Zwei Aspekte, ein Sakrament: Freiheit und Hingabe

Sakramente sind Wirk-Zeichen Gottes. In jedem Sakrament ist vor allem Gott derjenige, der wirkt. Das heißt, wenn wir nach dem Wesen eines Sakramentes fragen, ist das Erste nicht das, was der Mensch tut. Das menschliche Tun ist immer eine Antwort auf die zuvorkommende Gnade.
Es gibt Sakramente, da muss man sich allerdings ganz schön anstrengen, um sich vom ausschließlichen Blick auf das Tun des Menschen frei zu machen. Bei der Eheschließung zum Beispiel: Wer nicht genauer hinschaut und tiefer zu blicken versucht, der sieht nur, dass zwei Menschen einander ihre Liebe versprechen. Falls Gott auch da wirkt, dann doch wohl nur an zweiter Stelle, oder? Vielleicht erst bei der Bestätigung des Ehebundes? Beim Ehesegen? Oder erst im späteren Leben der Eheleute? – Nein, natürlich nicht! Gott schenkt in seiner Gnade überhaupt erst die Möglichkeit, sich in Liebe unlösbar an einen Ehepartner zu binden (die gratia sufficiens) – und die Gnade, diese Hingabe zu leben und zu gestalten (die gratia efficax).

Auch bei anderen Sakramenten sehen wir auf den ersten Blick nur das Tun des Menschen: bei der Taufe (der Mensch entscheidet sich, ein Mitglied der Kirche zu werden), der Firmung (der Firmand entscheidet sich für den Glauben) oder der Beichte (der Mensch bereut und bekennt Gott seine Schuld). Deshalb empfiehlt sich auch hier ein tieferer Blick – wir empfehlen dazu die entsprechenden Katechesen der Karl-Leisner-Jugend!)

Aber ich gebe zu: Die Aufmerksamkeit auf das unsichtbare Wirken Gottes zu richten, fällt schwer…! – Nicht so bei der Krankensalbung. Da scheint der Mensch so passiv, dass der Hinweis unnötig erscheint, in diesem Zeichen wirkt Gott und weniger der Mensch. Ja, manchmal ist der kranke oder sterbende Mensch kaum noch zu einer wirklichen «Mitfeier» und «Mitwirkung» in der Lage. Nicht ohne Grund muss die Kirche immer wieder anmahnen, mit der Krankensalbung nicht zu lange zu warten, damit der Empfänger noch zur aktiven Teilnahme fähig ist. Und doch ist es erlaubt, einem bewusstlosen (oder nicht mehr reagierenden) Kranken die Krankensalbung zu spenden. Ist das magisches Denken?! Oder schon fast reformatorisches Denken: Gott heiligt uns gegen (oder ohne) unsere Zustimmung?!

Nein. Denn die Wirkung des Sakramentes (also das Tun Gottes) darf eben nicht mit der Verabreichung einer «seelischen Medizin» gleichgesetzt werden. Es wäre falsch zu glauben, dass (nachdem der Arzt mit seiner «leiblichen Medizin» getan hat, was er konnte) der Priester noch die (vermeintlich ähnliche) seelische Behandlung hinzufügt.

In Wirklichkeit ist das Sakrament der Krankensalbung nicht mit einer einfachen Ursache-Wirkung zu vergleichen. Es ist eben nicht so, dass Gnade verabreicht wird, und dann Heilung erfolgt. Vielmehr wirkt das Sakrament der Krankensalbung im Sinne der doppelten Gnadenwirkung: Das Sakrament der Krankensalbung schenkt eine wunderbare Freiheit (zuvorkommende Gnade). Diese Freiheit kann der Mensch in die Hingabe an Gott fließen lassen (heiligmachende Gnade). Oder eben auch nicht. Darin liegt nicht nur die Freiheit des Menschen; sondern darin liegt auch seine Würde. Das Sakrament der Krankensalbung erneuert also auch die Würde des Menschen!

Das Sakrament der großen Freiheit

Um die Größe der geschenkten Freiheit zu begreifen, müssen für einen Augenblick betrachten, wovon wir denn frei werden. Danach lohnt sich der Blick auf die Erfüllung unserer Freiheit.

Auch da hilft wieder eine typisch scholastische Unterscheidung: Wenn wir frei von äußeren Zwängen werden (die Freiheit «von»), sind wir nicht automatisch auch frei zu eigenverantwortlichen Handlungen (die Freiheit «zu»). – Das gilt zum Beispiel ganz klar für die Tierwelt: Wenn wir Tiere in die freie Wildbahn entlassen, sind sie frei von räumlichen Grenzen. Aber sie sind dadurch noch lange nicht frei, ein selbstbestimmtes Leben als Pazifist zu führen (zumindest nicht, wenn man Raubtier ist). – Abgeschwächt gilt das auch für innerlich unfreie Menschen: Es reicht nicht, sie von äußeren Einschränkungen zu befreien. Dadurch werden sie nicht auch innerlich frei. – Für die Krankensalbung heißt das: Wir werden zunächst frei von den Bindungen, die unsere Freiheit einengen. Zusätzlich werden wir frei, zu dem Guten, das wir erkennen, «Ja» zu sagen.
Luther beschrieb übrigens in seiner großen Freiheits-Schrift «de servo arbitrio» den Willen des Menschen als innerlich absolut unfrei und forderte lediglich die Kirche auf, ihm keine äußeren Einschränkungen aufzuerlegen. Die katholische Kirche hat dagegen immer an dem Ziel der äußeren und inneren Freiheitsgewinnung des Menschen festgehalten.

a. Frei von Ängsten

Auch die Medizin kann Ängste lindern; oft genug verschreibt der Arzt in schweren Krankheiten und zum Ende des Lebens nicht nur Schmerzmittel, sondern bei anhaltenden Unruhe-Zuständen auch Beruhigungsmittel, die «Angst- und Spannungszustände» reduzieren können. Das Sakrament der Krankensalbung lindert aber nicht einfach Ängste – es nimmt den Grund für unsere Ängste!

Das eine ist nicht gegen das andere auszuspielen; denn tatsächlich gehen schwere Krankheiten oft genug mit Angstzuständen einher, die keinen äußeren Grund haben (sogenannte endogene Ängste oder Angststörungen). Diese sollen und müssen nach aller medizinischen Kunst behandelt werden. Aber häufig tritt noch eine Angst hinzu, die ihren Grund in der Unsicherheit angesichts des Todes hat.

In ernsten und lebensbedrohlichen Situationen brechen Fragen auf, die wir im Alltag oft genug unterdrücken:

  • Wird Gott mich aufnehmen?
  • Habe ich ein gutes Leben geführt? Was ist «ein gutes Leben»?
  • Was geschieht mit den mir ans Herz gewachsenen Menschen?
  • Meiner Familie? Meinem Ehepartner? Meinen Kindern?
  • Meinem Hab und Gut? Der Firma? Dem Haus?
  • Was heißt es, «zu sterben»?
  • Gibt es ein Leben nach dem Tod? Oder ist dann alles aus?
  • Ist das Leben nach dem Tod nur ein blasser Abklatsch des irdischen Lebens?
  • Kann ich mich noch versöhnen mit denen, die mir böse sind?
  • Kann ich loslassen?
  • Ist alles geregelt für die Zeit nach meinem Tod?

Diese Ängste zu lindern, geschieht nicht durch eine pure Belehrung: Wer Angst um seinen Ehepartner hat, wird sich nicht durch eine Urkunde über eine Lebensversicherung beruhigen lassen. Wer nicht weiß, was ihn nach dem Tod erwartet, braucht keine Auszüge aus dem Katechismus. Wer Angst vor der Begegnung mit dem Allmächtigen hat, braucht keinen Nicht-Angriffs-Pakt.

Angst ist das Gegenteil von Liebe! Was der angstvolle Mensch braucht, ist vielmehr die Erfahrung der liebenden Gegenwart Gottes. Wer Angst vor Strafe, Hölle und Vergeltung hat, braucht die spürbare Nähe des barmherzigen Vaters und Seinen liebenden Blick. Wer fürchtet, von einem üppigen irdischen Leben in eine fade himmlische Sphäre zu treten, braucht die handfeste Erfahrung mit dem Auferstandenen. Wer nicht loslassen kann, braucht die Erfahrung einer allumfassenden Geborgenheit im Heiligen Geist, der Alles und Jeden in Händen hält.

Das ist die erste Wirkung des Sakramentes der Krankensalbung: Gott schaut dich an. Er offenbart sich dir, umhüllt dich und berührt dich. Der erste Schritt in diese große Freiheit ist die befreiende Ruhe in seinen Händen.

b. Frei von verqueren Bindungen

Zur wahren Freiheit gehört auch die innere Abkehr von den eigenen Sünden, die oft erst im Bewusstsein der großen Barmherzigkeit Gottes geschehen kann. Deshalb sollte der Spendung der Krankensalbung möglichst eine sakramentale Beichte vorausgehen. Aber die Krankensalbung hat noch eine über das Beichtsakrament hinausgehende Wirkung. Denn während die Beichte spürbar die schwere und bedrückende Schuld von absichtsvollen Sünden nimmt, befreit die Krankensalbung mehr von den lästigen Angewohnheiten der kleinen Charakterschwächen (auch lässliche Sünden genannt). Diese befreiende Wirkung sollen wir zwar auch wollen – aber wir können sie oft genug nicht klar benennen. Diese Anhänglichkeiten an verquere Bindungen sind uns oft schon zur zweiten Natur geworden und dringen vielleicht gar nicht mehr in unser Bewusstsein vor.

Auch hier gilt wieder, dass nicht eine «magische Kraft der Reinheitsgabe» uns bis in die Poren reinigt, sondern die überwältigende Erfahrung der Nähe Gottes. Wer diesen Blick erwidern und sich in die Hände Gottes wirklich fallen lassen kann, der lässt auch los von den kleinen, blöden Nickeligkeiten, die uns von Gott so oft entfernt haben. Die Dramatik der Situation, in der oft die Krankensalbung gespendet wird, führt dann zu einer Tiefe der Gottesbegegnung, die bis auf den Grund der Seele frei machen kann.

c. Frei vom Echo des Zweifels

Vielleicht hast du erwartet, dass die Begegnung mit Gott uns zu allererst von unseren Zweifeln befreit. Wer Gott spürt und Seine Macht (so könnte man denken), hat dann ja wohl keine Angst mehr vor dem Nichts des Atheismus! Oder? – Aber Zweifel haben oft eine zweite, verzögerte Wirkung. Es mag sein, dass man sein Leben lang gezweifelt hat, ob Gott existiert und nun einfach angenehm überrascht ist, dass es Ihn doch gibt. «Glück gehabt, Gott existiert!» Aber ich weiß aus zahlreichen Gesprächen, dass kurz darauf der Zweifel erneut zubeißt: Was, wenn Gott mir mein lebenslanges Zweifeln übelnimmt? Wieso habe ich nicht schon vorher geglaubt? Bin ich eventuell ein Glaubens-Versager? – Oder, noch bohrender: Wenn ich mich mein Leben lang getäuscht habe – vielleicht täusche ich mich jetzt auch? Vielleicht ist die Gottesbegegnung im Angesicht des Todes nur eine Illusion? Ein Vorspiegelung meines Unterbewusstseins? Eine Phantasie, die sich in noch größere Angst auflöst?

Wer glauben will, der braucht sich vor dem Bumerang des Glaubenszweifels nicht zu fürchten. Jeder, der die Nähe Gottes spürt, weiß intuitiv auch von seiner liebenden Allwissenheit. In diesem Wissen Gottes um meine allergrößten und allerkleinsten Schwächen ist kein Grund mehr für meine Scham, dass ich nicht eher und nicht fester geglaubt habe. Gott achtet und freut sich so sehr über meinen noch so kleinen Glauben, dass bei Ihm kein Platz mehr ist für Ärger über das, was meinem Glauben noch gefehlt hat.

«Wenn ihr Glauben habt nur so groß wie ein Senfkorn…»

Mt 17,20


«Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben.»

Lk 15,7

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Schlagwörter: , Last modified: 17. August 2020