Im April 2019 veröffentlichte der emeritierte Papst, Benedikt XVI., einen Aufsatz, in dem er seine Erinnerung an die Zeit der meisten Missbrauchsfälle analysierte. Er stellte einen Zusammenhang fest zwischen dem Aufkommen von sexuellem Missbrauch, dem unheilvollen Umgang mit diesen Verbrechen durch die Bischöfe und der Angleichung der damaligen Kirche an den Zeitgeist.
Nach der Veröffentlichung dieser Notizen ging ein Aufschrei durch die Medien (sowohl weltlichen als auch kirchlichen): Man las den Aufsatz so, als schiebe Benedikt XVI. die Schuld der Kirche auf den Zeitgeist. Auf dieser Weise spreche er die Kirche und sich selbst von ihrer Verantwortung frei! – Ich dagegen sage: Falls es stimmt, dass bestimmte Bischöfe das sexuelles Fehlverhalten ihrer Priester banalisiert haben, weil sie sich zu sehr dem Streben nach Befreiung von sexuellen Normen in der Gesellschaft angeglichen haben, so ist das keine Entschuldigung – sondern ein zusätzlicher schwerer Vorwurf! Eine exakte Benennung ihres Versagens ist eben keine Entschuldigung. Joseph Ratzinger hat mit seiner Analyse niemanden entlastet – vielmehr die betreffenden Personen angeklagt. Was auch immer die Ursache für ein moralisches Fehlverhalten ist: Das Fehlverhalten bleibt ein Fehlverhalten und die Schuld bleibt Schuld. Ja, vielleicht ist die Schuld der Kirche und ihrer Bischöfe in diesem Fall sogar größer, weil sie aus dem Wunsch der Beteiligten resultiert, gesellschaftlich nicht anzuecken.
Es mag sein, dass die Medien auf den Aufsatz des Papstes deshalb so heftig reagierten, weil Papst Benedikt die Ursache der Krise nicht in den althergebrachten kirchlichen Strukturen sah. Damit widersprach er der bis heute vorherrschenden Meinung innerhalb und außerhalb der Kirche, dass nicht die Angleichung der Kirche an die Welt, sondern die Rückständigkeit der Kirche ein Grund der Verfehlungen sei. Nun, darüber könnte man sachlich reden. Aber offensichtlich ist das nicht gewünscht. Lieber unterstellt man dem emeritierten Papst eine feige Motivation, als mit ihm zu diskutieren. Der klassische Griff in die Kiste mit den Totschlag-Argumenten.
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