Obwohl in unseren Breiten der Glaube an ein persönliches göttliches Wesen zunehmend schwindet, glauben immer noch mehr als 80 % der Europäer an ein Leben nach dem Tod. Dabei scheinen der Phantasie keine Grenzen gesetzt zu sein: Von der Wiedergeburt mit oder ohne Karma, über das Entschweben in eine andere Dimension, dem Entgleiten in den Himmel mittels vorbeiziehender Kometen bis hin zum klassischen Himmel mit oder ohne Hölle und Fegefeuer. Selbst Katholiken neigen immer mehr dazu, an eine Wiedergeburt zu glauben – als an den biblischen Vorstellungen von Himmel, Hölle und Fegefeuer festzuhalten. Und dann gibt es noch diejenigen, die behaupten, darüber könne man gar nichts wissen; noch nicht einmal vermuten oder spekulieren mache einen Sinn. Wie aber ist denn nun die Lehre der katholischen Kirche?
Was wir wissen können
Nun, die katholische Kirche macht überraschend eindeutige Aussagen; sie weiß aber genauso eindeutig, wo die Grenzen ihres Wissens sind. Denn eigentlich gilt: Vom Leben nach dem Tod können wir nichts wissen, denn keiner war jemals tot und ist wieder zurückgekehrt. Außer – Jesus. Und der hat einiges davon seinen Aposteln anvertraut; 40 Tage hat er nach seinem Tod und seiner Auferstehung die Jünger unterrichtet (Apg 1,3). Vor allem aber konnten die Jünger an Jesus sehen, was „Auferstehung“ bedeutet. Und, das wissen wir bis heute, sie waren begeistert.
Der Augenblick des Todes
Über Generationen hinweg erlebte jeder noch das Sterben von Alt und Jung im Kreis der Familie; alle, die einen Menschen haben sterben sehen, machten ähnliche Erfahrungen: Zunehmend verliert der Sterbende die Kontrolle über seinen Körper; der Mensch, der dem Tode nahe ist, ist immer schwerer über seine Sinne anzusprechen und reagiert kaum noch auf äußere Reize; je näher der Tod kommt, um so weniger leidet der Mensch unter den Schmerzen seiner Krankheit oder Verwundung. Für gläubige Menschen entsprach das genau dem, was die Kirche über das Sterben sagt: «Im Tod trennt sich die Seele vom Leib.»
Das ist allerdings – auch nach Auffassung der Kirche – keine biologische Selbstverständlichkeit wie zum Beispiel die Verwandlung einer Raupe zu einem Schmetterling. Nein, die Kirche bezeichnet das Sterben eines Menschen schon als ein Unglück: Denn die Seele verliert mit dem Leib ihre Möglichkeiten der Kontaktaufnahme, der Wissensaneignung, der Ausdrucksfähigkeit von Gefühlen und noch vieles mehr. Eine Seele ohne Leib ist nicht, wie die alten Griechen (wie Sokrates oder Platon) noch glaubten, eine befreite Seele, sondern eine beraubte Seele.
Dabei scheint das eigentlich Bedrückende im Tod nicht der leibliche Schmerz zu sein – wovor die Menschen heutzutage verständlicherweise am meisten Angst haben – sondern die zunehmende Einsamkeit. Nach der Angst, schmerzvoll zu sterben, ist das (Umfragen zufolge) die zweitgrößte Befürchtung: Allein zu sterben.
Das persönliche Gericht – Himmel, Hölle, Fegefeuer
Eine Seele, die ihres Leibes beraubt ist, ist einsam; sie kann weder andere Seelen „sehen“, noch von anderen „angesprochen“ werden. Sie bildet sozusagen ein Universum für sich. Nun hindert sie nichts mehr, ihren seelischen Regungen, die sie sich im Laufe ihres Lebens zueigen gemacht hat, freien Lauf zu lassen. Die Seele, ohne die Grenzen ihres Leibes, prägt nun das Universum, das sie selber ist:
Hier spricht die Kirche von drei verschiedenen Zuständen: Himmel, Hölle und Fegefeuer. Das klingt so, als ob es sich dabei um drei verschiedene Orte handeln würde, in die man den mehr oder weniger zwangsweise verfrachtet wird; vor allem die Hölle wird doch wohl kaum einer freiwillig aufsuchen, oder? Im Grunde ist aber jede Seele ein Ort für sich. Es handelt sich eher um die Art, wie die Seele nun das Universum ihrer eigenen Einsamkeit prägt. Das „seelische Universum“ ist dabei immer einmalig, aber es kann eher „höllisch“ oder „himmlisch“ sein – oder eben irgendwie dazwischen.
Hölle
Es gibt Menschen, die waren noch nie großartig an dem Wohl anderer Menschen interessiert; für die scheint die absolute Vereinzelung durch den Verlust des eigenen Körpers kein großes Unglück. Vielleicht verzichten sie gerne darauf: Keiner macht mehr Vorhaltungen, keiner beeinträchtigt ihr eigenes Streben nach Lust und Vergnügen; vor allem scheint kein Gott in der Nähe zu sein, der das eigene Verhalten als moralisch verwerflich abqualifiziert. Feine Sache.
Allerdings ist das Streben nach Lust und Vergnügen ebenfalls an ein Ende gekommen: Selbst solch niedrigen Güter wie Spaß, Unterhaltung, Lust – auch die sexuelle Lust, Vergnügen und Ablenkung – alles das kann nicht ohne die Gegenwart anderer Menschen existieren; zumindest aber nicht ohne den vollen Besitz seines eigenen Körpers.
Alles in allem: Einem solchen Menschen geht es ziemlich schlecht – und trotzdem wird er eher die Einsamkeit wählen als ein Leben in der Gegenwart Gottes. Nun: Gott gewährt ihm diesen Wunsch.
Fegefeuer
Es gibt allerdings auch Menschen, die sich auch ein wenig – oder ein wenig mehr – nach der Gegenwart Gottes gesehnt haben. Die in allem, was sie getan haben, immer auch den Versuch sahen, Gott näher zu kommen. Oder zumindest ab und zu. Menschen, die manchmal sogar Zeit aufgebracht haben, Gott nahe zu sein – natürlich meistens mit Hintergedanken. Naja, man hat halt seine Bitten und Anliegen…. Vielleicht haben diese Menschen sich, trotz allem, die Sehnsucht nach der Gegenwart Gottes bewahrt.
Es ist unser Glaube, dass Gott zu dem kommt, der ihn ruft. «Bittet, so wird Euch gegeben, klopfet an, so wird Euch aufgetan.» Während die pure Seele leiblos zu niemanden Kontakt aufnehmen kann, kann Gott sich sehr wohl dieser Seele zeigen. «Gottesschau» nennt die Bibel dieses unsagbare Glück.
«Klingt aber ziemlich langweilig», wirst Du wohl denken. Das habe ich auch immer gedacht, wenn davon die Rede war, dass wir im Himmel endlich Gott sehen werden, wie er ist. «Naja», dachte ich damals, «wenn’s mehr nicht ist…» Aber jetzt stell Dir einmal vor, Du bist in dieser absoluten Einsamkeit, ohne Chance auf irgendeine Zuwendung, ohne Möglichkeit, irgendjemanden in Deiner Nähe zu spüren – und dann hast Du die Möglichkeit, Gott, das Urwesen der Liebe, die Unendlichkeit der Zuneigung selbst zu schauen, zu spüren und darin aufzugehen – – – na, das nenne ich Glück!
Allerdings hat die Sache natürlich einen Haken: Gott liest Dir jeden Wunsch von Deinen (nichtvorhanden) Lippen ab. Was daran der Haken ist? Schauen wir auf den Menschen im „Fegefeuer“:
Wenn in dem bisherigen Leben dieser bedauernswerte Mensch Gott lediglich als eine Art «Bittenerhörer» betrachtet hat, dessen einzige Funktion die Wunscherfüllung war, wird sich die Sehnsucht und Freude des Menschen nicht zunächst auf Gottes Gegenwart richten – sondern in IHM lediglich ein Mittel zum Zweck sehen: «Oh, Gott, gut, dass Du hier bist! Könntest Du mir vielleicht sagen, wo ich hier jemanden treffen kann? Mir ist langweilig. Weißt Du, wo die nächste Fete ist?» – «Hast Du meine Freundin gesehen? Ach komm, Du bist doch Gott, Du kannst sie mir doch herholen! Worauf wartest Du noch?»
Es dauert einfach seine Zeit, bis ein solcher Mensch begreift, dass Gott sich nur wirklich zeigen wird, wenn er um seiner selbst willen erwünscht ist. Deshalb spricht die Kirche auch vom „Purgatorium“ – dem Reinigungsort. Der Glaube an Gott und die Liebe zu ihm ist schon da – gottseidank. Allerdings noch verunreinigt, vermengt mit ziemlich irrigen und unangenehmen Vorstellung von Gott. In einem Buch von C.S. Lewis („Die Reise auf der Morgenröte“) wird dieser Prozess verglichen mit dem Schrubben der eigenen Panzerhaut, bis diese sich löst und der Mensch unter dem Drachenpanzer zum Vorschein kommt. Da mag einer im irdischen Leben vielleicht sogar sieben Drachenhäute bekommen haben: Es lohnt sich zu schrubben, denn darunter schlägt ein lebendiges Herz, das sich Gott öffnen will.
Selig übrigens, wer dieses „Schrubben“ bereits auf der Erde über sich ergehen lassen musste…
Himmel
Nun, daraus ergibt sich auch, was wir dann unter Himmel verstehen: Die reine Gottesschau. Die „selige Seele“ ohne Leib ist eben nicht einsam: Sie schaut Gott; ohne Trübung, ohne Irritationen. Sie ist „selig“ im irdischen und im himmlischen Sinne. Und noch etwas: Einer solchen, wunderschönen Seele gewährt Gott sogar die Gemeinsamkeit mit anderen Seelen. Das können die natürlich nicht aus eigener Kraft, denn auch die Seelen im Himmel sind noch ihres Körpers beraubt. Aber was Gott will, das geschieht… Deshalb, so lehrt die katholische Kirche, können wir uns im Gebet an diese Seelen wenden, und diese Seelen können uns und anderen Gutes tun (weil es das ist, was sie ein irdisches Leben lang getan haben) – dank der Gnade und des Wirkens Gottes. Eine Verehrung der Heiligen geht deshalb niemals auf Kosten der Verehrung Gottes, sondern vermehrt noch die Liebe zu Gott, der uns diese „Gemeinschaft der Heiligen“ ermöglicht.
«Der jüngste Tag»
Nun ist das allerdings nicht das Ende aller Dinge. Die Offenbarung Jesu (in der Bibel und in der kirchlichen Tradition) spricht eindeutig von einem „Tag der Wiederkunft Christi“ – dessen genauer Termin allerdings nicht bekannt gemacht wurde. Was, so denke ich mir, eigentlich ganz gut ist.
An diesem Tag, so sagt Jesus, wird so einiges passieren: Jesus wird wiederkommen; alle Seelen (und auch die Menschen auf der Erde, die noch nicht gestorben sind) werden Gott sehen – ob sie wollen oder nicht. Die Toten werden auferstehen – sie bekommen den Leib wieder, der ihrer Seele entspricht. Und sie gehen von da an zwei verschiedene Wege: Die einen folgen dem Sohn Gottes in die ewige Herrlichkeit – oder wählen erneut die gemeinschaftliche Einsamkeit, die freiwillig auf die Gegenwart Gottes verzichtet.
Okay, ich gebe zu, auch das bedarf einer Erläuterung.
Der neue Leib
Es gibt die Vorstellung, dass wir im Himmel leiblose Geschöpfe bleiben; wie Engel oder wie Geister. Dem widerspricht das, was Jesus uns sagt – und übrigens auch, was Jesus uns in seiner eigenen Auferstehung gezeigt hat. Der auferstandene Jesus ist eben kein Geist, keine leiblose Gestalt. Thomas wird aufgefordert, seine Finger in die Wunden Jesu zu legen; bei zahlreichen Begegnungen des Auferstandenen isst Jesus ausdrücklich vor den Augen seiner Jünger. Und bei Lukas heißt es:
«Sie erschraken und hatten große Angst, denn sie meinten, einen Geist zu sehen. Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen solche Zweifel aufkommen? Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst. Fasst mich doch an, und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht.» (Lk 24, 37-39)
Aber frag mich jetzt nicht, wie dieser Leib genau aussehen wird – in welchem Alter, in welchem Zustand und mit welchen Möglichkeiten. Jesus war wohl wiederzuerkennen, das ist klar; aber auch nicht auf den ersten Blick: Maria Magdalena, Petrus und andere engste Freunde Jesus hatten ihn zunächst nicht erkannt – erst auf den zweiten Blick wurde ihnen klar, wer da mit ihnen redete.
Das heißt für uns, dass wir uns im Himmel wiedersehen werden; Freunde und Verwandte, Bekannte und Unbekannte werden sich in die Augen schauen und umarmen können. Der Himmel ist nicht das Gegenteil von dem, was wir hier auf Erden kennen; er wird nichts anderes sein als die vollkommene Ausgestaltung aller Möglichkeiten, die wir hier auf Erden schon als gut und schön begreifen – aber leider nie ganz verwirklicht haben.
Zeit und Raum im Jenseits
Neben der weit verbreiteten Vorstellung, wir würden ohne unseren Leib in den Himmel kommen, glauben die meisten Christen, sie kämen in eine zeitlose Ewigkeit. Wer einmal darüber nachdenkt, wird feststellen, dass das einem Menschen gar nicht möglich ist. Wir bleiben ja endliche Menschen (nur Gott ist unendlich), und für endliche Menschen kann es nur ein Nacheinander von Ereignissen geben (während für Gott alles gleich gegenwärtig ist). Nacheinander heißt allerdings: «Zeit», wenn auch in einer neuen Qualität, die wir uns noch nicht vorstellen können.
Zeit und Raum bedingen sich; wenn wir tatsächlich einen Leib als vollkommenen Ausdruck unserer Seele auch im Himmel haben werden, dann muss dort auch «Raum» existieren. Allerdings ein Raum, der ganz dem Willen der Seelen zu Diensten ist: Für die erlösten Seelen die Bedingung zur Begegnung; für die gemeinschaftlich vereinsamten Seelen die Ermöglichung, sich aus dem Wege zu gehen.
Wie auch für den Leib gilt für die Zeit und den Raum im Jenseits: Es wird im Jenseits ganz anders sein, als wir es uns jetzt vorstellen können – und gleichzeitig weniger verändert, als wir es uns jetzt denken.
Die Eintrittskarte in den Himmel
In Comics, Witzen und auch in der Werbung erwartet uns nach dem Tod ein ziemlicher Bürokratismus:Dort steht Petrus mit einer langen Liste in der Hand und rechnet anhand unserer irdischen Taten einen himmlischen Kontostand aus; je nachdem, wie hoch die erreichte Punktzahl ist, geht’s ab in die Hölle oder ‚rauf in den Himmel – oder, bei „Unentschieden“, in die Warteschleife. Da müssen wir uns hier auf der Erde also anstrengen: Punkte sammeln!
Die Punkte bekommt man, so wird sich immer noch erzählt, wenn man Gutes tut. Das genaue Bewertungssystem unserer irdischen Taten ist zwar geheim; aber soviel ist wohl durchgesickert: Je braver und freundlicher man zu den Menschen ist, desto besser die Chancen auf einen Logenplatz.
Diese Auffassung ist nicht richtig, ziemlich albern und vor allem auch gefährlich. Angenommen, es kommt in unserem Leben zuerst auf unser moralisches Verhalten an, auf die Punkte, die wir gesammelt haben. Dann kann doch ein wirklich guter und liebevoller Gott keinen in die Hölle schicken! Gott ist doch großzügig; er wird doch keinen, der nicht ausreichend Punkte gesammelt hat, wegschicken. So ähnlich wie der Nikolaus: Der hat auch manchmal eine ziemlich lange Liste von Missetaten zu verlesen. Aber da er ein guter Mann ist, gibt es am Schluss immer etwas Gutes aus seinem Geschenkesack. Er könnte es gar nicht übers Herz bringen, und eines der Kinder leer ausgehen lassen.
Was aber, wenn wir nicht mehr an den Nikolaus glauben? Wenn wir nicht dabei sein wollen, wenn er uns besucht?
Der Tag des Gerichts ist kein Tag, an dem es um einen Kassensturz geht; Gott ist nicht der unparteiische Hüter unseres himmlischen Punktekontos; und im Leben geht es nicht darum, dass wir uns den Himmel verdienen. Der Himmel, das ist schließlich Gott selbst. Wenn es um nichts anderes geht, als dass sich Gottes Herz und unser Herz vereinigen, dann gibt es selbstverständlich auch die menschliche Verweigerung: Nicht als Strafe für zu wenig Punkte, sondern als Anerkennung des freien Willens: «Gott, ich habe ein Leben lang nichts von Dir erwartet; Du kannst mir auch in alle Ewigkeit gestohlen bleiben.» Das mag Gott sein Herz brechen, aber er rührt unseres nicht an, weil er uns liebt.
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