist das nicht etwas, was trösten kann? Der christliche Glaube spricht nicht nur von dem, was früher war und wie bedeutsam das alles für heute ist. Das ist auch richtig, und der Glaube an Christus bekennt den Gegenwärtigen, der hier und jetzt bei uns sein will.

Doch eine andere Wirklichkeit wird dabei oft ausgespart, weil sie schwieriger zu begreifen und schwieriger zu vermitteln ist. Christus ist auch der, der in seiner Himmelfahrt zum Vater Abschied von den Seinen genommen hat. Er verspricht, ihnen den „Tröster“ zu senden, den Heiligen Geist. So ist er nicht verschwunden. Aber er ist in gewisser Weise auch abwesend, und er wird am Ende der Zeiten wiederkommen, wie er es in den Bildreden und in seinen Gesprächen mit den Jüngern immer wieder deutlich macht: als Vollender der Zeiten, als Richter, als „Menschensohn“, als Anwalt … der Gedanke der Wiederkunft ist in der Geschichte der Christenheit mal mehr, mal weniger lebendig gewesen, und viele Kämpfe und Streitigkeiten, die es gegeben hat, haben auch mit diesem Thema zu tun: Christus ist lebendig in seiner Kirche, und er wird wiederkommen in Herrlichkeit.

So ist dieses zeitgenössische Bild für mich alles andere als trostlos und leer, sondern gerade in seiner Strenge und Leere innerlich gefüllt mit einer Wirklichkeit, die uns der Glaube erschließt.

Und wer einmal nicht nur dieses Gemälde, sondern auch wirklich einen Raum erleben will, der auch durch seine Strenge und durch seine auf das Nötigste reduzierte Architektur dazu einlädt, sich auf die Suche zu sich selbst und zum innersten Geheimnis unseres Glaubens zu machen, dem sei ein Besuch in der Benediktinerabtei in Vaals (NL) in der Nähe von Aachen empfohlen. Der Besuch der Abteikirche, erbaut Ende der 1960er Jahre, kann einem die Augen neu öffnen.

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Schlagwörter: , , Last modified: 6. Mai 2020