Vor allem im charismatischen Bereich christlicher und auch manchmal katholischer Seminare ist die Rede von «Ahnenschuld» und «Stammbaumheilung». Angeblich sind aktuelle Krankheiten (leibliche und psychische) durch Fehlverhalten unserer Vorfahren verursacht und können durch Exerzitien, Gebete oder stellvertretenden Sakramentenempfang geheilt werden. Ist das denn noch katholisch?

Ein Stellungnahme von Pfr. Peter van Briel

Die Schuld unserer Vorfahren

Selbstverständlich glaube ich, dass unsere Ahnen auch Schuld auf sich geladen haben – das gilt ja für alle Menschen. Und wir können auch für unsere Verstorbenen beten und um Verzeihung bitten. Dazu gibt es ja auch den Ablass oder die Mess-Intentionen. Aber wir können für Verstorbene dieses nur fürbittweise tun; eine sakramentale Vergebung (wie in der Beichte) können wir nicht rückwirkend auf unsere Verstorbenen erwirken.

Unterscheide: Schuld – und die Folgen einer Sünde

Schuld ist zudem immer etwas ganz Persönliches und wird von Gott nicht auf andere übertragen oder anderen angelastet. Aber die Folgen der Schuld können sehr wohl andere belasten (das lehrt uns die alltägliche Erfahrung: Die Alkoholsucht einer Mutter schädigt auch das noch ungeborene Kind; die Charakterschwäche des Vaters kann auch die Psyche der heranwachsenden Kinder beeinträchtigen; das soziale Fehlverhalten der Elterngeneration kann zu sozialen Härten in der Kindergeneration führen). Das sind keine «Strafen», die Gott verhängt oder übernatürlich wirken, sondern ganz natürliche Mechanismen. Diese gibt es in der materiellen, aber auch in der geistigen Wirklichkeit. Diese Unterscheidung zwischen der persönlichen Schuld eines Menschen und den Folgen, die auch andere spüren, ist äußerst wichtig. Eine spürbare Sündenfolge ist keine Schuld, die uns die Ahnen vermacht haben, sondern deren Konsequenz! Das ist ein großer Unterschied.

Es gibt also so etwas wie die «Ahnenschuld» (kein Mensch ist ohne Schuld, auch nicht unsere Eltern und Großeltern), diese haben aber unsere Vorfahren selbst zu tragen. Allerdings gibt es Folgen der Schuld anderer (nicht nur unserer Eltern!), die wir zu tragen haben, obwohl wir nichts für deren Fehlverhalten können.

Nachträglich Löschung der Schuld

Es gibt keine nachträgliche Löschung einer Schuld oder eines Fehlverhaltens durch Gebet oder Gebetspraktiken! So etwas zu glauben oder gar anderen einzureden, ist nicht katholisch, sondern nahe am Rande von Magie und Esoterik.
Es gibt sehr wohl das fürbittende Gebet für unsere Eltern und Großeltern, auch den fürbittende Ablass oder die Messe, die wir lesen lassen. Aber diese Dinge können ein schreckliches Ereignis nicht ungeschehen machen und auch nicht deren Folgen einfach außer kraft setzen. Und sie können auch keine Vergebung erwirken, wenn der konkrete Vorfahre diese nicht will. Dennoch stellen diese Möglichkeiten eine wirksame Bitte aus Liebe dar, die uns mit unseren Eltern, Großeltern und früheren Generationen verbindet.

Folgen, unter denen wir jetzt leiden, sind jedoch von der Tat als solches abhängig – nicht von der Schuld, die jemand dadurch auf sich geladen hat. So ist das Opfer einer Gewalttat auch dann traumatisiert, wenn der Täter die Tat beichtet. Allerdings kann eine bereute Schuld anderen helfen, nicht allzu sehr mit eventuelle Sündenfolgen zu hadern.

Zusätzliche Rituale zur Ausschaltung von früheren Ursachen sind Magie und nicht katholisch. Allerdings können Exerzitien oder Gebete zur Versöhnung mit der Unvollkommenheit unserer Eltern, Großeltern und Ahnen genauso sinnvoll sein wie die Versöhnung mit allen Menschen. Sie ändern aber nicht die Vergangenheit – sondern vor allem uns und unseren Umgang mit der Sündhaftigkeit unserer Eltern.

Schlechte Bindungen an vergangene, wenig tugendsame Leitfiguren brauchen zudem nicht «gelöscht» zu werden, so als handele es sich hier um einen technischen Vorgang. Vielmehr ist jeder Mensch dazu aufgerufen, das eigene moralische Fehlverhalten genauso Gott zur Vergebung hinzuhalten, wie sich von den Sünden der Vorfahren zu distanzieren. Das gehört zur persönlichen Reife genauso dazu wie das Akzeptieren von Schuldenfolgen (in Nationen oder Familien) und die Bereitschaft, in ihrer Anerkennung zu handeln.

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Last modified: 5. April 2022