Märtyrer

«Der Mensch stirbt, wie er gelebt hat!» sagt ein Sprichwort. Damit ist nicht nur gemeint, dass wir am Sterben eines Menschen erkennen können, was er für ein Leben geführt hat (falls das immer so stimmt), sondern vor allem, dass wir das Ende unseres Lebens gestalten können, indem wir uns bemühen, zuvor entsprechend zu leben. Oder, wie es die selige Schwester Euthymia geschrieben hat: «Ja, die Hingabe und das Vertrauen ist schwer. Man muss sie ein Leben lang geübt haben, um es am Ende des Lebens und in Krankheit zu können.»

Es ist wirklich eine besondere Art zu leben, sich immer wieder darum zu bemühen, sich von den Dingen dieser Welt zu lösen und sich den Menschen und Gott jeweils neu zuzuwenden. Und sich mit ihnen zu verbinden.
Paulus schreibt: «Denn ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz. Daher soll, wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine, wer weint, als weine er nicht, wer sich freut, als freue er sich nicht, wer kauft, als würde er nicht Eigentümer, wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht.» (1 Kor 7,29-31)
Das Beeindruckende an einem Märtyrer – also einem Menschen, der bereit war, für den Glauben den Tod zu erleiden – ist also nicht allein das Ende seines Lebens. Denn das Ende des Lebens ist zumeist keine einsame Heldentat, sondern oft die Quintessenz einer lebenslangen Suche. Paulus schreibt in einem Brief an seinen geistlichen Sohn Timotheus: «Ich werde schon geopfert und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue bewahrt. Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, aber nicht nur mir, sondern allen, die sein Erscheinen ersehnen.» (2 Tim 4, 6-8) Ich möchte hier besonders das Wort «ersehnen» hervorheben. Denn darin liegt der tiefere Grund, die von Gott geschenkte Freiheit von den irdischen Dingen anzunehmen: weil diese uns nicht wirklich erfüllen, unsere Sehnsucht nicht stillen und wir uns immer neu nach dem Größeren sehnen.

Wir können die Märtyrer nach ihrem Martertod nicht mehr befragen (noch nicht), aber ich bin mir sicher, dass viele uns versichern würden, dass sie sich im Augenblick ihres Todes gar keines Verlustes bewusst gewesen sind. Sie haben nur das, was sie in Händen hielten, losgelassen, um frei zu werden für das, was ihnen unendlich schöner, wertvoller und lebendiger geschenkt wurde.

Alltägliche Märtyrer

Manchmal erscheinen Zeitungsartikel unter der Überschrift «Helden des Alltags». In scheinbar gewöhnlichen Situationen leisten ganz normale Menschen Außergewöhnliches. (Man mag darüber streiten, ob sie wirklich Ungewöhnliches vollbracht haben – oder ob sie nur Selbstverständliches getan haben, während andere wie gelähmt waren…) Wenn das für das irdische Heldentum gilt, dann noch viel mehr für die Märtyrer des Glaubens. Denn ein wahrer Märtyrer ist nicht nur der, dem am Ende sein Leben gewaltsam entrissen wird. Sondern auch der, der schon zu Lebzeiten Wünsche, Pläne, Eigeninteresse und Freiheiten aufgibt, um für andere Gutes zu tun.

So begegnen mir immer wieder Menschen, die ihre Berufspläne begraben haben, weil sich Nachwuchs einstellte – früher als erwartet. Andere geben Hobbies auf, weil das behinderte Kind soviel mehr Zeit und Zuwendung braucht. Menschen reduzieren ihre Arbeitszeiten, um einen kranken Angehörigen zu pflegen und verzichten dadurch auf geplante Urlaubsreisen oder Anschaffungen.

Diese Aufzählung könnte ins Unendliche verlängert werden, selbst wenn wir nur diejenigen Beispiele gelten lassen wollen, die ein solches «Aufgeben und Loslassen» gar nicht als Verlust ansehen, sondern als Selbstverständlichkeit.

Ungewöhnlicher sind in unserer Zeit dagegen die Menschen, die eine gewünschte Urlaubsfahrt nicht buchen, weil am Zielort keine Möglichkeit besteht, den Sonntagsgottesdienst zu besuchen. Oder die ein viel gepriesenes Theaterereignis ausschlagen, weil dort Glauben und Religion verunglimpft werden. Oder die nicht bereit sind, sich einem Gruppenzwang zu beugen, der von ihnen unmoralisches Verhalten erwartet. Oder keinen Politiker zu wählen, der sich öffentlich für die Freigabe von Abtreibungen ausgesprochen hat. Oder eine Fußballerkarriere auszuschlagen, weil man lieber Messdiener oder in der Malteser-Jugend bleiben möchte. Und so weiter.

Wer sich auf diese Weise verhält, ist oft ein doppelter Märtyrer. Zum einen verzichtet er zugunsten eines höheren Wertes auf einen legitimen, wenn auch diesseitigen Vorteil. Zum anderen muss er sich noch dazu gefallen lassen, selbst von Mitchristen als «eng, kleinkariert und altmodisch« tituliert zu werden. Man bedauert ihn als «unglücklich und in der Religion gefangen» – obwohl ein solcher Mensch durch seine Wahl deutlich gemacht hat, dass er viel freier von den Zwängen dieser Welt ist. Und sich in dieser Freiheit ungeteilter der größeren Wirklichkeit zuwenden kann.

Wer dagegen einwendet, dass man all diese großen und kleinen Opfer von einem heutigen Menschen (zumal einem jungen Menschen) nicht erwarten kann, weil das doch eine Überforderung sei, betrachtet nur die Natur und vergisst die Gnade. Denn gerade die Erfahrung der zuvorkommenden Gnade (der gratia sufficiens) zeigt, dass jeder Mensch in jedem Alter und zu jeder Zeit von Gott erneut in die Freiheit erhoben wird, eine solche Wahl zu treffen. Das ist dann keine Überforderung mehr, sondern Geschenk. Dieses Geschenk anzunehmen und die Beziehung zu Gott an die erste Stelle zu setzen, ist eine Erfüllung. Keine Leistung.

Die anderen sechs Sakramente

Die beiden Wirkweisen der Gnade fallen bei den Sakramenten unterschiedlich auf. Und doch sind in allen Sakramenten immer beide Wirkweisen vorhanden: Das Schenken der Freiheit und die Mitwirkung in der Hingabe. So wirft die Erfahrung der Krankensalbung auch ein erhellendes Licht auf die anderen Sakramente:

Taufe

Die Taufgnade hebt die Abwendung der Menschen von Gott auf – und schenkt uns die Freiheit, nun Jesus gleich zu werden und in eine neue Gemeinschaft mit Gott hineinzuwachsen.

Die Firmung…

…nimmt uns die Frucht vor der Veröffentlichung unserer Gottesbeziehung und schenkt uns die Freiheit, im freimütigen Bekenntnis der Gottesbeziehung in dieser zu wachsen.

Die Eucharistie…

…schenkt uns mehr als jedes andere Sakrament die Begegnung und Verbindung mit Jesus, der in seinem Sterben und Tod die größtmögliche Hingabe vollzogen hat – und sich und uns damit die maximale Freiheit erwarb.

In der Beichte…

…entlässt uns Gott aus den Schuldmechanismen in die Freiheit, nicht mehr sündigen zu müssen.

Die Ehe…

…verwirklicht die Freiheit, sich ganz binden zu können, um so ganz lieben zu dürfen.

In der Weihe…

…entlässt Gott den Kandidaten durch die Vermittlung der Kirche aus den weltlichen Verpflichtungen, um davon befreit ganz zum Werkzeug der tätigen Gegenwart Gottes zu werden.

Ja, wer die Krankensalbung mit Augen für Gottes Wirken und des Menschen Mitwirken sieht, entdeckt nicht nur in den anderen Sakramenten, sondern auch im Gebet, im Dienst am Nächsten und im verstandesmäßigen Glauben immer sowohl ein Geschenk als auch eine Gelegenheit, mit diesem Geschenk zu wachsen. Die Salbung am Ende des Lebens wirft so ein Licht auf das Leben, das so in einem neuen Glanz erscheint: Im wunderbaren Zusammenwirken von Gottes allmächtiger Liebe und menschlicher freier Antwort.

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Schlagwörter: , , , Last modified: 26. August 2020